Im Juni wird ein neues EU-Parlament gewählt. Es droht ein Rechtsruck. (Bild: Europäisches Parlament)

2024 ist das größte Wahljahr der Geschichte. In über 70 Ländern wird gewählt und dabei der Kurs für die internationale Klimapolitik der nächsten Jahre vorgezeichnet.

Neben diversen nationalen Wahlen in europäischen Staaten – Präsidentschaftswahl in der Slowakei und Finnland, Parlamentswahlen in Portugal, Belgien, Österreich und aller Voraussicht nach Großbritannien – dürfen Anfang Juni auch 350 Millionen Menschen in der EU ihre Stimme abgeben.

Es wird ein neues EU-Parlament gewählt, das dann wiederum die Europäische Kommission, also das EU-Pendant einer nationalen Regierung, bestimmt.

Vor einigen Tagen hat sich die Kommission für ein neues Klimaziel ausgesprochen – eine Senkung der Treibhausgasemissionen bis 2040 um 90 Prozent. Damit würde sich die EU ein weiteres Zwischenziel auf ihrem Weg zur Klimaneutralität bis Mitte des Jahrhunderts setzen.

Angesichts der historischen Verantwortung Europas drängen viele Umweltverbände und die Klimabewegung darauf, bereits für 2040 Klimaneutralität anzupeilen. Auch plant die EU keinen Ausstieg aus den fossilen Energien bis 2050, sondern setzt auf die umstrittene CCS-Technologie zur CO2-Abscheidung und -Speicherung.

Gegenwärtig ist die EU nicht auf einem Paris-konformen Klimakurs, heißt es in einem Bericht des Europäischen Wissenschaftlichen Beirats. Der Staatenbund muss in den kommenden Jahren seine Treibhausgase doppelt so schnell reduzieren wie bisher, um die eigenen Klimaziele zu erreichen.

Folgerichtig bewertete die Forschungsinitiative Climate Action Tracker die Klimapolitik der EU mit dem Prädikat "Insufficient" – ungenügend.

Nicht alle Rechten leugnen den Klimawandel

Doch selbst diese "ungenügende" Klimapolitik steht bei den kommenden Wahlen auf dem Spiel. Rechte Politik ist in Europa im Aufwind. Das belegen Wahlprognosen.

In Österreich ist die rechtspopulistische FPÖ laut Hochrechnungen mit deutlichem Abstand die stärkste Partei, in Frankreich führt die rechtsextreme Partei Rassemblement National (früher Front National) die Umfragen an und auch in Deutschland springt die AfD von Umfragehoch zu Umfragehoch.

In Schweden und Finnland sind rechtspopulistische Parteien an der Regierung beteiligt, wenngleich in Schweden nur indirekt, indem die Regierung von den rechtspopulistischen Schwedendemokraten toleriert und dadurch ermöglicht wird. Mit Giorgia Meloni von den Fratelli d'Italia (Brüder Italiens) und Viktor Orbán von der Fidesz-Partei führen zwei rechtspopulistische bis rechtsextreme Politiker:innen die Regierungen Italiens und Ungarns an.

Ob der Rechtspopulist Geert Wilders in den Niederlanden eine Regierungskoalition bilden kann, ist ungewiss. Mit seiner Partij voor de Vrijheid (Partei für die Freiheit) ging er im vergangenen November als stärkste Kraft aus den Parlamentswahlen hervor.

Ein kleiner Lichtblick war die Wahlniederlage der rechtsradikalen PiS-Regierung in Polen. Im Koalitionsvertrag der neuen Regierung unter Premierminister Donald Tusk spielt der Klima- und Umweltschutz eine durchaus prominente Rolle. Besonders die Windenergie soll massiv ausgebaut werden.  

Anders als die AfD oder die FPÖ in Österreich leugnen längst nicht alle rechten Parteien den menschengemachten Klimawandel. Die italienische Ministerpräsidentin Meloni nannte den Klimawandel etwa die "größte Herausforderung unserer Generation".

Aus ihrem Kabinett werden zwar auch immer wieder wissenschaftsleugnende Stimmen laut, aber bisher hält Italiens rechte Regierung an dem EU-Ziel fest, Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen.

Konservative und Rechte rücken zusammen

Trotz dieser Differenzen im rechten Lager Europas ist unter Expert:innen unstrittig, dass ein Rechtsruck im EU-Parlament eine Katastrophe für die Klimapolitik wäre.

"An uns kommt im nächsten Europaparlament niemand mehr vorbei", beschwor die AfD beim Europa-Parteitag in Magdeburg ihre neue Stärke. Sie will, wie auch die anderen rechten Parteien in Europa, ihren nationalen Bedeutungsgewinn auf der EU-Ebene fortsetzen.

Es gibt zwei rechte Fraktionen im EU-Parlament. Die EKR-Fraktion (Europäische Konservative und Reformer) mit der polnischen PiS-Partei und der italienischen Fratelli d'Italia stellt gegenwärtig 66 der 720 Abgeordneten. Die ID-Fraktion (Identität und Demokratie) mit der italienischen Lega, dem französischen Rassemblement National, der österreichischen FPÖ und der AfD machen 62 Abgeordnete aus.

Superwahljahr 2024

In dieser Serie setzt sich Klimareporter° mit den klimapolitischen Implikationen der anstehenden Wahlen auseinander. Welche Tendenzen lassen sich erkennen, welche Rolle spielt das Klima und welche Konsequenzen lassen sich daraus ziehen? Und letztendlich die immer mitschwingende Frage: Sind unsere etablierten Politsysteme fähig, mit der Klimakrise umzugehen?

Die ID-Fraktion ist in ihren Inhalten tendenziell extremer und europakritischer als die EKR-Fraktion. Expert:innen gehen davon aus, dass beide Fraktionen in der kommenden Wahl auf jeweils 80 bis 90 Sitze kommen und damit gemeinsam knapp 180 Abgeordnete stellen könnten.

Hinzu kommt, dass die EVP (Europäische Volkspartei) als stärkste Fraktion immer mehr auf einen klimaschutzkritischen Kurs einschwenkt. Der Fraktionsvorsitzende Manfred Weber, der auch CSU-Vizechef ist, wirbt um eine Zusammenarbeit mit Giorgia Meloni.

"Der Chef der Konservativen, Manfred Weber, möchte Kernelemente des Green Deal zurückdrehen. Er arbeitet an einer Klimablockade von rechts", sagt der Grünen-Abgeordnete Michael Bloss im Gespräch mit Klimareporter°.

Nichtwähler:innen könnten wahlentscheidend sein

Für Bloss steht das klimapolitische Vermächtnis der gegenwärtigen Legislatur auf dem Spiel: "Starkes Klimaschutzgesetz, der Green Deal, die Verschärfung des Emissionshandels, die zum Kohleausstieg führt, das Ende des Verbrenners", zählt er auf.

Es gibt im EU-Parlament keinen Fraktionszwang. Das Abstimmverhalten kann deshalb je nach Themenfeld sehr unterschiedlich ausfallen. Progressive Klimapolitik lehnen sowohl die Abgeordneten der rechten Fraktionen als auch einige in den konservativen und liberalen Fraktionen ab.

Die Gefahr eines klimapolitischen Rollbacks scheint also durchaus real. Hoffnung machen Bloss die großen Demonstrationen gegen rechts in Deutschland. "Diese Dynamik gegen den Rechtsruck müssen wir verstärken."

An den vergangenen Wochenenden waren bundesweit mehrmals über eine Million Menschen gegen Rechtsextremismus auf den Straßen.

Wenn sich bisherige Nichtwähler:innen für eine pragmatische Wahl gegen Rechts mobilisieren ließen, hätte das durchaus Potenzial. Bei der EU-Wahl 2019 machte nur die Hälfte aller Wahlberechtigten von ihrem Wahlrecht Gebrauch.

"Die Europawahl wird eine Abstimmung darüber sein, ob wir die Klimapolitik fortführen und unsere Gesellschaft nach vorne bringen oder ob wir in die fossile Vergangenheit zurückfallen", warnt Michael Bloss.

In der nächsten Legislaturperiode stehen wichtige Entscheidungen an. Es sollen große Investitionspakete in den Ausbau der Erneuerbaren und das europäische Stromnetz beschlossen werden. Eine Reform der Agrarförderung steht auf dem Plan und ein Ende fossiler Subventionen.

Dazu kommen verschiedene sektorspezifische Strategien wie ein Aktionsplan für Kreislaufwirtschaft, eine neue Strategie für nachhaltige Mobilität und ein Klimageld auf europäischer Ebene.