Klimareporter°: Frau Reemtsma, wenn Sie den gegenwärtigen Protest Hunderttausender gegen Rechtsextremismus erleben, müssten Sie neidisch werden. Eine solche Breitenwirkung hat Fridays for Future bisher nicht erzielt. Oder?

Carla Reemtsma: Der große Protest gegen rechts, den wir gerade erleben, ist auf gar keinen Fall ein Anlass für Neid. Es ist aus unserer Sicht ganz, ganz wichtig, dass so viele Menschen auf die Straße gehen, um universelle und zentrale Menschenrechte zu verteidigen. An vielen Orten in Deutschland sind die Gruppen von Fridays for Future auch Teil dieser Proteste.

Seit mehr als fünf Jahren ist Fridays for Future jetzt aktiv, seit 2019 sind Sie selbst an führender Stelle an der Organisation von Demonstrationen und Aktionen beteiligt. Wie hat sich die Bewegung entwickelt?

Wir haben in den vergangenen fünf Jahren ganz unterschiedliche Dynamiken von Protest erlebt. Das begann mit den spontanen Klimastreiks in den Jahren 2018 und 2019, es folgten Kampagnen für den Kohleausstieg, für klimagerechte Konjunkturpakete und aktuell für gute Arbeitsbedingungen im ÖPNV. Es ist uns gelungen, bereits fünf Jahre in Folge Hunderttausende von Menschen in Deutschland zu mobilisieren.

Wo steht Ihre Bewegung heute?

Wir entwickeln uns stetig weiter – von den spontanen Aktionen in der Anfangszeit hin zur inhaltlichen Arbeit, bei der wir uns zum Beispiel mit konkreten Gesetzen der Bundesregierung wie dem geplanten Klimaschutzgesetz kritisch auseinandersetzen. Unsere Arbeit zeigt Wirkung: In Umfragen urteilen vier von fünf Befragten, dass Klimaschutz ein zentrales Thema ist und die Bundesregierung in Sachen Klimaschutz einfach viel zu wenig tut.

Gleichzeitig haben wir begonnen, andere Formen des Protests zu entwickeln. Wir vernetzen uns zunehmend mit Gewerkschaften wie Verdi und streiken an der Seite von Bus- und Bahnfahrer:innen für bessere Arbeitsbedingungen. Die Ökologie und der soziale Protest gehören zusammen.

Genau das haben Kritiker ja stets an Fridays for Future bemängelt: dass es Ihnen an einer sozialen Dimension bei Ihren Protesten mangelt, dass der Klimaprotest sich um die Lebensbedingungen der Menschen nicht kümmert.

Genau das war schon immer falsch. Fridays for Future ist von Anfang an für sozialen Klimaschutz auf die Straße gegangen. Um unsere Anliegen zu diskreditieren, wurde uns beispielsweise unterstellt, wir wollten den Menschen das Auto wegnehmen, wir wollten Autos verbieten lassen. Das wollten wir nie.

Ist der Schulterschluss mit den Gewerkschaften also die Strategie für die Zukunft?

Der Schulterschluss mit den Gewerkschaften ist eine Strategie. Es ist für unsere Bewegung aber nicht der einzige Weg. Fridays for Future arbeitet regional an ganz unterschiedlichen Projekten.

In Hamburg arbeiten Aktivist:innen am Zukunftsentscheid, um die Stadt früher klimaneutral zu machen, in Niedersachsen protestieren lokale Gruppen gegen den geplanten Ausbau von drei Autobahnen. Um nicht nur Aufmerksamkeit für Klimaschutz zu erreichen, sondern auch die Umsetzung zu stärken, vernetzen wir uns immer stärker mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen.

Aber der Zuspruch für Fridays for Future hat doch insgesamt abgenommen.

Ich will die Sache nicht schönreden. Die Versammlungsverbote und Kontaktbeschränkungen der Corona-Pandemie haben Fridays for Future definitiv getroffen. Auch der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine Anfang 2022 und die damit verbundenen Preissteigerungen sind an uns nicht spurlos vorübergegangen.

Gleichzeitig sehen wir, dass die Klimakrise weiter zentrales Thema für viele ist: Bei den Klimastreiks im Herbst 2023 sind mehr als 200.000 Menschen auf die Straßen gegangen.

Es geht also weiter für Fridays for Future?

Definitiv. Unser Kampf geht weiter.

Sie haben eine neue, radikale Konkurrenz bekommen, die Aktivistinnen und Aktivisten der "Letzten Generation", die mit Aktionen wie Straßenblockaden und Angriffen auf Kunstwerken in Museen von sich reden machten. Wie ist Ihre Haltung zur "Letzten Generation"?

Ich persönlich finde es krass, dass Menschen das Gefühl haben, dass sie zu solch drastischen Mitteln greifen müssen. Dass die Aktivistinnen und Aktivisten dabei ihre körperliche Unversehrtheit aufs Spiel setzen, finde ich schockierend.

Wie beurteilen Sie diese Formen des Protests?

Foto: Markus Hurek

Carla Reemtsma

hat die Jugend­klima­bewegung "Fridays for Future" in Deutsch­land mit­gegründet. Sie ist in Berlin auf­gewachsen und studiert Politik und Wirtschaft.

In der Geschichte der Protestbewegungen wurden immer wieder die Grenzen des zivilen Ungehorsams überschritten.

Im Rheinland haben Aktivist:innen von Ende Gelände Kohlebagger blockiert, um für den Kohleausstieg zu kämpfen, wir haben Demos daneben an der Tagebaukante organisiert. Bei Fridays for Future haben wir uns bewusst für die Form des Massenprotests entschieden, damit unsere Klimastreiks für viele zugänglich sind.

Die Justizbehörden gehen, namentlich in Bayern, mit großem Nachdruck gegen die "Letzte Generation" vor. Sie wird von Staatsanwaltschaften als kriminelle Vereinigung eingestuft. Das Landgericht München kam zu dem Urteil, dafür bestehe zumindest ein Anfangsverdacht, weil zum Beispiel Verkehrsteilnehmer durch Blockaden genötigt worden seien.

Ganz grundsätzlich hat die Repression gegen die Klimabewegung in Deutschland stark zugenommen. Das trifft uns auch.

Amnesty International hat jetzt Deutschland als ein Land eingestuft, in dem die Versammlungsfreiheit zunehmend eingeschränkt werde, zum Beispiel durch Präventivhaft. Auch wurde im Zuge der Ermittlungen gegen die "Letzte Generation" unsere Druckerei in München durchsucht. Das alles ist juristisch nicht haltbar und nicht hinnehmbar.

Von Kritikern wird oft der Eindruck erzeugt, Fridays for Future sei vor allem ein Phänomen der westlichen Bundesländer, während die Bewegung im deutschen Osten überhaupt nicht Fuß fasse. Trifft das zu?

Nein, das ist falsch. Tatsächlich gibt es viele Ortsgruppen von Fridays for Future auch in den östlichen Bundesländern. Richtig ist, dass wir uns im Osten mit anderen Gegnern auseinandersetzen müssen. Wenn wir dort auftreten, organisieren schon mal Nazis eine Gegendemonstration.

 

Die Europawahl im Juni 2024 rückt näher. Es folgen im September drei Landtagswahlen in ostdeutschen Bundesländern. Und im Herbst 2025 steht die nächste Bundestagswahl an. Wie bereitet sich Fridays for Future vor?

Vor der Europawahl ist es ganz zentral, dafür zu werben, dass die Menschen überhaupt wählen gehen. Das wird ein wichtiges Ziel unserer Aktionen sein. Eine niedrige Wahlbeteiligung hilft den rechtsextremen Kräften.

Im Lauf des Jahres 2024 werden wir außerdem auf Bundesebene weiter dafür kämpfen, dass das Klimaschutzgesetz von der Bundesregierung nicht immer mehr verwässert wird. Dafür müssen wir öffentliche Aufmerksamkeit erzeugen.

Die Bundestagswahl 2025 steht am Horizont, das ist richtig. Klar ist, dass Fridays for Future auch im Bundestagswahljahr 2025 für konsequenten und sozialen Klimaschutz laut sein wird. Wie das im Detail aussehen wird, daran arbeiten wir noch. Das ist noch offen.

Anzeige