Modernes, vollverkleidetes E-Lastenrad fährt durch die Berliner Friedrichstraße.
Die GLS-Bank fördert schon seit Jahrzehnten Energiewende-Projekte, aktuell zum Beispiel E-Logistik. (Foto: Janine Graubaum/Onomotion)

Klimareporter°: Herr Jorberg, eine große Zeitung nannte Sie kürzlich den "ersten Ökobänker". Wie viele andere, die sich seit Jahren für Nachhaltigkeit und Klimaschutz einsetzen, hatten Sie große Erwartungen an die erste Ampel-Koalition der bundesdeutschen Geschichte. Sind die nach den ersten 100 Tagen Regierungszeit erfüllt oder enttäuscht worden?

Thomas Jorberg: Wegen des Krieges gegen die Ukraine muss man die 100-Tage-Bilanz sehr vorsichtig beurteilen. Die neue Regierung muss unter wahnsinnig schwierigen Umständen arbeiten.

Allerdings: Was die Transformation unserer Gesellschaft betrifft, hat die Koalition letztendlich kein klares Bild von der Zukunft. Auch beim Klimaschutz ist kein ausreichender Plan sichtbar.

Deswegen reagiert sie jetzt auch auf die steigenden Energiepreise ohne ein wirkliches Konzept. Dass wir so hohe Energiepreise haben, könnte auch eine Chance für den Klimaschutz ein. Denn der Preis sorgt dafür, dass sich sofort jede Energieeinsparung, jede regenerative Energieerzeugung und jede Art von Speicherung rechnet.

Die Situation müsste aber durch einen echten Sozialtransfer für Bezieher niedriger Einkommen entschärft werden. Ich nenne das nicht Energiegeld wie die Grünen, sondern Transformationsgeld. Durch diesen Zuschuss sollen ärmere Haushalte die Möglichkeit erhalten, aktiv am klimaneutralen Umbau der Gesellschaft teilzuhaben. Damit wäre ein wesentlicher Beitrag zur Lösung des sozialen Problems geleistet und der Markt könnte über den Preis das ökologische Problem lösen.

Wer bremst denn in der Koalition?

Die größte Enttäuschung ist für mich die FDP. Nicht, dass ich auf diese Partei die größten Hoffnungen gesetzt habe. Aber ich hatte erwartet, dass sich zumindest die mehr interventionistischen Neigungen der Grünen mit den marktwirtschaftlichen der FDP ausgleichen – das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Christian Lindner, FDP-Chef und Finanzminister, will mit dem Tankrabatt offenbar das Einmaleins der Marktwirtschaft über Bord werfen.

Den Tankrabatt lehnen Sie strikt ab?

Der Vorschlag ist Unfug. Der Tankrabatt ist ein Bürokratiemonster und kommt denen zugute, die den meisten Sprit verbrauchen. Daran, dass das gerade die Bezieher von Niedrigeinkommen sind, kann man berechtigte Zweifel haben. Und schließlich hebelt der Rabatt den Markt aus.

Normalerweise würden sich durch hohe Preise die nachgefragten Mengen reduzieren. Das würde den Preis wieder nach unten schicken. Beides wird ja von der Politik angestrebt, sowohl die Mengen- als auch die Preisreduktion. Aber die FDP scheint Marktwirtschaft komplett vergessen zu haben.

Der Preis wird, meine Prognose, übrigens wieder schneller unter zwei Euro pro Liter sinken, als Lindner das Tankgeld einführen kann. Jedenfalls so lange wir noch Gas und Öl aus Russland beziehen.

Was wäre denn Ihre Alternative?

Schon vor dem Ukraine-Krieg war ich der Meinung, dass wir einen Mindestenergiepreis brauchen. Dazu sollen die bekannten Instrumente wie die CO2-Abgabe dienen.

Und dann ist eben ein Transformationsgeld nötig. Das ist die richtige Antwort. Das Energiegeld ist viel zu kurz gegriffen. Denn im Zuge des Umbaus zur Klimaneutralität wird sich nicht allein die Energie verteuern, sondern im Grunde anteilmäßig jedes Produkt. Alles, wo Energie drinsteckt, wird teurer werden. Die global gestörten Lieferketten wirken darüber hinaus ebenfalls preiserhöhend.

Die Leute benötigten dieses Transformationsgeld aber doch schnell. Ist das machbar?

Eher jedenfalls, als wenn jede Tankstelle die Belege sammelt, um sie dann beim Finanzamt einzureichen.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil von der SPD hat jetzt ein Mobilitätsgeld ins Spiel gebracht. Das soll mit steigendem Einkommen sinken, und ab 4.000 Euro Monatsbrutto gibt es keinen Zuschuss. Ist das sinnvoller als der Tanknachlass?

Es geht nicht nur um die Spritpreise. Die Energiepreissteigerungen wirken sich dort nur am sichtbarsten und schnellsten aus. Aber auch Lebensmittel, Heizen, Metall und letztendlich fast alle Produkte sind betroffen. Mobilität ist nur der Anfang.

Aber das Prinzip, einen einkommensabhängigen Pauschalbetrag zu zahlen, geht in die richtige Richtung.

Die GLS Bank will so wirtschaften, dass sie ab 2023 mit ihren Geschäften den Pariser 1,5-Grad-Pfad einhält. Viele Unternehmen verkünden derzeit Ähnliches und wollen klimaneutral werden, teilweise bis 2030. Zugleich steigen aber global und in Deutschland die CO2-Emissionen wieder an. Sind die ganzen Versprechen der Wirtschaft nur Greenwashing?

Auch wenn es oftmals noch Greenwashing ist, sehe ich diese Entwicklung grundsätzlich positiv. Wenn dem Fake das Make folgt, soll es mir recht sein.

Thomas Jorberg

ist Vorstands­sprecher der GLS Gemeinschafts­bank, einer genossen­schaftlichen Ökobank mit Sitz in Bochum. Der Ökonom ist seit 1986 in der anthroposophisch orientierten Bank tätig, die nach strengen sozial-ökologischen Kriterien arbeitet und auch zahlreiche Erneuerbare-Energien-Projekte finanziert.

Der Trend wird sich aber definitiv erst dann durchsetzen, wenn wir in der Wirtschaft die entsprechenden Rahmenbedingungen haben und die Preise für das Entsorgen von CO2 in der Atmosphäre nicht billiger sind als CO2-Vermeidung.

An der GLS Bank allein wird die Welt nicht genesen. Deswegen brauchen wir veränderte marktwirtschaftliche Rahmenbedingungen, und die wichtigste ist die CO2-Bepreisung. Wichtig wäre auch, die nötigen Finanzmittel zu akquirieren für die Transformation, die vor uns liegt. Diesen Rahmen muss die Politik setzen, sonst wird sich nichts nachhaltig verändern.

Im Moment geschieht das Umgekehrte: Die Politik denkt sich alle möglichen reaktiven Einzelmaßnahmen aus. Die Reihenfolge ist einfach falsch. Zuerst müssen die Rahmenbedingungen verändert werden – wie zum Beispiel hin zu einem effektiven CO2-Preis. Und dann müssen – aber nur dort, wo nötig – einzelne, befristete Subventionen erfolgen.

Die jüngst vom Umweltbundesamt vorgelegte deutsche Klimabilanz für 2021 zeigt, dass es vor allem bei zwei Sektoren hapert: Gebäude und Verkehr. Die haben ihr Klimaziel verfehlt. Was muss da geschehen, und was können Banken dafür tun?

Da hilft, was die Europäische Zentralbank und auch die deutsche Bankenaufsicht, die Bafin, den Banken auferlegt haben: dass diese bei ihren Kunden die Risiken der Transformation auf- und dann auch abdecken müssen.

Von jedem Kreditnehmer ist eine Abschätzung vorzunehmen: Welchen Einfluss werden die Risiken des Klimawandels haben, wenn zum Beispiel in Überschwemmungsgebieten gebaut werden soll oder Agrarbetriebe von Trockenheit betroffen werden können?

Beim Einfamilienhaus ist zu fragen: Wie lange wird die Ölheizung zulässig sein? Oder bei einem Stahlwerk: Wie lange kann es noch traditionell betrieben werden, bevor auf Wasserstoff umgestellt werden muss? Im Grunde genommen muss jedes Geschäft den aktuell hohen Energiepreisen gerecht und unter Umständen CO2-sparend angepasst werden, um wirtschaftlich zukunftsfähig zu sein.

Da gibt es dann ein hohes Risiko für "Stranded Assets". Und das können wir den Kunden spiegeln. Das fängt eben beim Privathaushalt an, geht über die Biolandwirtschaft bis zur Industrie. Da können wir als Bank zu den Kunden sagen: Das ist nicht mehr 1,5-Grad-kompatibel. Und dann über die Finanzierung entsprechender Umbau-Investitionen sprechen. Das zeigt: Unter Risikoaspekten gesehen, können Banken sehr viel tun.

Ein neues Haus am Elbufer, das überschwemmt werden könnte, würde die GLS Bank nicht finanzieren?

Jemand, der so viel Geld hat, um in den Elbauen zu bauen, wird gar nicht bei uns mit einer Finanzierungsanfrage landen – wenn er denn überhaupt bei einer Bank landet. Wir finanzieren vor allem Sozialimmobilien, wo es eher um Frage geht, ob die Miete bezahlbar ist.

Ein klimaneutraler Bau rechnet sich ganz anders, wenn der Energiepreis so hoch bleibt, wie er heute ist. Nur über diesen Hebel wird sich etwas verändern lassen.

Ihre Bank hat jüngst die Bafin kritisiert, weil die staatliche Bankenaufsicht künftige Risiken unterschätze, die sich aus dem Klimawandel und der Umstellung auf eine nachhaltige Entwicklung ergeben. Die Bafin warnt doch aber in dem betreffenden Risikobericht vor Immobilien-Wertverlusten bei Extremwetter, bei fossilen Investitionen oder bei offensichtlichem Greenwashing. Was fehlt Ihnen da noch?

Es fehlt an Geschwindigkeit. Zentralbanken in Großbritannien, Frankreich und auch die Europäische Zentralbank sind da schon weiter. Klimastresstests wurden zum Teil bereits durchgeführt oder sind konkret in Planung.

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