Die Energiewende nimmt nach rund zwei Jahren Ampel-Bundesregierung Fahrt auf. Deutschland steuert auf ein absolutes Rekordjahr beim Ausbau der Solarenergie zu. Bis zur Jahreswende dürften nach einer aktuellen Hochrechnung eine Million neue Solaranlagen mit einer Gesamt-Nennleistung von 13.000 Megawatt neu installiert werden.

Auch der Windkraft-Zuwachs hat sich verbessert, ist aber noch weit vom früheren Höchststand entfernt (siehe Kasten unten).

 

Der Boom bei der Photovoltaik übertrifft bereits jetzt das Ausbauziel von 9.000 Megawatt, das die Ampel für das Gesamtjahr gesetzt hat. Bis Ende August waren über 700.000 neue Solaranlagen mit 9.200 Megawatt in Betrieb gegangen, wie eine Auswertung von Daten der Bundesnetzagentur mit Stand von Ende September durch das Internationale Wirtschaftsforum Regenerative Energien (IWR) in Münster zeigt.

"Schreibt man das bisherige Photovoltaik-Zubauwachstum in Deutschland bis Jahresende fort, dann werden 2023 über eine Million neue Solaranlagen mit rund 13.000 Megawatt Solarleistung in Betrieb gehen", sagte IWR-Chef Norbert Allnoch.

Insgesamt klettert die Zahl der Anlagen in Deutschland auf über 3,3 Millionen. Die installierte Solarleistung liegt nun bei rund 76.500 Megawatt. "Das hohe Solarwachstum zeigt anschaulich, dass die Energiewende in Deutschland bei den Menschen angekommen und zu einem Mitmachprojekt geworden ist", meinte Allnoch.

Unternehmen legen sich eigene Solaranlagen zu

Mit dem Rekordkurs erfährt der Solarsektor eine erstaunliche Wiederbelebung. Der bisherige Ausbaurekord stammt von 2012, als Anlagen mit knapp 8.200 Megawatt installiert wurden. Diese Marke wurde in diesem Jahr bereits nach acht Monaten überschritten.

Die Gründe für das hohe Wachstum sind Allnoch zufolge vielschichtig. "Ein Trend ist der schon fast unglaubliche Boom bei kleinen Balkon-Solaranlagen im Privatsektor aufgrund der gesunkenen Preise für Solarmodule", sagte er.

Unternehmen installieren Photovoltaik-Anlagen, um die Energiekosten besser kalkulierbar zu machen. (Bild: Peter Arnold Wallantin/​Pxhere)

Zudem legten sich Industrie- und Gewerbetriebe immer häufiger eigene Solaranlagen zu, um sich vor unverhofften Preissprüngen auf dem Strommarkt wie 2022 zu schützen. Ihr Ziel sei, "damit preiswerten Strom für den Eigenverbrauch zu produzieren und so deutlich besser planen und kalkulieren zu können", erläutert Allnoch.

Ein weiterer Grund für den Boom ist die Streichung der Mehrwertsteuer auf Solaranlagen Anfang des Jahres durch die Ampel, was immerhin 19 Prozent einspart.

Um das Ziel der Bundesregierung von 80 Prozent Ökostrom bis 2030 zu erreichen, müssen die Installationsraten freilich noch stärker steigen. Für 2026 zum Beispiel plant die Ampel 22.000 Megawatt Zuwachs, also noch einmal 70 Prozent mehr als für 2023 erwartet.

Der Solarausbau war nach 2012 eingebrochen, und zwar vor allem aufgrund von starken Förderkürzungen durch die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung unter Angela Merkel (CDU). Der Tiefstand wurde dann 2014 mit nur noch knapp 1.200 Megawatt erreicht, und zunächst fand nur eine langsame Erholung statt. 2022 waren es dann wieder 7.100 Megawatt, und 2023 könnte es nun fast eine Verdoppelung davon geben.

Die Module kommen aus China

Ein Problem ist allerdings, dass, anders als in den Boomjahren 2010 bis 2012, die hierzulande verbauten Solarzellen- und Module zum weit überwiegenden Teil nicht mehr aus Deutschland und Europa stammen, sondern aus Asien, vor allem aus China. Das ostasiatische Land liefert laut dem Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg heute weltweit 90 Prozent des Ausgangsstoffes der Solarzellenfertigung, Polysilizium. Bei den Solarzellen sind es 91 und bei den fertigen Modulen rund 80 Prozent.

Die hiesige Solarindustrie, die mit Abstand Weltmarktführer gewesen war, ging nach 2012 fast komplett pleite, rund 130.000 Jobs gingen verloren. Inzwischen haben sich einige Photovoltaik-Unternehmen mit Standorten in Deutschland zwar wieder erfolgreich auf dem Markt positioniert, darunter die Firmen Meyer Burger, Heckert Solar, Solarwatt und Axsun. Versuche, die Branche in großem Stil wiederzubeleben, sind aber noch nicht weit gediehen.

Zuletzt hatte ein Konsortium um den Chemnitzer Modulproduzenten Heckert Solar angekündigt, in Ostdeutschland eine Solarproduktion für 5.000 Megawatt jährlich hochziehen zu wollen, und sich um eine Förderung beim Bundeswirtschaftsministerium beworben. Mit dem Projekt solle "vor allem eine größere Unabhängigkeit von globalen Anbietern" erreicht werden, hieß es in der Ankündigung. Auch die EU unterstützt den Wiederaufbau einer europäischen Solarindustrie.

Erschwert wird das derzeit allerdings durch zwei Faktoren. Einerseits locken die USA Solarproduzenten mit hohen Subventionen im Rahmen vom Bidens "Inflation Reduction Act", weswegen zum Beispiel der Schweizer Solarzellen-Hersteller Meyer Burger seine neue Fabrik dort und nicht wie ursprünglich geplant in Deutschland bauen will.

"Unfairer Wettbewerb"

Andererseits herrscht derzeit auf dem Modulmarkt ein veritabler Preiskrieg, der die Rentabilität neuer Fabriken infrage stellt und sogar die Sorge vor Pleiten umgehen lässt. Photovoltaikmodule sind innerhalb eines halben Jahres um mehr als 35 Prozent billiger geworden, sie kosten im Schnitt derzeit nur noch 15 Cent pro Watt installierter Leistung.

Modulfabrik in China. (Bild: AE Solar/​Wikimedia Commons)

Europäische Solarhersteller haben deswegen unlängst einen Brandbrief an die EU-Kommission und das EU-Parlament geschrieben: "Wenn jetzt nichts passiert, ist das Risiko groß, dass europäische Solarproduzenten in den nächsten Monaten massive Probleme bekommen werden, manche sogar insolvent gehen", heißt es darin.

Unterzeichnet haben 40 Unternehmen, darunter auch Meyer Burger und Heckert Solar. "Die gesamte europäische Solarindustrie wird seit einigen Monaten Opfer eines noch nie da gewesenen Preiskriegs", sagte Meyer Burger-Chef Gunter Erfurt dazu.

Wie kritisch die Lage ist, unterstreicht die Bewertung des Experten Jochen Rentsch vom Fraunhofer ISE. Laut den Berechnungen seines Instituts bieten chinesische Hersteller mit Preisen von 15 Cent pro Watt ihre Ware unter den Selbstkosten an. "Der Vorwurf des unfairen Wettbewerbs scheint daher gerechtfertigt", sagte Rentsch.

Das heißt: China versucht seine Marktstellung mit aller Macht durch Dumpingpreise zu verteidigen. Ein zweischneidiges Schwert: Der aktuelle Solarboom beschleunigt sich, weil die Anlagenpreise fallen, doch die Abhängigkeit von Chinas Industrie wird zementiert.

Brüssel und Berlin müssen sich dringend etwas einfallen lassen, wenn sie letzteres nicht länger wollen.

Gebremster Windkraftausbau

Die Ampel-Regierung will den Erneuerbaren-Anteil am Strommix bis 2030 von derzeit gut 50 auf 80 Prozent erhöhen. Dazu muss neben der Photovoltaik auch die Windkraft an Land und auf See stark ausgebaut werden – zumal die beiden Energieformen sich jahreszeitlich tendenziell gut ergänzen: Die Solarenergie liefert im Sommerhalbjahr viel Strom, die Windkraft hat ihre Spitzen im Winterhalbjahr.

Doch während die Photovoltaik bereits boomt, entwickelt sich der zuletzt schleppende Ausbau der Windkraft nicht so wie erhofft.

Die Ampel plant mit einem jährlichen Windkraft-Plus von 10.000 Megawatt ab 2025, was einen gewaltigen Hochlauf bedeuten würde. Bisher lag der Rekord bei 6.500 Megawatt, erreicht im Jahr 2017. Ein Tiefpunkt kam 2019 mit nur noch 1.650 Megawatt.

Noch 2022 wurden mit 2.100 Megawatt ähnlich wenig neue Windkraftanlagen aufgestellt. Im ersten Halbjahr 2023 sah es etwas besser aus, es kamen 420 Anlagen mit 2.080 Megawatt hinzu, hochgerechnet auf das ganze Jahr wäre das eine Verdopplung.

Um die 10.000er Marke zu erreichen, müssten Genehmigungs- und Bauzeiten aber noch deutlich verkürzt werden. Vor allem die süddeutschen Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg haben hier Nachholbedarf.

 

Biogas stagniert

Die Energieerzeugung aus Biogas, die seit 2000 durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz stark gefördert worden war, stagniert derzeit bei 5.900 Megawatt. Im vorigen Jahr verringerte sich die verfügbare Leistung sogar erstmals, wenn auch nur leicht.

Die Biogas-Nutzung in den bundesweit rund 8.600 Anlagen ist umstritten, weil darin zu rund 75 Prozent eigens angebaute Energiepflanzen wie Mais genutzt werden, wofür viel Agrarfläche gebraucht wird.

Einige Fachleute argumentieren allerdings, dass sie als flexible Partner für die Solar- und Windenergie eingesetzt werden könnten. Sie würden dann wie Gaskraftwerke in Zeiten der sogenannten Dunkelflaute Strom liefern, und zwar über einen längeren Zeitraum, als das mit Batterien und Pumpspeichern möglich ist.

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