Claudia Kemfert. (Bild: Oliver Betke)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Claudia Kemfert, Professorin für Energiewirtschaft und Chefin des Energie- und Umweltbereichs am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW.

Klimareporter°: Frau Kemfert, am Freitag verabschiedete der Bundestag den Bundeshaushalt für 2024. Damit fallen 5,5 Milliarden Euro Zuschüsse für die Netzentgelte weg. Auch steigt der nationale CO2-Preis für fossile Brennstoffe auf 45 Euro statt auf 40 Euro pro Tonne CO2. Und immerhin drei Milliarden Euro klimaschädliche Subventionen sollen abgebaut werden. Ist der Haushalt am Ende klimapolitisch besser als sein Ruf?

Claudia Kemfert: Dass der Bundeshaushalt so stark gekürzt werden musste, ist ja ein hausgemachtes Problem. Das hätte durch Aufweichen der Schuldenbremse leicht geändert werden können.

Daher ist der Haushalt insgesamt zwar etwas besser als sein Ruf, aber dennoch unbefriedigend. Dass der CO2-Preis steigt, ist grundsätzlich gut, müsste aber sozial flankiert werden durch die Einführung des Klimagelds. Wir wissen aus unseren Studien, dass Bezieher niedriger Einkommen überproportional belastet sind durch einen steigenden CO2-Preis. Diesen Haushalten müsste man helfen.

Stromkunden können aktuell davon profitieren, dass die Strompreise an der Börse sinken durch den steigenden Anteil erneuerbarer Energien, aber vor allem durch sinkende Gaspreise. Dass die Netzentgelte nicht mehr subventioniert werden, ist da folgerichtig.

Besonders gut finde ich zudem die ersten Ideen der Bundesnetzagentur, die Netzentgelte fairer aufzuteilen. Bisher wurden die Regionen, die viel erneuerbare Energien ausgebaut haben, durch hohe Netzentgelte benachteiligt. Dies soll nun nach den Vorschlägen der Bundesnetzagentur fairer verteilt werden. Das geht in die richtige Richtung.

Klima- und wirtschaftspolitisch darf das Jahr 2024 nicht so laufen wie 2023, warnt die Vorständin der Stiftung Klimawirtschaft, Sabine Nallinger, im Interview mit Klimareporter°. Sie beklagt ein klimapolitisches Rollback in Deutschland und verlangt einen politischen Rahmen, der über mehrere Legislaturperioden Bestand hat – denn Transformationsprozesse und Investitionen seien auf Jahrzehnte angelegt. Hat sie recht?

Sabine Nallinger und die Stiftung Klimawirtschaft haben voll und ganz recht. Unternehmen brauchen Planungssicherheit, sie wollen und müssen in die nachhaltige Transformation investieren.

Die jetzigen Beschlüsse der Ampel schaffen wirtschaftliche Unsicherheiten, die Gift sind für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Die Aufbruchstimmung ist vorbei, Unternehmen der Solarindustrie wandern ab und wichtige Industriearbeitsplätze gehen verloren.

Die richtigen politischen Rahmenbedingungen sind elementar, sie dürfen nicht andauernd revidiert, zerfleddert oder ganz aufgekündigt werden. Die Transformationsprozesse sind enorm wichtig für die deutsche Wirtschaft, die dringend modernisiert werden muss.

Die Stiftung Klimawirtschaft und die weitsichtigen Unternehmen mahnen völlig zu Recht an, dass wir dringend umsteuern müssen, wenn wir weltweit nicht völlig den Anschluss verlieren wollen. In einigen Bereichen ist finanzielle Unterstützung nötig, in anderen kann die Wirtschaft aber auch gut selbst die Kosten tragen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.

Das Erstarken der Rechten wirkt zudem schädlich für den Wirtschaftsstandort. Deutschland droht für ausländische Investoren immer unattraktiver zu werden. Es ist gut, dass einige aus der Wirtschaft das Wort erheben, von solchen Stimmen wird mehr benötigt.

In vielen Bereichen sind andere Länder wie China oder USA führend, etwa Elektromobilität, erneuerbare Energien oder Batterieproduktion. Zudem gibt es zig weitere Bereiche, wo Deutschland mal führend war und durch die vielen politischen Unsicherheiten nahezu den Anschluss verloren hat.

Wir dürfen die Fehler der Vergangenheit nicht andauernd wiederholen.

Wegen der gesunkenen Strompreise an der Börse gerät das EEG-Konto, aus dem die Förderung der Erneuerbaren bezahlt wird, in Schieflage. Es drohen zusätzliche Milliardenkosten für den Bundeshaushalt. Einige Experten fordern eine Rückkehr zur EEG-Umlage auf den Strompreis. Der Branchenverband BEE schlägt erneut vor, Erneuerbaren-Anlagen nicht mehr über die festgelegten 20 Jahre zu fördern, sondern für eine bestimmte Menge des erzeugten Ökostroms. Wie würden Sie das Problem lösen?

Zunächst ist festzustellen, dass nun genau das eintritt, wovor einige wenige und auch ich immer gewarnt haben. Wir haben stets empfohlen, bei der EEG-Umlage zu bleiben, um nicht von der Willkür des Bundeshaushalts und vor allem eines Finanzministers abhängig zu sein, insbesondere wenn hohe Zuschüsse gezahlt werden müssen und die Kassen leer sind. Politische Prozesse sind dann nur wenig steuerbar.

Man hätte bei der EEG-Umlage bleiben sollen und die Fördersätze entsprechend kürzen können, damit die Belastungen gering bleiben. Nun ist man in die Misere geraten, die man hätte vermeiden können.

Dass wir jetzt wieder zur EEG-Umlage zurückkehren können, halte ich für unwahrscheinlich, da die Mehrheiten dafür fehlen. Deshalb ist der pragmatische Ansatz des Erneuerbaren-Verbands BEE zwar nicht optimal, aber ein Kompromiss, für den vielleicht Mehrheiten gewonnen werden können.

In einem Interview mit dem Blog Treibhauspost wurden Sie kürzlich angesichts des Rechtsrucks in Deutschland und anderswo gefragt, wie das Erstarken der Rechten mit der Klimakrise zusammenhängt. Muss auch dafür jetzt der Klimawandel herhalten?

Die Klimakrise schadet uns allen, aber vor allem armen Regionen in der Welt. Der Klimawandel bringt eine Zunahme von extremen Wetterereignissen mit sich, die enorme wirtschaftliche Schäden hervorbringen, und dabei werden arme Haushalte besonders belastet.

Und die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer, das hat jüngst eine Oxfam-Studie nochmals belegt.

All das hat fatale Folgen für die Demokratie. Von rechter Seite werden gezielte Fake News über die Klimakrise und Hetzkampagnen gegen Wissenschaftler:innen verbreitet und damit Zweifel an Wissenschaft und politischen Maßnahmen gesät. Soziale Unruhen nehmen auch deshalb zu.

Menschen, die wenig haben, können mit polemischen Anti-Klimaschutz-Parolen leichter aufgehetzt werden. Da haben die Rechten oft leichtes Spiel. Sie verbreiten Mythen, dass es den Klimawandel angeblich nicht gibt, und versprechen armen Haushalten das Blaue vom Himmel.

Einerseits sind die Hetzkampagnen in ihrer Wirkung enorm effektiv, andererseits fallen Zweifel an den wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Klimawandel auf fruchtbaren Boden. Die perfiden Kampagnen wirken. Leider.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Wirklich überraschend war, dass die USA die LNG-Exportgenehmigungen bis auf Weiteres auf Eis legen. Eine kluge und richtige Entscheidung. Die Gasförderung in den USA mittels Fracking ist besonders umwelt- und klimaschädigend.

Auch überraschend, aber ebenso gut und richtig war dann, dass 60 Abgeordnete im Europäischen Parlament in einem offenen Brief ihre Unterstützung für die Entscheidung von US-Präsident Joe Biden ausdrückten.

Sie haben auch deswegen recht, weil LNG fast komplett aus Methan besteht, das auf dem Produktions- und Lieferweg entweichen kann. Methan ist ungefähr 25-mal so klimaschädlich wie Kohlendioxid und trägt stark zum Treibhauseffekt bei.

Deutschland ist auch hier auf dem Irrweg und plant völlig überdimensionierte LNG Terminal-Kapazitäten. Schon die jetzigen Terminals sind nur zur Hälfte ausgelastet. Besonders die Terminals auf Rügen sind ein Ärgernis für Umwelt und Klima, aber auch aus energiewirtschaftlicher Sicht. Wertvolle Natur wird zerstört, auch Nachteile für den Tourismus sind zu befürchten.

Der Bedarf an fossilem Erdgas wird zurückgehen, muss zurückgehen. Die Energiewende im Heizungsbereich, aber auch im Stromsektor wird den Bedarf senken. Es sei denn, die Unternehmen setzen sich im Rahmen der laufenden Debatten um die Kraftwerksstrategie mit den ebenso überdimensionierten wie unnötigen Plänen durch, 50.000 Megawatt neue Gaskraftwerks-Kapazitäten zu bauen und sich das finanziell unterstützen zu lassen. Auch diese Anlagen werden nicht benötigt.

Wir sollten endlich die Energiewende vollenden und die Realitäten anerkennen: Ein Energiesystem mit hohen Anteilen erneuerbarer Energien braucht Flexibilitäten, vor allem im dezentralen Bereich, durch ein intelligentes, digitales Energie- und Lastmanagement, Energieeffizienz und Speicher. Und kein fossiles Erdgas mehr.

Um Stranded Assets zu vermeiden, sollte nun auch hier ein Moratorium im Kraft treten, das den zusätzlichen Bau von LNG-Kapazitäten stoppt. Die US-Entscheidung gibt ausreichend Anlass dafür, da ja vor allem US-Flüssigerdgas importiert werden soll. Deutschland sollte sich nach dem Vorbild der USA die Zeit nehmen, die Auswirkungen des Aufbaus weiterer LNG-Terminal-Kapazitäten für Umwelt, Klima und Versorgungssicherheit noch einmal zu prüfen und zu überdenken.

Fragen: Jörg Staude

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