Klimareporter°: Herr Sliwjak, Ihre Umweltorganisation Ecodefense wurde schon 2014 von der Putin-Regierung als "ausländischer Agent" eingestuft und war umfangreicher Repression ausgesetzt. Noch vor dem Ausbruch des Ukraine-Krieges mussten Sie ins Exil gehen.

Seitdem hat sich die Situation für oppositionelle Aktivisten in Russland weiter verschlechtert. Wie ist die aktuelle Lage von Ecodefense? Ist es überhaupt noch möglich, in Russland zu agieren?

 

Wladimir Sliwjak: In Russland steht Ecodefense unter enormem Druck. Seit 2014 haben wir über zwanzig Gerichtsverfahren und viele Geldstrafen am Hals, allein 2019 wurden fünf Strafverfahren gegen uns eröffnet. Die meisten unserer Aktivisten mussten das Land verlassen, aber einige konnten aus persönlichen Gründen nicht ausreisen und sind immer noch dort.

Wir setzen unsere Arbeit in Russland fort, die sich auf das Klima, den Naturschutz und die Umweltbildung konzentriert und sich generell gegen fossile Brennstoffe und Atomkraft richtet. Wir haben Leute, die sowohl innerhalb als auch außerhalb des Landes arbeiten.

Letztes Jahr hat Ecodefense beim Obersten Gerichtshof Russlands eine Klimaklage gegen die russische Regierung eingereicht, der sich eine Reihe von Klimabewegungen, Menschenrechtsaktivisten und indigenen Völkern angeschlossen hat. Das war die erste Sammelklage in der russischen Geschichte zum Thema Klima. Im jetzigen Russland war sie natürlich erfolglos.

Wir legen nun beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Beschwerde ein. Im Moment hält sich die russische Regierung nicht an die Entscheidungen des Menschenrechtsgerichtshofs, aber wir denken dabei nicht nur an die Gegenwart, sondern auch an die Zukunft. Irgendwann wird das faschistische Regime fallen und das Land wieder auf einen fortschrittlichen Kurs kommen. Dann muss eine neue Klimapolitik entwickelt werden. Das ist der Zeitpunkt, auf den es ankommt, und ich glaube, es wird bald so weit sein.

Über unsere weiteren Aktivitäten in Russland kann ich nichts mitteilen, unsere Aktivisten vor Ort wären in Gefahr, wenn Informationen darüber an die Öffentlichkeit gelangen würden.

Der Westen unterstützt die Ukraine mit Waffenlieferungen und Wirtschaftssanktionen gegen den russischen Aggressor. Diese Sanktionen sind, auch in progressiven Kreisen, umstritten, weil sie die russische Bevölkerung treffen und ihr direkter Einfluss auf den Krieg schwer zu belegen ist.

Auch scheint die russische Wirtschaft stabiler zu sein, als viele gehofft haben. Dennoch halten Sie die Sanktionen für wirksam und fordern ihre Verschärfung. Warum?

Die Behauptung, die Sanktionen träfen nur die normalen Menschen und hätten keinen wirklichen Einfluss auf den Krieg, bekommt man täglich im russischen Staatsfernsehen zu hören. Die staatlichen Propagandisten wiederholen diese Aussagen auch deshalb so häufig, weil sie die Europäer davon überzeugen sollen, die Sanktionen aufzuheben. Diese Behauptungen sind Lügen. Ohne die westlichen Sanktionen gäbe es die Ukraine heute nicht mehr.

Bild: Denis Schimmel­pfennig

Wladimir Sliwjak

ist Ko-Vorsitzender von Ecodefense. Die russische Umwelt­organisation setzt sich gegen Atomkraft und Kohle ein. Vor einigen Jahren war Ecodefense mit einer Anti-Kohle-Kampagne in Russland erfolgreich. Auch Proteste gegen den Import von deutschem Atommüll hatten Erfolg. 2021 erhielt Sliwjak den "Alternativen Nobelpreis". Zurzeit lebt er in Deutschland. 

Das Putin-Regime hat durch die Sanktionen sehr gelitten. Ohne die Einnahmen aus den Öl- und Gasexporten hat es viel von dem Geld verloren, das für den Krieg benötigt wird. Auch den Zugang zu wichtigen technischen Einzelteilen für den Bau von Waffen hat es dadurch verloren. Jetzt muss Russland schon mit Nordkorea verhandeln und versuchen, dort alte Waffen zu kaufen, die vor Jahrzehnten von der Sowjetunion nach Nordkorea geliefert wurden.

Es stimmt, die Sanktionen haben die russische Wirtschaft nicht zerstört, aber sie haben die Fähigkeit Russlands, moderne Waffen zu produzieren, sehr stark beeinträchtigt und die Einnahmen des russischen Haushalts erheblich reduziert. Die Sanktionen funktionieren also. Es sind aber noch weitere Sanktionen erforderlich, um die verbleibenden Einnahmen des russischen Haushalts aus Öl-, Kohle- und Gasexporten zu stoppen und die Fähigkeit zur Waffenproduktion einzuschränken.

Was die Auswirkungen auf das "einfache Volk" betrifft: Russland ist ein armes Land, weit über die Hälfte der russischen Bevölkerung lebt in schlechten Verhältnissen. Es ist aber Putin, der die Menschen arm gemacht hat, nicht die Sanktionen. Putin ist voll und ganz dafür verantwortlich, dass in Russland ein kapitalistischer Mafiastaat entstanden ist, der immer mehr Menschen in die Armut treibt. Diesen Menschen können die Sanktionen sowieso nichts anhaben, denn sie sind zu arm, um von ihnen getroffen zu werden. Viele von ihnen sagen offen, dass sich für sie nicht viel geändert hat.

Die sogenannte Mittelschicht, die in Russland gar nicht so groß ist, sagt das übrigens auch. Die Preise sind zwar gestiegen, aber nicht so stark, dass sich die Leute ihre Einkäufe nicht mehr leisten können. Das Einzige, was sich wirklich geändert hat, ist, dass die etwas Reicheren nicht mehr nach Europa reisen können. Es stimmt also nicht, dass die Menschen in Russland stark von den Sanktionen betroffen sind. Das sehen sie selbst nicht so.

Das deutsche Importverbot für Kohle, Gas und Öl aus Russland hat hier zu einem beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien geführt, aber auch neue Abhängigkeiten geschaffen. Deutschland importiert nun klimaschädliches LNG aus Staaten, die auch nicht gerade als "zuverlässige Partner" und "lupenreine Demokratien" bekannt sind. Wie sehen Sie den Verzicht auf russische Gas- und Ölimporte unter klimapolitischen Gesichtspunkten?

Ich finde es gut, dass in Deutschland kein russisches Pipeline-Gas mehr importiert wird, dasselbe gilt für Öl und Kohle. Dadurch wird die kritische Abhängigkeit von Russland verringert, einem Land, in dem ein faschistischer Diktator allein alle Entscheidungen trifft. Aber ich halte es für eine schlechte Entscheidung, so viel Flüssigerdgas aus anderen Ländern zu importieren und dafür eine teure Infrastruktur aufzubauen. Ich denke, dass dieses Geld besser in erneuerbare Energien investiert werden sollte. In Russland musste Gazprom seine Erdgasproduktion reduzieren, was sehr gut für das Klima ist.

Während die eng mit der deutschen Wirtschaft und den politischen Eliten verflochtenen russischen Gas- und Ölkonzerne Gazprom und Rosneft hierzulande fast jedem bekannt sind, hört man vom Staatsunternehmen Rosatom, das fast die gesamte zivile und militärische Atomindustrie Russlands kontrolliert, relativ wenig. Das Unternehmen wurde maßgeblich von Putin aufgebaut und stand bis 2016 unter der Leitung von Sergej Kirijenko, der jetzt stellvertretender Vorsitzender der Präsidialverwaltung ist und als möglicher Nachfolger Putins gehandelt wird.

Wie erklären Sie sich, dass Rosatom im politischen Diskurs des Westens derart unterrepräsentiert ist? Warum nimmt der Kampf gegen dieses Unternehmen für Ecodefense eine so wichtige Rolle ein?

Ecodefense war schon immer gegen Kernenergie, und wir haben in der Vergangenheit erfolgreich den Bau einiger Atomreaktoren verhindert. Tatsächlich sind wir die einzige Umweltgruppe in Russland, der es gelungen ist, den Bau von Kernkraftwerken im 21. Jahrhundert zu stoppen.

Protest von Ecodefense gegen neue Atomreaktoren 2003 in Jekaterinburg im Ural. (Bild: Ecodefense)

Die Gründe für unsere Ablehnung sind einfach: Katastrophale Atomunfälle wie in Tschernobyl und Fukushima sind immer möglich und der Atommüll wird für viele tausend Jahre gefährlich bleiben.

Außerdem bindet die Kernkraft Ressourcen, die für die Entwicklung erneuerbarer Energien benötigt werden – was auch bedeutet, dass die Kernkraft schlecht für das Klima ist. Aus Klimasicht ist es viel effektiver, in erneuerbare Energien zu investieren als in die Kernkraft.

Rosatom ist Teil der russischen Regierung, es ist nichts anderes als das ehemalige Atomenergie-Ministerium Russlands. 2007 änderte Putin die Bezeichnung für Rosatom in "Staatsunternehmen" und nun untersteht es direkt dem Präsidenten, der auch den Direktor ernennt.

Kirijenko ist nach wie vor Vorstandsvorsitzender von Rosatom und als Vizechef der Präsidialverwaltung im Grunde für alles verantwortlich, was der Kreml in der russischen Politik tut – Wahlen, Repression gegen die Opposition und so weiter. Rosatom ist für die Entwicklung der russischen Atomwaffen und für den Bau von Atomreaktoren in der ganzen Welt zuständig, die aus dem Staatshaushalt finanziert werden.

Gerade jetzt ist es für Ecodefense wichtig, den Widerstand gegen Rosatom zu organisieren, nicht nur weil es ein nukleares Monster ist, sondern auch weil es ein Instrument des russischen Imperialismus und des Krieges ist.

Leider gibt es innerhalb der Europäischen Union eine starke Lobby für Rosatom. Es ist nicht nur die Atomindustrie – vor allem das französische Unternehmen Framatome tut sich hier hervor­ –, die Rosatom als lukrativen Partner behalten will. Es sind auch Staaten wie Ungarn, die russische Atomreaktoren bauen wollen, weil sie dafür Geld aus Moskau erhalten haben – 2014 wurde Ungarn ein Darlehen von zehn Milliarden Euro gewährt. Frankreich und Ungarn arbeiten zusammen, um jegliche Sanktionen gegen Rosatom in der EU zu verhindern.

Ich denke, es gibt mächtige europäische Kräfte, die wollen, dass das Thema der europäischen Abhängigkeit von Rosatom nicht diskutiert wird. Sie hoffen, dass ihr Geschäft mit Rosatom von den Sanktionen unberührt bleibt. Letztendlich geht es um Geld, aber die Unternehmen spielen ein sehr gefährliches Spiel, indem sie die nukleare Abhängigkeit von Moskau verstärken. Das könnte schlimme Folgen haben.

Bei einem Vortrag in Berlin sagten Sie, Rosatom diene Putin als geostrategisches Instrument, um andere Länder wie Bangladesch oder Ägypten in eine Abhängigkeit zu führen. Was haben Sie damit gemeint?

Wenn Rosatom von Putin beauftragt wird, neue Kernreaktoren in Entwicklungsländern zu bauen, erhalten diese in der Regel ein Darlehen aus Russland dafür. Insgesamt hat Putin etwa 100 Milliarden Dollar für ausländische Projekte von Rosatom bereitgestellt. Aber diese Länder sind meistens arm und können das Geld nicht zurückzahlen. Das führt zu Verschuldung und finanzieller Abhängigkeit.

Putin weiß das genau, er gibt ihnen das Geld trotzdem, um geopolitischen Einfluss zu gewinnen. Er baut damit eine Koalition von Entwicklungsländern auf, die sich verlässlich dem Westen widersetzen, weil sie von Russland abhängig sind. Man kann anhand von Ungarn sehen, wie das funktioniert: Präsident Orban versucht, so viele russische Sanktionen in der EU zu blockieren, wie er kann.

Fünf östliche EU-Länder betreiben Atomreaktoren mit Brennstoff aus Russland. Im Bild das tschechische AKW Dukovany. (Bild: Petr Pavlíček/​IAEA/​Flickr)

Der Bau eines russischen Reaktors in einem Land bedeutet, dass sich dieses Land für ein Jahrhundert oder länger in extreme Abhängigkeit begibt. Es wird über Generationen hinweg von russischen Ingenieuren, Ausrüstungen, Technologien und Brennstoffen abhängig sein, ohne eine Alternative zu haben.

Es wird auch wahrscheinlich nie in der Lage sein, diese "Zusammenarbeit" zu beenden, weil es sonst seine Hauptenergiequelle verlieren würde und sich nur mit Geld freikaufen könnte, das es nicht hat. Und die Ungarn sind nicht einmal die allerärmsten. Doch es gibt kaum einen Ausweg aus einer von Russland kontrollierten Kernenergieabhängigkeit.

Rosatom repräsentiert wie kein anderes Unternehmen den "militärisch-industriellen Komplex" des russischen Staates. Die Ereignisse im besetzten ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja haben gezeigt, dass das Unternehmen direkt in Kriegsverbrechen verwickelt ist. Ukrainische Mitarbeiter, die nicht mit den Besatzern kollaborieren wollten, wurden entführt, gefoltert und sogar getötet.

Auch für die russischen Atombomben, die Putin immer wieder als Bedrohung ins Feld führt, ist Rosatom verantwortlich. Muss das Unternehmen nicht als integraler Bestandteil der russischen Kriegsführung betrachtet werden?

Rosatom ist eindeutig ein Instrument des Krieges in der Ukraine. Das Unternehmen hat das Kernkraftwerk Saporischschja übernommen, das nun nach russischem Recht ihm gehört. Rosatom hat auch die Ukrainer dort gezwungen, neue Verträge zu unterzeichnen. Außerdem beliefert Rosatom die russischen Militärfirmen mit Material für den Bau von Panzern und Raketen. Deshalb müssen gegen Rosatom Sanktionen verhängt werden, es ist ein staatliches Militärunternehmen.

Bislang gibt es aber keine europäischen Sanktionen gegen Rosatom. Unternehmen wie Siemens und Framatome halten ihre Zusammenarbeit aufrecht und berufen sich auf Verträge, die vor dem Krieg geschlossen wurden. Während Siemens die Steuerungstechnik für Atomkraftwerke liefert, will Framatome mit Rosatom in Deutschland Brennstäbe für die alten Atomkraftwerke russischer Bauart produzieren.

Im Frühjahr hatten Sie aber von einem Umdenken in Europa im Umgang mit Rosatom gesprochen. Was ist seitdem geschehen?

Die Probleme mit Siemens Energy und Framatome bestehen nach wie vor, aber wir können auch eine gewisse Bewegung in Europa erkennen, um die Abhängigkeit von Rosatom zu beenden. Fünf Länder – Finnland, Ungarn, Bulgarien, Tschechien und die Slowakei – sind von russischem Kernbrennstoff abhängig und es gibt keinen alternativen Lieferanten, zumindest gab es vor dem Krieg keine. Und das war einer der Hauptgründe, warum Europa nie Sanktionen gegen Rosatom eingeführt hat.

Jetzt sehen wir, dass diese Länder versuchen, von Rosatom wegzukommen, weil es nun einen alternativen Lieferanten gibt, der versprochen hat, nächstes Jahr Brennstoff bereitzustellen. Gleichzeitig plant Ungarn immer noch den Bau von russischen Reaktoren, und wenn diese fertig sind, wird Europa wieder von russischem Brennstoff abhängig sein, denn Rosatom wird hier einen ganz neuen Reaktortyp bauen und dann als Einziger wissen, wie man den Brennstoff dafür herstellt.

Es ist nicht zu erklären, warum die EU-Kommission das zulässt. In Russland nennen wir das "den Fuchs in den Hühnerstall lassen". Kein Wunder, dass Putin Europa für schwach und wehrlos hält.

Noch vor Kurzem war Russland ein dankbarer Abnehmer von deutschem Atommüll. Ecodefense hat über die katastrophalen Bedingungen aufgeklärt, unter denen das radioaktive Material in Russland transportiert und gelagert wird. Glauben Sie, dass Deutschland nun dauerhaft nach anderen Endlagern suchen muss – oder werden bald wieder Züge mit abgereichertem Uran von Gronau nach Russland rollen?

Kurz nach Beginn des Krieges erklärte Urenco – das Unternehmen, das die Uranabfälle lieferte –, dass es jegliche Zusammenarbeit mit Russland einstellen werde. Es ist schwer vorherzusagen, ob und wann sich diese Position ändern wird. Wenn man sich ansieht, wie die französische Industrie ihre Zusammenarbeit mit Rosatom fortsetzt, halte ich es für durchaus möglich, dass die Transporte von abgereichertem Uran von Deutschland nach Russland eines Tages wieder aufgenommen werden.

Wladimir Sliwjak beim Protest gegen die fortgesetzte Urananreicherung durch Urenco im westfälischen Gronau. (Bild: Anti Atom Aktuell)

Urenco hatte schon 1996 mit den Transporten von Uranabfällen nach Russland begonnen. Sie wurden in vier verschiedene Urananlagen verbracht: in die Regionen Jekaterinburg, Irkutsk, Tomsk und Krasnojarsk. Insgesamt wurden über 150.000 Tonnen nach Russland transportiert. Dabei handelt es sich um hoch gefährliche Abfälle, durch die nach Angaben von Wissenschaftlern Menschen in einer Entfernung von bis zu 30 Kilometern sterben können, wenn nur einer der Container geöffnet wird.

In russischen Anlagen werden diese Container unter freiem Himmel gelagert. Man kann sogar Fotos davon auf Google Earth finden. In der Vergangenheit, als die russische Regierung noch offen Informationen zur Verfügung stellte, erhielten wir viele Dokumente, die bestätigten, dass einige dieser Behälter ziemlich ramponiert aussahen und dass Lecks daher immer möglich sind.

Dieses schöne Geschäft wurde lange Zeit geheim gehalten, bis wir im Jahr 2004 Informationen darüber erhielten. Zusammen mit der deutschen Anti-Atom-Gruppe Sofa Münster startete Ecodefense eine Kampagne, um gegen die Uranabfalltransporte nach Russland zu protestieren. Im Jahr 2009 wurden die Transporte schließlich gestoppt und Rosatom versprach öffentlich, nie wieder damit anzufangen.

Dieses Versprechen wurde 2019 gebrochen und die Transporte gingen weiter. Erneut gab es Proteste in Russland und Deutschland. Im Jahr 2020 wurden die Transporte wieder gestoppt. Ich hoffe, für immer.

Sie haben einmal gesagt, dass der Klimawandel im öffentlichen Bewusstsein in Russland so gut wie keine Rolle spielt. Liegt das allein daran, dass die russischen Medien unter staatlicher Kontrolle stehen und Umweltgruppen behindert und unterdrückt werden? Welche Erfahrungen hat Ecodefense bei der Sensibilisierung der Bevölkerung für die Gefahren der Klimakatastrophe gemacht?

Für Klimaaktivisten ist die Arbeit in Russland schon immer sehr schwer. Die Regierung will, dass die Menschen an alle möglichen Verschwörungstheorien glauben, aber nicht an wissenschaftliche Fakten. Das liegt daran, dass Russland vom Geld aus dem Export fossiler Brennstoffe abhängig ist. Russland ist ein Staat, in dem Regierung und Großindustrie nicht voneinander getrennt sind. Es sind stets die gleichen Leute – eine staatliche Mafia.

Aktivisten können immer noch auf lokaler Ebene Sensibilisierungskampagnen durchführen und die Menschen würden auch positiv reagieren, zumindest war das vor dem Krieg so.

Ecodefense hat zum Beispiel ein Küstengebiet intensiv überwacht, um zu zeigen, dass es aufgrund des Klimawandels dort mehr Stürme gibt und diese stärker und zerstörerischer werden. Die Vermittlung der Ergebnisse hat in der Erwachsenenbildung sehr gut funktioniert. Ecodefense hat in der Vergangenheit auch viel mit Schulen und Lehrern bei der Klimabildung zusammengearbeitet, aber jetzt hat die Regierung auch das verboten.

Aktivisten können noch immer versuchen, vor Gericht gegen die Regierung zu klagen, wie wir es letztes Jahr getan haben. Das war für uns auch eine Möglichkeit, Informationen über das Klima zu verbreiten. Es gibt immer einen Weg. Aber es ist auch wahr, dass unsere Chancen nicht besonders groß sind, denn die Regierung versucht aggressiv, uns zu stoppen. Wenn sie die Klimaaktivisten in Ruhe arbeiten lassen würde, könnten wir viel erreichen. Aber sie sehen uns als Bedrohung ihrer Herrschaft.

Zumindest im Nordosten Sibiriens, wo die Sommer länger und heißer werden und der Permafrostboden auftaut, müsste die Bevölkerung doch ein Bewusstsein für den Klimawandel entwickelt haben. Immerhin fallen dort ganze Häuser in sich zusammen, ganz abgesehen von den freigesetzten Treibhausgasen.

Es ist nicht schwer, eine Bestätigung für den Klimawandel zu finden, vor allem, wenn man danach sucht. Und in einer Demokratie können die Menschen von den Politikern tatsächlich Informationen zu einer solchen Sache verlangen. Aber in einer Diktatur ist die öffentliche Meinung nicht so wichtig. Die Menschen sind dort von der Entscheidungsfindung ausgeschlossen.

Im Jahr 2004 noch möglich: Kundgebung für demokratische Rechte am Parlament in Moskau. (Bild: Ecodefense)

Wenn theoretisch auch nur 50 Prozent der Russen anfangen würden, etwas von Putin zu fordern, würde er es sofort tun. Das Problem ist, dass Informationen nur dann geteilt werden können, wenn der Diktator es billigt. Um sich zu wehren, müssen die Menschen daran glauben, dass ihre Aktionen etwas bewirken können.

Das Ziel jedes Diktators ist es aber, die Menschen glauben zu lassen, dass sie machtlos sind und sowieso nichts erreichen können. Putin hat dies auf brillante Weise erreicht. 99 Prozent der Russen sind sich sicher, dass sie völlig machtlos sind.

Im Moment ist es schwer vorstellbar, dass Russland seine autoritäre Regierung loswird und zu einer demokratisch-ökologischen Gesellschaft wird. Doch ohne das größte Land der Erde wird die globale Klimakatastrophe nicht aufzuhalten sein.

Ein von außen aufgezwungener Regimewechsel ist nicht realistisch und widerspricht auch der Forderung nach einem "Wandel von unten". Wie kann die dringend notwendige Transformation der russischen Gesellschaft noch gelingen? Und wenn sie gelingt, ist es dann nicht schon zu spät?

Es ist das erste Mal in der Geschichte von Putins Russland, dass die Emissionen zurückgehen, und das ist auf die Sanktionen zurückzuführen. Das kann man anhand von Satellitenbildern aus dem letzten Jahr erkennen.

Das Putin-Regime wird niemals echte Klimaschutzmaßnahmen ergreifen. Nur wenn es fällt, kann es dafür eine Chance geben.

Ich glaube nicht, dass eine von Putin befreite russische Bevölkerung gegen "den Westen" sein wird. Die Russen verstehen mehr oder weniger, was vor sich geht und wer den Krieg begonnen hat. Genau wie beim Klimawandel geht es darum, Verantwortung zu übernehmen. Das Ziel ist es, die Russen dazu zu bringen, Verantwortung zu übernehmen. Und dafür brauchen wir einen verdammt guten Plan.

Die Lage in Russland und der Ukraine erscheint deprimierend und hoffnungslos. Dennoch wirken Sie optimistisch. Worauf gründet sich Ihre Zuversicht?

Ich bin im Exil und werde, solange das Putin-Regime besteht, nicht nach Russland zurückkehren können. Ich möchte aber nach Hause, weil ich meine Heimat liebe. Ich muss also einfach an den Wandel glauben. Es ist eine Tatsache, dass es in Russland immer dann große Veränderungen gab, wenn niemand sie vorhergesehen hat. Das ist eine rein historische Erfahrung.

Wie können die Leserinnen und Leser von Klimareporter° die Arbeit von Ecodefense unterstützen?

Sie können für unsere Arbeit spenden. Sie können uns auch unterstützen, indem sie unsere Informationen in Zeitungen oder in den sozialen Medien verbreiten.

Das Interview erschien zuerst in einer längeren Fassung in der Berliner Umweltzeitung Der Rabe Ralf.

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