Flüssigerdgas-Tanker vor einem LNG-Terminal an der Ostseeküste. (Bild: Wojciech Wrzesień/​Shutterstock)

Entgegen allen Anstrengungen zum fossilen Ausstieg steht die Flüssigerdgas-Industrie vor einem beispiellosen Aufschwung. Das zeigen aktuelle Daten der Global Oil & Gas Exit List (Gogel) der Umweltorganisation Urgewald.

Demnach planen Öl- und Gasunternehmen, die weltweite LNG-Exportkapazität in den nächsten Jahren um 162 Prozent zu erhöhen, also um mehr als das Anderthalbfache. Darin einberechnet sind alle LNG-Projekte, die bereits endgültig beschlossen sind und umgesetzt werden, erläuterte Klara Butz von Urgewald am Samstag vor Medienvertretern auf der UN-Klimakonferenz COP 28 in Dubai.

Derzeit bauten weltweit nahezu 250 Unternehmen im Rekordtempo ihre LNG-Kapazitäten aus, so Butz. An der Spitze der LNG-Expansion stehen Venture Global aus den USA, Nowatek aus Russland und Qatar Energy aus Katar (siehe Grafik unten).

Global zeichnen sich dabei zwei LNG-"Hotspots" ab: einer an der US-Golfküste, die die größte Exportregion für Energie werden soll – dank 21 neuer LNG-Anlagen. Diese Infrastruktur trägt zu 41 Prozent zu dem bei Gogel dokumentierten weltweiten LNG-Exportboom bei. Der Löwenanteil des fossilen Gases, das von diesen Terminals exportiert werden soll, stammt dabei aus dem Permian Basin, dem Herzen der US-Fracking-Industrie.

LNG-Boom gefährdet Ernährung und Energiewende in Südostasien

Vor einem enormen Ausbau steht auch die weltweite LNG-Importstruktur. Diese soll in den nächsten Jahren aber "nur" um 70 Prozent zulegen. Zum größten Import-Hub der Welt und damit zweiten LNG-Hotspot entwickelt sich dabei laut der Gogel-Liste der asiatische Kontinent, insbesondere Südostasien.

Die am stärksten expandierenden LNG-Exporteure der Welt (in Millionen Tonnen Gas pro Jahr). (Bild: Gogel/​Urgewald)

Der von Finanzinstituten und Staaten der Region, aber etwa auch aus Deutschland finanzierte LNG-Boom blockiere dort die Energiewende, kritisierte in Dubai Gerry Arances, Direktor beim Center for Energy, Ecology and Development (CEED), eines in den Philippinen ansässigen Thinktanks.

Arances wies darauf hin, dass Südostasien auch ein Hotspot der Biodiversität ist. Die Küsten und Meere zu schützen, sei für die Menschen dort entscheidend. Ihre Proteinversorgung hänge zu 60 Prozent von maritimen Ressourcen ab, betonte der CEED-Chef. Diese Ressourcen zu schützen, sei für sehr viele Menschen auf den Philippinen buchstäblich eine Frage von Leben oder Tod.

Auf dem Klimagipfel werde viel darüber geredet, was das Gas den Regionen bringen werde, zum Beispiel Fortschritt und Jobs, sagte Arances. Davon hätten die Menschen aber noch nichts gesehen.

Parlamentarische Initiative für Ausbaumoratorium

Gegen den überdimensionierten Ausbau der weltweiten LNG-Infrastruktur rufen jetzt Mitglieder der Parliamentarians for a Fossil Fuel Free Future ein parteiübergreifendes internationales Bündnis ins Leben. Sie fordern den sofortigen Stopp neuer LNG-Infrastruktur.

Initiatoren der Kampagne sind die Senatorin Rosa Galvez aus Kanada, Senator Edward Markey aus den USA und die Bundestagsabgeordnete Lisa Badum von den Grünen. Die drei Parlamentarier stellten die Anti-LNG-Kampagne und einen entsprechenden offenen Brief am Samstag auf dem Klimagipfel in Dubai vor.

Obwohl sich nahezu 40 Länder und Finanzinstitute 2021 auf dem Klimagipfel in Glasgow verpflichtet haben, die Unterstützung internationaler fossiler Projekte bis Ende 2022 einzustellen, steuere die Welt jetzt auf einen massiven Ausbau der LNG-Infrastruktur zu, heißt es in dem Brief. Schon heute würden die in Europa neu hinzukommenden Importkapazitäten die Nachfrage übersteigen und die bisher per Pipeline gelieferten Erdgasmengen übertreffen.

COP 28 in Dubai

Bei der 28. UN-Klimakonferenz in den Vereinigten Arabischen Emiraten geht es um ein verbindliches Ausstiegsdatum aus den fossilen Energien. Klimareporter° ist mit einem Team vor Ort und berichtet mehrmals täglich.

Gegen solche LNG-Pläne sprächen klare wirtschaftliche Gründe, betonen die Initiatoren weiter. Die Nachfrage nach Öl, Gas und Kohle werde in diesem Jahrzehnt voraussichtlich ihren Höhepunkt erreichen und dann sinken.

Entsprechend seien fossile Infrastrukturprojekte schon in naher Zukunft "Stranded Assets", verlorene Vermögenswerte, wird im Schreiben gewarnt. Stattdessen müssten öffentliche wie private Mittel in saubere Energietechnologien gelenkt werden. Gefordert wird abschließend ein sofortiges Moratorium für den Ausbau der LNG-Infrastruktur.

Den offenen Brief haben bisher mehr als 20 weitere Parlamentarierinnen und Parlamentarier unterzeichnet, vor allem aus Kanada, Großbritannien, Australien und Neuseeland. Diese Länder haben die Glasgower Verpflichtung ebenfalls unterzeichnet. Die Initiatoren werben nun weltweit um weitere Unterstützung für ihre Forderung nach einem LNG-Moratorium.

LNG im "Teufelskreis" von Import und Export

Bei der Präsentation der Kampagne am Samstag kritisierte US-Senator Edward Markey, dass seit dem Pariser Klimaabkommen weltweit fast 5.500 Milliarden US-Dollar an privater Finanzierung in fossile Brennstoffprojekte gingen. Zudem hätten die Regierungen seitdem die rekordverdächtige Summe von 7.000 Milliarden Dollar an Subventionen für fossile Projekte gezahlt.

"Wir müssen uns von den fossilen Brennstoffen auf diesem Planeten verabschieden, wenn wir ihn retten wollen", betonte Markey, der auch Mitinitiator des Green New Deal in den USA ist. Stattdessen sollten Mittel für saubere Energie und Klimaanpassung bereitgestellt werden. Der Senator warnte davor, dass der laufende Weltklimagipfel in Dubai immer mehr Gefahr laufe, von den Interessen der großen Ölkonzerne dominiert zu werden.

Seine Unterstützung für die Anti-LNG-Kampagne begründete der Senator so: Man könne der Welt nicht sagen, sie solle mit fossilen Energien aufhören, wenn man zugleich im eigenen Land eine völlig neue LNG-Exportkapazität aufbaue.

Mitinitiatorin Lisa Badum ging bei der Vorstellung der LNG-Initiative auch auf die widersprüchliche Entwicklung in Deutschland ein. Deutschland könne jetzt doppelt so viel LNG-Gas importieren, als vor dem Ukraine-Krieg per Pipeline aus Russland eingeführt wurde, sagte Badum. "Das ist ein Rückschlag", betonte sie.

 

Gerade in Europa werde mehr LNG-Infrastruktur gebaut als nötig, so Badum weiter. Für den Betrieb der Importterminals würden zudem langfristige Verträge abgeschlossen. Das führe wiederum zum Ausbau der Exportstruktur. Letztlich entstehe so ein "Teufelskreis" zwischen Import- und Exportländern. Die weltweite Überkapazität bei LNG bezifferte Badum auf 500 Millionen Tonnen Gas.

Die Parliamentarians for a Fossil Fuel Free Future haben derzeit nach eigenen Angaben weltweit 850 Mitglieder aus 85 Parlamenten.