Ein Windpark, eine Solar-Freiflächenanlage und Stromleitungen auf einem Feld.
Wie wird das klimaneutrale Stromsystem aussehen? Mehr Stromtrassen sollen auch dazugehören. (Foto: Jens Ickler/​Elxeneize/​Shutterstock)

Den Satz des Tages sagte Andreas Löschel: "Das ist alles ganz schwierig." Dieses Eindrucks konnte man sich beim heutigen Start der Plattform "Klimaneutrales Stromsystem" (PKNS) tatsächlich kaum erwehren.

Nicht nur beim Vortrag von Löschel, seines Zeichens Chef der Regierungs-Expertenkommission zum Energiesystem der Zukunft, schwirrte es nur so von Fachbegriffen wie Marktdesign, Gebotszonen, Flexibilitäten und Systemdienstleistungen.

Im Kern geht es beim "Klimaneutralen Stromsystem" um eine längst überfällige Änderung des Strommarktdesigns. "Ein Stromsystem der Zukunft, das zu größten Teilen aus erneuerbaren Energien besteht, muss ausreichende Anreize für sogenannte Flexibilitätsoptionen setzen", erläutert Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin gegenüber Klimareporter°.

Es gehe darum, so Kemfert, durch ein intelligentes Erzeugungs- und Verbrauchsmanagement jederzeit Versorgungssicherheit zu gewährleisten. "Derzeit gibt es zu wenig Anreize für den Ausbau erneuerbarer Energien und die Einbindung von smarten Energie- und Lastmanagementsystemen, flexibler Nachfrage oder Speicheroptionen", erklärt die Energieexpertin.

Diese Möglichkeiten würden im künftigen Stromsystem dringend gebraucht. "Daher ist die Anpassung des Strommarktdesigns so wichtig, damit eine Vollversorgung aus erneuerbaren Energien möglich wird und Verbraucher von sinkenden Kosten profitieren können", betont Kemfert.

Habeck setzt auf Digitalisierung

Das Problem, dass normale Haushalte derzeit noch zu wenig oder gar nicht von den günstigen Preisen der Erneuerbaren profitieren, gehört auch für Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zu den zentralen Fragen, die auf der Plattform debattiert werden müssen.

Das Problem sei offensichtlich, sagte Habeck, denn wenn die Sonne scheine, seien die Strompreise am Strommarkt niedrig. Damit dies dann bei den Haushalten auch ankommt, setzt der Minister offensichtlich vor allem auf eine weitere Digitalisierung.

Beim Plattform-Auftakt bekräftigte Habeck die Eckpunkte, auf die das klimaneutrale Stromsystem letztlich zielt: ein Anteil der Erneuerbaren von 80 Prozent am Strommarkt bis 2030 und die Steigerung der gesamten Stromerzeugung von derzeit 550 Milliarden auf 700 bis 750 Milliarden Kilowattstunden im Jahr.

Auch bleibe es beim Ziel der Bundesregierung, das 1,5-Grad-Limit einzuhalten und 2045 Klimaneutralität zu erreichen, sagte Habeck. Die Hauptlast der Stromerzeugung werden künftig Wind und Sonne tragen. Um diese herum, so Habeck weiter, müssten dann entsprechende Backup-Kapazitäten gruppiert werden.

Zu den 20 nicht erneuerbaren Prozent, die 2030 zu den 80 Prozent noch hinzukommen sollen, kündigte Habeck am heutigen Montag an, dass die Bundesregierung inzwischen 25.000 Megawatt Backup-Kraftwerke ausschreiben wolle, die mit Erdgas betrieben würden, solange noch nicht genügend Wasserstoff zur Verfügung stehe. Damit könne man nicht warten.

Ungeachtet der laufenden Debatte um das Design des künftigen Stromsystems will Habeck bis Ende März auch eine Kraftwerksstrategie vorlegen.

Erst Flexibilitätsoptionen ausschöpfen, dann H2-Kraftwerke

Daniel Hölder vom Münchner Erneuerbaren-Dienstleister Baywa Re warnte am Montag angesichts des geplanten massiven Ausbaus der Gas-Kapazitäten vor verstärkten "Kannibalisierungseffekten". Schon heute seien in Situationen, wo es eigentlich eine Vollversorgung des Landes mit Wind- und Solarstrom gebe, immer noch 10.000 Megawatt an weiteren Kraftwerken im Netz, kritisierte der Marktexperte.

Nach Hölders Ansicht müssen künftig alle Flexibilitätsoptionen berücksichtigt werden: Batteriespeicher, Elektrolyseure, Wärmepumpen, E-Mobilität – und zum Schluss auch regelbare Wasserstoff-Kraftwerke, aber eben nicht nur diese.

Hölder sprach sich auch dafür aus, auch nach 2030 nicht auf Förderinstrumente für den Ausbau der Erneuerbaren zu verzichten. Bislang sieht der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung vor, ab dem Zeitpunkt eines bundesweiten Kohleausstiegs zugleich die Förderung über das Erneuerbare-Energien-Gesetz zu beenden.

Sascha Müller-Kraenner von der Deutschen Umwelthilfe warnte seinerseits beim Auftakt vor einer massiven Vorfestlegung auf den Bau sogenannter H2-ready-Gaskraftwerke. Hier drohe "Greenwashing", so Müller-Kraenner.

 

Andreas Löschel plädierte namens der Regierungskommission in der Frage der Verbraucher-Strompreise dafür, Kleinabnehmer zu entlasten, indem der größte Kostenblock beim Strompreis – die Netzentgelte – "umfinanziert" wird. Auch Mieterstrommodelle könnten kostensenkend wirken.

Des Weiteren plädierte Löschel für eine Absenkung der Stromsteuer. Allerdings sollten dabei die Signale durch steigende CO2-Preise erhalten bleiben.

Wie das konkret aussehen soll, ist dann sicher auch eine schwierige Frage.

Redaktioneller Hinweis: Claudia Kemfert gehört dem Herausgeberrat von Klimareporter° an.

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