Wer seine Hausaufgaben nicht erledigt, bekommt bekanntlich die Quittung dafür. So ergeht es Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) und Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) an diesem Montag. Heute ist der Tag, an dem sie ein Klima-Sofortprogramm hätten vorlegen müssen.
Nach geltender Rechtslage bestehe eine klare gesetzliche Verpflichtung zur Vorlage eines Sofortprogramms, erklärte die Umweltrechtlerin Caroline Douhaire auf einer von Fridays for Future organisierten Pressekonferenz am Montag.
Bereits im April dieses Jahres hatte der von der Bundesregierung berufene Expertenrat für Klimafragen bestätigt, dass 2022 die Emissionsvorgaben in den Bereichen Verkehr und Gebäude verfehlt wurden.
Eigentlich sieht das geltende Klimaschutzgesetz vor, dass das zuständige Ministerium in diesem Fall ein Sofortprogramm vorlegen muss, um die Lücke zum Klimaziel zu schließen. Die Frist dafür endet heute, am 17. Juli.
Beide Ministerien sehen sich jedoch nicht mehr in der Pflicht, ein Sofortprogramm vorzulegen, wie sie auf Nachfrage erklären.
Mit der im Juni vom Bundeskabinett beschlossenen Novelle des Klimagesetzes und den Maßnahmen, die im Entwurf des "Klimaschutzprogramms 2023" vorgelegt wurden, sei die Pflicht zur Vorlage eines Sofortprogramms wegen der Überschreitung in den Vorjahren entfallen, teilt Wissings Ministerium auf Nachfrage mit.
Auch die Sprecherin des Bauministeriums beruft sich auf das Klimaschutzprogramm, um zu begründen, dass kein eigenes Sofortprogramm nötig sei.
"Von Rechtsbruch zu sprechen, ist nicht übertrieben"
Die beiden gesetzlichen Vorlagen sollen nach aktuellem Zeitplan aber erst nach der parlamentarischen Sommerpause vom Bundestag beschlossen werden.
Solange die Abgeordneten noch nicht über die Klimagesetz-Novelle abgestimmt haben, seien die beiden Ministerien verpflichtet, Sofortprogramme vorzulegen, stellt Juristin Douhaire klar. "Es ist nicht übertrieben, wenn man von einem Rechtsbruch spricht. Das Gesetz ist einzuhalten, solange es gültig ist. Wenn man dies nun unterlässt, dann ist das eines Rechtsstaates komplett unwürdig", ergänzt sie.
Deutliche Worte findet auch Fridays-for-Future-Sprecher Pit Terjung: "Wir haben dieses Gesetz erkämpft. Und wir werden nicht dabei zuschauen, wie ein zentraler Erfolg von Fridays for Future zum zahnlosen Papiertiger zurückgestutzt wird."
Terjung fordert die Abgeordneten auf, die Gesetzesnovelle abzulehnen. Auch von der Ampel-Regierung fordert er unmittelbare Konsequenzen: den Rücktritt von Verkehrsminister Wissing und das Vorlegen eines Sofortprogramms.
Wissing sei mittlerweile untragbar geworden, sagte Terjung. Der Minister habe nun schon in mehreren Jahren gezeigt, dass er dieses Amt nicht ausführen wolle. "Arbeitsverweigerung dieses Grades würde in jedem anderen Job ein Kündigungsgrund sein", kritisiert der Aktivist.
Bahn und Rad statt Auto
Weil offensichtlich nicht mehr zu erwarten ist, dass für den Verkehr fristgerecht ein Sofortprogramm vorliegt, hat Fridays for Future selbst einen umfangreichen Vorschlag gemacht.
Darin enthalten: ein Tempolimit von 120 km/h, ein sofortiger Neu- und Ausbaustopp für Autobahnen und Bundesstraßen, autofreie Innenstädte – und auf längere Sicht die Abschaffung des motorisierten Individualverkehrs.
Letzteres erfordere eine Ausbauoffensive für die Schiene und für den Radverkehr, so Fridays for Future. Der öffentliche Verkehr soll nach Ansicht der Aktivist:innen auf lange Sicht kostenlos werden.
Das Sofortprogramm verlangt auch, fossile Subventionen im Verkehr abzuschaffen und stattdessen in die Mobilitätswende zu investieren. Ab 2025 sollen keine Verbrennungsmotoren mehr in Autos eingebaut werden.
Unterstützt wird das alternative Sofortprogramm von Umweltverbänden wie dem BUND. "Was Fridays for Future mit seinem Sofortprogramm vorgelegt hat, ist Common Sense", betont BUND-Klimachef Arne Fellermann am Montag. "Das sind Maßnahmen, die auch von verschiedenen anderen Institutionen zum großen Teil vorgeschlagen wurden. Dahinter stecken Modellierungen und Berechnungen zu CO2-Einsparungen."
Umweltverbände verklagen Bundesregierung
Nicht vergessen dürfe man aber auch die immense Lücke im Gebäudesektor, erklärt Fellermann. Das Gebäudeenergiegesetz reiche nicht aus, um diese Lücke zu schließen.
Der BUND-Experte fordert neben Maßnahmen für neue Heizungen vor allem eine Sanierungsoffensive für bestehende Gebäude. "Wir sehen, dass in der Ampel-Regierung nicht der Wille für ausreichenden Klimaschutz vorhanden ist. Wir brauchen eine Politik, die langfristig gestalten will", stellt Fellermann klar.
Der BUND und die Deutsche Umwelthilfe haben bereits Klagen gegen die Bundesregierung beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eingereicht, sowohl wegen der Novelle des Klimagesetzes als auch wegen des unzureichenden Sofortprogramms.
Verhandelt werden soll darüber im November. Dann wird voraussichtlich das Gericht darüber entscheiden, ob Wissing und Geywitz tatsächlich einen Rechtsbruch begangen haben, indem sie sich einem Sofortprogramm verweigerten.