Ansicht von Schwenningen in der Schwäbischen Alb, mit zahlreichen Solarstrom-Anlagen auf den Dächern.
Die Bürgerenergiewende feierte vor Jahren viele Erfolge – in diese Spur möchte die Bewegung gern zurück. (Foto: Uwe Moser/​Shutterstock)

Was macht man, wenn eine neue Solaranlage auf der Wunschliste steht, Solarfirmen aber abwinken? Einen Ausweg weist zum Beispiel die Bremer Solidarstrom.

Die Initiative bietet an, bei Beschaffung und Finanzierung der Solarmodule zu helfen und dank ihrer fachlichen Unterstützung im gemeinschaftlichen "Solarselbstbau" dann auch aufs Dach oder an den Balkon zu bringen.

"Es gibt sehr viele Leute, die genug haben vom Reden, vom An-die-Politik-Appellieren. Die wollen einfach mal was machen", bestätigte Kerstin Lopau von der Kasseler Initiative Solocal Energy am Samstag auf dem Konvent des Bündnisses Bürgerenergie (BBEn) in Fulda. Es fühle sich sehr wirksam an, den ganzen Tag Module zu schleppen und zu schrauben – und am Ende läuft eine fertige Solaranlage. Im Falle von Solocal Energy sind es Balkonkraftwerke.

Die Bremer Solidarstrom kann inzwischen auch ein Gutachten zur Machbarkeit des gemeinschaftlichen Selbstbaus von Solarstrom-Anlagen in Deutschland vorweisen. Erklärt wird darin auch, welche Genehmigungen und Abnahmen noch immer einzuholen sind, was Laien tun können und was am Ende Sache von Profis ist.

Dass der Konvent am Samstag mit dem aus der Schweiz importierten Selbstbau-Konzept startete, ist nicht nur der sozialen Idee geschuldet, sondern auch dem Umstand, dass sich die Bürgerenergie zuletzt ein wenig an den Rand der Entwicklung gedrängt sieht. Das Motto war klar: Hilf dir selbst, wenn keiner dir hilft.

Einfaches Energy Sharing noch immer nicht möglich

Wie gern würde man die Wende im Energiesystem beschleunigen, mit hundert Prozent Erneuerbaren als Ziel schon für 2030, beschrieb BBEn-Vorstandssprecherin Katharina Habersbrunner am Samstag die gefühlte Lage. Das Bündnis wünsche sich, von der Politik gesehen und gehört zu werden. Es würde so viel mehr tun, wenn die Politik es nur ließe.

Zu den Hemmnissen, seufzte Habersbrunner einmal mehr, gehört die nach wie vor nicht voll in deutsches Recht umgesetzte RED-II-Richtlinie der EU. Damit ist weiterhin kein echtes Energy Sharing möglich, kein unkompliziertes Energieteilen mit den Nachbarn oder im Quartier.

Die akute Energiekrise verhilft dabei scheinbar alten Forderungen der Bürgerenergie zu neuer Dringlichkeit – wie dem Wunsch, grünem Strom einen eigenen Markt zu geben und ihn nicht mehr an der Börse zu "verramschen". Der grüne Strom würde dann billiger, da würden die Leute hingehen, betonte gestern Hans-Josef Fell, Mitglied im BBEn-Beirat und Chef der Energy Watch Group.

Das gleiche Ergebnis ließe sich erreichen, würde eine direkte Lieferung von Grünstrom Vorrang genießen, sagte Fell. Er forderte auch die Neuauflage einer durch die Stromkunden bezahlten EEG-Umlage, um der Bürgerenergie eine sichere finanzielle Grundlage zu geben. Die derzeitige Lösung, die EEG-Kosten aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren, liefere die Energiewende dem Gängelband der EU aus, kritisierte Fell.

Befreiung von Ausschreibungen hilft nur begrenzt

Mehr Hilfe und Unterstützung für die Bürgerenergie tut wirklich not. Denn selbst die Zugeständnisse, die die Ampel-Koalition im sogenannten Osterpaket der Bürgerenergie machte, laufen teilweise ins Leere.

Beispielsweise müssen sich Energiegenossenschaften ab 2023 nicht mehr an den Ausschreibungen der Bundesnetzagentur beteiligen, wenn es um Photovoltaikanlagen zwischen einem und sechs Megawatt oder um Windkraft an Land zwischen einem und 18 Megawatt geht.

Diese Ausnahmen seien zwar nett gemeint, war auf dem Konvent zu hören, könnten aber nicht viel weiterhelfen, vor allem deswegen, weil derzeit den Genossenschaften die geeigneten Flächen durch finanzstarke Investoren vor der Nase weggeschnappt werden. Selbst Kommunen, die grundsätzlich mit der Bürgerenergie sympathisieren, würden bei den mittlerweile gebotenen Summen schwach.

Für Hans-Josef Fell muss die Bürgerenergie deswegen auch vor Ort, in den Kommunen unterstützt werden und nicht nur in Berlin und Brüssel. "Die Aufgabe ist mit den Bürgermeistern und den Ländern zu lösen", appellierte er an die Kommunal- und Landespolitik.

Bundespolitik warnt vor Eingriffen in den Strommarkt

Ob die Bürgerenergie in Berlin genügend Gehör findet, daran ließ die abschließende Debatte mit Bundestagsabgeordneten doch einige Zweifel. Auch wenn Markus Hümpfer (SPD) und Konrad Stockmeier (FDP) unterschiedlichen Regierungsparteien angehörten, klangen ihre Antworten auffallend ähnlich.

Eine kleine Zusammenfassung: Man arbeite in der Ampel-Koalition doch mit Hochdruck an der Energiewende, tue so viel, dass Hemmnisse für die Erneuerbaren wegfielen – helfe das nicht auch der Bürgerenergie?

Allerdings: Einzelne Gruppen am Strommarkt dürften auch nicht privilegiert werden, solche Regelungen würden von der EU-Kommission "gekillt" werden. Hier müsse Vorsicht walten, dürfe nichts übers Knie gebrochen werden. Eingriffe in den Strommarkt seien eine "Operation am offenen Herzen".

Das medizinische Bild hat schon in den letzten Wochen eine erstaunliche mediale Karriere hingelegt: CDU-Chef Friedrich Merz bemühte es, um vor der Energiepreisbremse zu warnen, desgleichen Lion Hirth, Professor für Energiepolitik an der Hertie School in Berlin. Der FAZ war die Herz-OP gleich eine ganze Schlagzeile wert, der Süddeutschen Zeitung ebenso.

Ziemlich offensichtlich hat die deutsche Energiepolitik derzeit andere Prioritäten als die Bürgerenergie. Den Energiebürgern wird nicht viel anderes übrig bleiben, als sich erst einmal selbst zu helfen – und wenn es ein Selbstbau ist.

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