Matthias Willenbacher
Matthias Willenbacher. (Foto: Wiwin)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Matthias Willenbacher, Geschäftsführer der Plattform für nachhaltiges Investieren Wiwin.

Klimareporter°: Herr Willenbacher, laut Empfehlung der Gaspreiskommission soll die Bundesregierung bis zu 95 Milliarden ausgeben, um Erdgas bis zum Frühjahr bezahlbar zu halten. Beim jetzigen Modell leisten Menschen mit mittleren und geringen Einkommen den größten Beitrag für Einsparungen und der Gaspreisdeckel führt auch noch zur Umverteilung von unten nach oben. Hätten Sie vor einem Jahr gedacht, dass eine Ampel-Regierung eine fossile Energie derart stützt, und das auch noch sozial ungerecht?

Matthias Willenbacher: Noch handelt es sich ja um einen Vorschlag der Gaskommission und um keinen Regierungsentwurf. Immerhin hat die Kommission das potenzielle Problem auch selbst erkannt und einen Härtefallfonds unter anderem für Haushalte mit geringem Einkommen vorgeschlagen. Wir müssen also abwarten, was genau die Bundesregierung als Umsetzungsvorschlag am Ende auf den Tisch legt.

Ich persönlich fände es besser, wenn je nach Einkommen gestaffelt für Dezember, Januar und Februar Erstattungen gemacht würden: Zum Beispiel erhalten Menschen mit einem Jahreseinkommen über 100.000 Euro keine Erstattung und Menschen mit geringem Einkommen bekommen 50 Prozent ihrer monatlichen Abschlagszahlung erstattet, also in der Summe ein Drittel mehr als jetzt vorgeschlagen. Das wäre sozial gerechter und würde den Anreiz zum Sparen für alle erhalten.

Die Ergebnisse der jüngsten Ausschreibungen der Bundesnetzagentur zu Windkraft und Biomasse sind nahezu katastrophal – beim Wind wurde die ausgeschriebene Menge nur zu knapp 60 Prozent abgerufen, bei Biomasse nur zu rund einem Drittel. Läuft hier etwas grundlegend falsch?

Derzeit steigen die Kosten durch stark gestiegene Rohstoffpreise und Zinsen. In Kombination mit sehr hohen Pachten, vielen Abschaltzeiten und "zu kleinen" Anlagen – kleiner Rotordurchmesser, geringe Turmhöhe – reicht der Höchstwert in den Ausschreibungen für viele Projekte nicht mehr für eine auskömmliche Finanzierung.

Für die Banken sind nämlich nicht die hohen Strompreise entscheidend, sondern die Absicherung der Einnahmen durch die Marktprämie nach unten. Und wenn der Höchstwert dafür absehbar nicht ausreicht, steigen die Anforderungen an das Eigenkapital oder die Zinsen, mit der Folge, dass viele Projektierer von einer Realisierung absehen.

Außerdem warten die Projektierer in der Südregion darauf, dass zum 1. Januar 2023 die verbesserten Förderbedingungen im neuen Erneuerbare-Energien-Gesetz für Windenergieprojekte in der Südregion zum Tragen kommen. Insofern läuft nichts falsch, sondern die Randbedingungen ändern sich schneller als die Anpassungsregeln im EEG – beziehungsweise die Verbesserungen für Süddeutschland greifen leider zu spät.

Mecklenburg-Vorpommern will Balkonsolaranlagen bis 600 Watt mit bis zu 500 Euro fördern, in Bremen und Kassel bieten Bürgerinitiativen inzwischen Unterstützung beim Selbstbau von Solaranlagen fürs Dach oder für den Balkon an. Können solche Vorhaben die Energiewende voranbringen oder sind das nur Randerscheinungen?

Die Kleinstanlagen werden nicht allein die Energiewende wuppen, aber sie sind eine tolle Möglichkeit, die persönliche Energiewende voranzutreiben.

Ich unterstütze deshalb auch die Forderung des Bundesverbandes Neue Energiewirtschaft, die Kleinstanlagen steckerfertig zu produzieren und von bürokratischen Auflagen zu befreien. In absehbarer Zeit würden die Anlagen dann auch bei Discountern und Baumärkten zu günstigen Preisen verkauft werden.

Förderprogramme bräuchte es dann nur noch für Haushalte mit geringem Einkommen. Oder man bietet die Anlagen diesen Haushalten gleich umsonst an. 

Eigentlich hat sich die Weltbank verpflichtet, bei ihren Investitionen gegen die Armut auch den Klimaschutz zu berücksichtigen. Tatsächlich aber hat die Weltbank-Gruppe laut einem neuen NGO-Report seit dem Pariser Klimaabkommen vor sieben Jahren weltweit 14,8 Milliarden US-Dollar an direkter Finanzierung für fossile Energieprojekte zur Verfügung gestellt. Was sind die Klima-Bekenntnisse des Finanzsektors wert?

Das Ergebnis der Untersuchung ist erschütternd. Aber die Weltbank ist nicht die Finanzwirtschaft. Hier vollzieht sich nach meiner Wahrnehmung ein Umdenken und auch ein faktischer Wandel, der aber viel zu langsam und oft nicht konsequent genug ist.

Hier braucht es klare, transparente Kriterien, was eine wirklich nachhaltige Investition auszeichnet. Die Taxonomie der EU, wo Erdgas und Atomenergie als nachhaltige Energie betrachtet werden, ist dagegen ein Trauerspiel.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Überrascht hat mich, leider negativ, dass in Politik, Medien und einem Großteil der Gesellschaft fast nur über die Atomkraft diskutiert wird. Nach dem Rauswurf der FDP aus dem Landtag von Niedersachsen und dem Nein des Grünen-Parteitags zum Weiterbetrieb über den April hinaus wird es wohl zu einem Showdown zwischen FDP und Grünen in den nächsten Tagen oder Wochen kommen.

Werden Lindner und Habeck eine Lösung finden? Ich weiß es nicht. Meine Empfehlung an beide lautet: Kümmert euch mehr um Energieeinsparung, Energieeffizienz und den Ausbau der Erneuerbaren!

Wenn es um jede Kilowattstunde geht, dürfen keine Windräder bei Starkwind mehr abgeschaltet werden, sondern der überschüssige Strom muss in Wärme umgewandelt werden. Der Anreiz zum Energiesparen muss noch stärker gesetzt werden, wie zum Beispiel beim erwähnten Gaspreisdeckel. Es müssen alle bürokratischen Hürden abgebaut werden, die die private Energiewende be- oder gar verhindern – nicht nur bei den Balkonkraftwerken.

Und wir brauchen endlich ein genehmigungsfreies Repowering. Das heißt, alte Wind- oder Solarstromanlagen können ohne neue Genehmigung durch leistungsfähigere Anlagen ersetzt werden. Das würde sehr schnell eine Vervielfachung des Ertrages aus Wind- und Solaranlagen bedeuten – bis zum Faktor fünf – und uns schnell unabhängig von Putin oder Scheichs machen.

Und für alle besonders wichtig: Die Preise für Energie würden wieder drastisch sinken.

Fragen: Jörg Staude

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