Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Aysel Osmanoglu, Vorstandssprecherin der GLS Bank.
Klimareporter°: Frau Osmanoglu, zum Jahresanfang mehren sich Berichte über steigende Energiekosten wegen auslaufender Preisbremsen, wegfallender Staatszuschüsse zu den Netzentgelten und einem generell höheren Preisniveau als vor dem Krieg gegen die Ukraine. Was sagen Ihre Prognosen über die Belastungen für die Bürger:innen im Jahr 2024?
Aysel Osmanoglu: Das IW, das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln, hat jetzt ausgerechnet, dass besonders geringe und durchschnittliche Gehälter belastet werden. Grund dafür sind höhere Kosten für Gastronomie durch die Rückkehr von sieben auf 19 Prozent Mehrwertsteuer, hohe Energiekosten und Steueranpassungen. Alleinerziehende trifft es besonders hart.
Damit verstärkt sich leider das Problem der sozialen Ungerechtigkeit. Das aber müssen wir adressieren, um aus der Klimakrise herauszufinden.
Für den Nachhaltigkeitsforscher und früheren Umweltpolitiker Reinhard Loske ist eine gerechte Klimapolitik ein unbedingtes Muss. Im Klimareporter°-Interview nennt er zwei Gründe: Zum einen könnten nicht alle die Transformationskosten gleich gut stemmen, zum anderen entziehe Gerechtigkeit Populisten die Grundlage für ihr übles Spiel. Wie sähe für Sie eine gerechte Klimapolitik aus?
Einerseits sind die hohen Preise ein willkommener Anreiz, um Ressourcen zu sparen. Jedoch haben Menschen mit niedrigen Einkommen kaum Spielraum zu sparen, weil sie bereits äußerst wenig verbrauchen – das zeigen Statistiken. Sie verursachen im Vergleich zu Haushalten mit hohen Einkommen die geringsten CO2-Emissionen.
Es ist kein Wunder, dass hier Gefühle der Angst und Wut entstehen. Es ist nicht zusammenzubringen, dass Emissionen von privaten Charterflügen oder 240 km/h fahrenden Autos legitim sind, während sich andere das Busticket nicht leisten können.
Unsere Lösung: ein Transformationsgeld. Es wird einkommensabhängig gestaffelt, getreu dem Prinzip: Je höher das Einkommen, desto niedriger der Betrag. Damit kann eine soziale Grundlage für alle geschaffen werden. Denkbar wäre auch eine Klimasteuer, bei der die unteren 50 Prozent befreit bleiben, während wir bei den oberen Prozent beginnen.
In diesem Jahr steht für die Ampel-Koalition das große Abarbeiten zahlreicher aufgeschobener Gesetzesvorhaben an. Dabei geht es nicht nur um den beschleunigten Erneuerbaren-Ausbau, sondern auch um besseren Klima- und Naturschutz. Was muss die Bundesregierung Ihrer Meinung nach als Nächstes anpacken?
Hier müssen wir etwas Grundsätzliches klären: Ich respektiere die Arbeit unsere Politiker:innen. Kritik oder Ratschläge an dieser Stelle klingen für mich manchmal so, wie wenn man sich zu Hause bei einem Fußballspiel für den besseren Trainer oder die bessere Spielerin hält. Ich bin froh, dass die aktuelle Regierung schon viel bewegt hat, nachdem es viele Jahre politischen Stillstand gab.
Das zeigen auch die jüngsten Zahlen von Agora Energiewende. Demnach hat Deutschland im vergangenen Jahr 46 Prozent weniger Treibhausgas ausgestoßen als noch 1990.
Was sich die Wirtschaft zurzeit am meisten wünscht, ist Planungssicherheit. Klima- und Umweltschutzziele sollten von allen Verantwortlichen nicht andauernd hinterfragt werden. Ein dauerhaftes und parteiübergreifendes Commitment zur Transformation wäre ein wichtiges Zeichen.
Wahr ist auch: Die Menschen in der Wirtschaft müssen keineswegs auf die Politik warten. Wir können uns jederzeit selbst auf den Weg machen.
Und was war Ihre Überraschung der Woche?
Ich blicke mit Sorge auf die Landtags- und Europawahlen. Laut einer Wahlumfrage liegt die AfD in Sachsen mit 37 Prozent vor der CDU, die 33 Prozent hat. Die Grünen liegen mit sieben Prozent und die Linke mit acht Prozent abgeschlagen dahinter. SPD und FDP könnten erst gar nicht ins Parlament gewählt werden. Das ist alarmierend.
Wir bei der GLS Bank stehen für eine demokratische und offene Gesellschaft. Wir können die Ängste der Menschen vor den Auswirkungen der Klimaerhitzung nachvollziehen. Um gemeinsam gegen diese Krise zu arbeiten, brauchen wir aber eine stabile Demokratie. Deswegen werden wir uns weiterhin allen in den Weg stellen, die das System erodieren wollen.
Fragen: Jörg Staude