Unter der Maske von Verkehrsminister Volker Wissing (rechts) verbirgt sich Aktivist Moritz Sieghart, daneben Carla Hinrichs als Olaf Scholz. (Bild: Laura König)

"Ich müsste meinen Minister Volker Wissing eigentlich dazu anhalten, ein Sofortprogramm vorzulegen, aber ich habe ihn öffentlich aufgerufen, das Gesetz zu brechen", sagt Olaf Scholz heute in Berlin. Allerdings tritt der Bundeskanzler nicht persönlich auf – Klimaaktivistin Carla Hinrichs hat sich als Scholz verkleidet.

Neben ihr sitzen zwei weitere Aktivist:innen der "Letzten Generation". Sie tragen Anzüge und Masken mit den Gesichtern von Verkehrsminister Wissing und Wirtschaftsminister Habeck. Ein Banner mit der Aufschrift "Wir brechen das Gesetz" strecken sie den Autofahrer:innen an diesem Freitagmorgen entgegen.

Kurz vor acht haben die etwa 15 Aktivist:innen drei Fahrbahnen am Großen Stern mit der Siegessäule im Berliner Tiergarten blockiert. Einige von ihnen klebten sich mit Sekundenkleber an der Fahrbahn fest.

Auch an zwei anderen Orten in Berlin und in 26 weiteren Städten fanden insgesamt drei Dutzend Sitzblockaden statt. Die Gruppe wirft der Bundesregierung vor, ihr eigenes Klimaschutzgesetz zu brechen, und kritisiert, dass das Verkehrsministerium vom Erreichen der Sektorziele ausgenommen wird.

Juristisch gibt es keine Handhabe mehr

Mitte Juni hatte das Bundeskabinett eine stark kritisierte Reform des Klimagesetzes beschlossen, ein Entwurf von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Die darin festgelegten Klimaziele bleiben zwar unverändert, jedoch wurden die Einsparziele der einzelnen Sektoren aus dem Gesetz gestrichen – und damit auch die verpflichtenden sektorspezifischen Sofortprogramme.

Wird künftig das Klimaziel in einem Sektor verfehlt, muss das zuständige Ministerium kein Programm mit Sofortmaßnahmen mehr vorlegen. Stattdessen ist die gesamte Bundesregierung zum Gegensteuern angehalten.

Das trifft auf das Verkehrsministerium von Volker Wissing (FDP) zu: Der Expertenrat der Bundesregierung bestätigte im April, dass die Klimaziele des Verkehrssektors im letzten Jahr verfehlt wurden – wie übrigens auch die Ziele im Gebäudebereich, wo Bauministerin Klara Geywitz (SPD) verantwortlich ist.

Ein Sofortprogramm legte der Verkehrsminister allerdings nicht vor, und das muss er durch die Gesetzesänderung auch nicht mehr. Es kann nun nicht mehr juristisch gegen einzelne Ministerien vorgegangen werden, wenn sie die Klimaziele für ihr Ressort verfehlen.

"Wer bricht wirklich das Gesetz?"

Carla Hinrichs sitzt im Anzug auf der Straße, an der sie ihre Hand festgeklebt hat, neben ihr kniet eine Polizistin mit blauen Handschuhen und versucht den Kleber zu lösen.
Eine Polizistin löst den Kleber, mit dem sich Carla Hinrichs an der Straße festgeklebt hat. Daraufhin wird sie weggetragen. (Bild: Laura König)

"Wir Klimaaktivist:innen werden hier vom Asphalt geräumt, während Volker Wissing weiter daran festklebt", erklärt ein Aktivist mit einer Maske des Ministers. Eva, die ebenfalls zur Letzten Generation gehört und nur ihren Vornamen nennen will, steht am Rand der Blockade und ergänzt: "Die Frage, die wir der Republik stellen, ist: Wer bricht wirklich das Gesetz?"

Seien es "Menschen, die sich friedlich, ohne jemandem wehzutun, auf die Straße setzen, oder die Bundesregierung, die es erlaubt, dass das Verkehrsministerium einfach ausgenommen wird vom Erreichen der Sektorziele?", fragt sie. Es könne nicht sein, "dass Herr Wissing einfach sagen kann: Ich will nicht."

Sie fordert aber auch, in allen Bereichen entschiedener gegen die Klimakrise zu handeln und "radikal durchzugreifen, damit wir noch eine Zukunft haben, in der wir nicht völlig überhitzen und es keine Nahrungsmittel und kein Trinkwasser mehr gibt".

Nicht alle haben Verständnis für die Aktion. Cai Mohr saß im Bus auf dem Weg zur Arbeit, als der Straßenverkehr von den Klimaaktivist:innen aufgehalten wurde. "Wir nutzen ja die öffentlichen Verkehrsmittel und sind im Endeffekt die Leidtragenden", kritisiert er.

Viele Passant:innen bleiben interessiert am Straßenrand stehen und machen Fotos von der Aktion. Auch Heribert Solzbacher, der eine solche Blockade zum ersten Mal miterlebt. Für die Aktionsform hat er kein Verständnis. "Ich halte absolut nichts davon. Was soll das bringen?", fragt er kopfschüttelnd.

Wütende Autofahrer

Zwei Menschen sitzen im Schneidersitz auf der Straße, direkt vor ihnen steht ein silbergraues Auto, aus dem gerade ein älterer Mann aussteigt, der etwas sagt.
Ein Autofahrer fährt nahe an zwei Aktivisten der "Letzten Generation" heran, die eine Straße am Großen Stern in Berlin blockieren. (Bild: Laura König)

Viele der Autofahrer:innen machen mit Hupen und lauten Rufen ihrem Unmut Luft, einige werden dabei beleidigend. Aus vorbeifahrenden Autos hört man Sprüche wie: "Geht erstmal arbeiten" oder "Ich bring euch alle um".

Ein Autofahrer fährt bis auf wenige Zentimeter an zwei der Aktivist:innen heran, die schutzlos auf dem Boden sitzen. Wütend steigt er aus und geht schnellen Schrittes auf sie zu. Er macht Anstalten, eine Aktivistin, die daneben steht, zu umarmen, hält sich dann aber doch zurück und steigt wieder in sein Auto. Von Handgreiflichkeiten bleiben die Aktivist:innen an der Siegessäule verschont.

Ruhiger wird es, als etwa zehn Minuten nach Beginn der Blockade die Polizei eintrifft. Sie fordert die Gruppe auf, die Fahrbahnen freizumachen, weil die öffentliche Sicherheit durch ihr Verhalten unmittelbar gefährdet sei, so die Lautsprecherdurchsage.

Da die Aktivist:innen sich weigern, werden sie nach und nach geräumt. Dafür muss zuerst der Kleber gelöst werden, um die Hände vom Asphalt zu trennen. Eine durchaus schmerzhafte Angelegenheit, wie die Gesichter verraten.

 

Aus Verzweiflung nähmen sie dies bewusst in Kauf, erklärt einer der Aktivisten: "Ich weiß aktuell kein besseres Mittel. Ob es was bringt, wissen wir noch nicht. Ich weiß nur, dass Nichtstun nichts bringt".

Nach einer halben Stunde konnten alle Autos weiterfahren. Nach einer Stunde ist der ganze Große Stern wieder frei. Sichtlich zufrieden stehen die Aktivist:innen der Letzten Generation auf dem Gehweg. Für sie war das heute eine erfolgreiche Aktion. Sie hoffen nun, dass darauf politisches Handeln folgt.

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