Blick über die Dächer einer Kleinstadt, im Hintergrund einige Windräder.
Der Zwang zu Ausschreibungen benachteiligt laut einer Studie kleinere Ökoenergieprojekte und entfremdet die Bürger:innen von der Energiewende. (Foto: Martin Schlecht/​Shutterstock)

Trotz aller Widrigkeiten des vergangenen Jahres – zumindest bei den erneuerbaren Energien geht es voran. Mit gut 46 Prozent erreichte der Anteil der Ökoenergien am Stromverbrauch im Jahr 2020 einen Höchstwert, vermeldete Anfang der Woche die Denkfabrik Agora Energiewende nach einer Jahresauswertung

Windkraftanlagen lieferten hierzulande erstmals mehr Strom als alle Braunkohle- und Steinkohlekraftwerke zusammen. Die Stromproduktion aus Steinkohle schrumpfte im vergangenen Jahr um mehr als ein Viertel, die aus Braunkohle um ein Fünftel. Zusammen tragen sie nur noch 24 Prozent zur Stromerzeugung bei.

Auch wenn die Windenergie die Kohle nun überflügelt hat, kann das nicht über die anhaltende Ausbaukrise bei der Windkraft hinwegtäuschen. Die ersten neun Monate des Vorjahres zählte die Fachagentur Wind zu den ausbauschwächsten der letzten 20 Jahre.

Zwar hat sich 2020 der Zubau bei der Windenergie mit etwa 1.200 Megawatt im Vergleich zu den 865 Megawatt des Vorjahres deutlich erhöht, aber nach wie vor wird der jährliche Ausbaukorridor der Bundesregierung nur etwa zur Hälfte erreicht. 

In diesem Jahr könnte der Anteil der Ökoenergien sogar erstmals sinken, schlägt Agora Energiewende Alarm. Ursache dafür seien der schleppend vorangehende Erneuerbaren-Ausbau sowie eine wieder ansteigende Stromnachfrage, die Corona-bedingt gesunken ist. Verharre der Ausbau auf dem jetzigen Niveau, werde die Bundesregierung ihr für 2030 gesetztes Ziel, 65 Prozent des Stromverbrauchs erneuerbar zu decken, verfehlen. 

Ursachen für den geringen Zubau sieht Agora Energiewende unter anderem bei Unsicherheiten in der Flächenplanung und den Genehmigungsverfahren. Eine kürzlich veröffentlichte Studie zeigt ein weiteres Hindernis: die Ausschreibungen, in denen sich Erneuerbaren-Projekte um eine Förderung bewerben müssen.

Ausschreibungen nützen nur großen Projekten

Vor allem kleinere und mittelgroße Erneuerbare-Energien-Projekte würden durch die Ausschreibungspraxis abgeschreckt, sodass vor allem große Akteure zu Zuge kommen würden, heißt es in der Analyse im Auftrag der energiepolitischen Thinktanks Energy Watch Group und Global Renewables Congress sowie der Haleakala Stiftung. In die Untersuchung flossen Beobachtungen aus 20 Ländern ein.

Dass kleine und mittlere Projekte durch die Ausschreibungsregeln häufig ausgeschlossen werden, treibe die Marktkonzentration zugunsten großer und finanzstarker Akteure voran. Dabei könnten lokale Bürgerenergieprojekte nachgewiesenermaßen die Akzeptanz von Windanlagen vor Ort erhöhen, wenn die Bevölkerung an Planungsprozessen und Investitionen beteiligt sei. 

Ein weiteres Problem der Ausschreibungen ist die geringe Zahl eingehender Gebote. Auch 2020 waren in Deutschland alle Ausschreibungen für Windenergieanlagen an Land zwischen Januar und Oktober unterzeichnet. Die bezuschlagten Gebote werden dann laut Studie häufig verzögert oder gleich gar nicht realisiert. Ausbauziele für erneuerbare Energien ließen sich so nicht erreichen. 

"Die Ergebnisse der Studie zeigen deutlich, dass Ausschreibungen entscheidend dazu beitragen, das exponentielle Wachstum der erneuerbaren Energien zu behindern", sagte der Präsident der Energy Watch Group, Hans-Josef Fell. Dabei verfehlten die Ausschreibungen auch das Ziel, mit dem ihre Einführung ursprünglich begründet wurde: Kostensenkungen zu erreichen.

EU soll Auktionspflicht aufheben

Die genannten Probleme lassen sich der Analyse zufolge nicht durch eine Anpassung der jeweiligen Ausschreibungsbedingungen reparieren. Stattdessen müsse die Politik unterschiedliche Instrumente kombinieren, um den Erneuerbaren-Ausbau entscheidend voranzubringen.

Für große Projekte könnten dabei die Ausschreibungen fortgeführt werden, kleinere und mittlere Projekte sollten dagegen eher Einspeisetarife oder -prämien erhalten. Für sehr kleine Energieprojekte sollte ein Eigenversorgungsmodell gewählt werden. 

Damit eine Kombination verschiedener Förderinstrumente möglich wird, sollte die EU ihre Beihilfeleitlinien überarbeiten und die Förderung der erneuerbaren Energien ganz von den Beihilfefragen ausnehmen.

Aus Sicht der Studienautor:innen greifen Beihilfeüberprüfungen der EU-Kommission bremsend in den Ausbau der Erneuerbaren ein. Damit hebele die Kommission indirekt über das Wettbewerbsrecht die im Vertrag von Lissabon verankerte Energiehoheit der Nationalstaaten aus – und das besonders zum Nachteil der Erneuerbaren.

"Wenn die EU die in Paris beschlossenen Klimaziele tatsächlich einhalten will, muss sie den Mitgliedsstaaten in der neuen Richtlinie für erneuerbare Energien die Freiheit gewähren, ihre eigenen Politikinstrumente zu wählen", sagte Co-Autorin Dörte Fouquet von der Energierechtskanzlei Becker Büttner Held (BBH).

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