Klimareporter°: Frau Kemfert, die deutsche Wirtschaft läuft schwach, die Bundesregierung erwartet nur 0,2 Prozent Wachstum. Wirtschaftsverbände fordern neben niedrigeren Steuern und Bürokratieabbau dringend auch niedrigere Energiepreise. Was sollte hier geschehen?

Claudia Kemfert: Die Energiepreise sind nur deswegen hoch, weil wir zu lange an fossilem Erdgas hängen, was bei hohen Gaspreisen in der Verstromung auch die Elektrizitätspreise erhöht. Fossile Energien treiben die Energiepreise nach oben, wir bezahlen den Preis der verschleppten Energiewende.

 

Die Industrie kann vor allen Dingen vom schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien profitieren, vom Energiesparen und von der schnelleren Transformation weg von fossiler Energie. Nur darin sollte man sie unterstützen.

Neben dem Bürokratieabbau spielt vor allen Dingen die Digitalisierung eine zentrale Rolle.

Die Ampel geht davon aus, dass der Strompreis sinken wird, wenn die Erneuerbaren nur stark genug ausgebaut sind. So zumindest Kanzler Scholz und Wirtschaftsminister Habeck. Ist das realistisch? Und wann kann man damit rechnen?

Es ist richtig, dass der schnellere Ausbau erneuerbarer Energien den Strompreis an der Börse senkt. Nur, das muss auch bei den Verbrauchern ankommen.

Leider setzt die Bundesregierung völlig unnötigerweise auf einen überdimensionierten Ausbau von fossiler Infrastruktur, Stichwort LNG-Terminals. Das zu lange Festhalten an fossilem Erdgas macht die Strompreise teuer und lässt sie nicht sinken.

Allerdings sind die Kosten für neue Strom-Fernleitungen und -Speicher sowie Reservekraftwerke, die im Erneuerbaren-System gebraucht werden, sehr hoch. Verhindert das nicht den "Öko-Billigstrom"?

Fossile und atomare Energien sind alles andere als billig, ein aus erneuerbaren Energien hergestellter Strom ist vergleichsweise preiswert. Wird dieser Ökostrom sofort und effizient eingesetzt, beispielsweise in der Elektromobilität oder der Wärmepumpe, senkt dies die Energiekosten enorm.

Je intelligenter, sparsamer, dezentraler, flexibler und effizienter das Stromsystem ist, desto weniger Leitungen und Speicher sind nötig, desto geringer die Kosten, desto billiger der Strom. Und: Je mehr teure Gaskraftwerke im System sind, desto teurer wird es.

Unterdessen werden die Rufe nach einem Wiedereinstieg in die Atomkraft lauter. Der Chef des Chemieverbandes VCI, Markus Steilemann, hat jüngst gefordert, drei bis sechs der zuletzt stillgelegten AKW wieder ans Netz zu nehmen, um günstigen Grundlaststrom zu erzeugen. Auch die FDP sowie Union und AfD sind dafür. Nicht überlegenswert?

Foto: Oliver Betke

Claudia Kemfert

leitet die Energie­abteilung am Deutschen Institut für Wirtschafts­forschung (DIW). Sie ist Professorin für Energie­wirtschaft und Energie­politik an der Universität Lüneburg, außerdem Vize-Vorsitzende des Sach­verständigen­rats für Umwelt­fragen der Bundes­regierung und Heraus­geber­rats­mitglied von Klimareporter°.

Nein. Selbst die Atomkraftwerksbetreiber wollen die Atomkraft nicht mehr. Aus gutem Grund: Die Zeit der Atomkraft ist abgelaufen. Sie ist eine Technik von gestern. Statt teuren und risikoreichen Militärtechnologien hinterherzulaufen, sollten wir den deutlich preiswerteren und risikoarmen Friedenstechnologien, den erneuerbaren Energien, den Weg ebnen.

Was halten Sie von den geplanten Mini-AKW, die viele auch hierzulande als Lösung ansehen?

Nichts, da sie keine Lösung darstellen. Bisherige Projekte wurden mangels Umsetzbarkeit eingestampft. Es handelt sich nicht um eine neue, sondern uralte Technologie, die weder risikoarm noch preiswert ist.

Fakt ist, dass Deutschland vom Stromexport- zum -importland geworden ist, vor allem, seit die 2022 in Serie abgeschalteten französischen AKW zum Großteil repariert sind und wieder laufen ...

Fakt ist, dass Deutschland jederzeit in der Lage ist, seinen Strombedarf durch heimische Energien zu decken. Dass wir temporär Strom importiert haben, hat etwas mit Energiehandel zu tun: Unsere Kohlekraftwerke sind aufgrund des hohen CO2-Preises vergleichsweise teuer. Es ist preiswerter, vergleichsweise billigeren Erneuerbaren-Strom aus Dänemark, Norwegen oder den Niederlanden zu importieren.

Der französische staatliche Stromkonzern EDF hat gerade einen Rekordgewinn von über zehn Milliarden Euro gemeldet, trotz der hohen Kosten für die Reparaturen und für seine AKW-Neubauten in Frankreich und Großbritannien. Ist der Atomstrom also doch nicht so teuer?

Absolut nein. Atomstrom ist irre teuer. Die Atomtechnologie verursacht enorme Kosten, wie man an den Kostenexplosionen der Neubauprojekte aktuell in England beobachten kann.

EDF ist ein hoch verschuldeter und daher verstaatlichter Konzern. Diese hohen Schulden scheinen nun etwas abgemildert zu sein, dennoch sind sie da. Ohne die hohen staatlichen Subventionen wäre der Konzern längst pleite und vom Markt verschwunden.

Wer wird am Ende billigeren Strom haben – Deutschland oder Frankreich?

Eindeutig Deutschland. Ein Energiesystem basierend auf erneuerbaren Energien ist deutlich preiswerter als eines mit Atomstrom. Ohne massive staatliche Subventionen würde die Atomtechnologie nicht existieren. Diese Subventionen halten den Strompreis künstlich niedrig.

Würden alle Atomkosten eingepreist werden, wäre der Strompreis viel höher. Allein die Tatsache, dass keine Bank ohne Subventionen Atomenergie finanziell unterstützt und keine Versicherung die Risiken absichern würde, zeigt, dass Atomenergie unbezahlbar ist.

Aber läuft die Energiewende hierzulande denn inzwischen schnell genug? Hat die Ampel den Schalter umgelegt?

Die Energiewende nimmt eindeutig Fahrt auf. Aber es gibt Licht und Schatten. Vor allem der Ausbau der erneuerbaren Energien geht voran, insbesondere der von Solarenergie, bei der Windkraft könnte es durchaus noch schneller gehen. Zudem sollten mehr dezentrale, intelligente Netze ausgebaut werden.

Die Gebäudewende ist zu langsam, aber immerhin gibt es nun ein Heizungsgesetz. Im Bereich Verkehr muss deutlich mehr passieren, der Schienenverkehr muss viel mehr unterstützt werden, und es müssen die Vorteile des fossilen Verbrennungsmotors abgebaut werden – Stichwort Diesel- und Dienstwagenprivileg.

Bei der Energiewende spitzt sich derzeit ein weiteres Problem zu: Die hiesigen Solarproduzenten sind wegen der Billigkonkurrenz aus China von der Pleite bedroht. Was sollte die Bundesregierung tun?

Die Bundesregierung sollte alles dafür tun, dass die hiesigen Solarproduzenten nicht pleitegehen, sie sollten unterstützt werden. Zudem muss der Markt vor Dumpingpreisen geschützt werden. Wir sollten außerdem nicht zu abhängig von den Importen aus China werden, sondern vor Ort in der Lage sein, Solarmodule herzustellen. Wir brauchen Resilienz.

 

Selbst aus der Branche kommt aber Ablehnung. Solaranlagen-Verkäufer wie Enpal und 1 Komma 5 Grad halten den geforderten "Resilienzbonus" im EEG, also einen Zuschlag für Produkte aus der EU, für zu teuer und kontraproduktiv. Auch die FDP ist dagegen.

Einige Anbieter am Markt benötigen offenbar die Billigprodukte, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Dennoch ist der Resilienzbonus richtig, weil wir nicht so abhängig von den Importen aus China werden sollten, sondern resilient sein müssen.