Am 3. Januar 2023 gegen acht Uhr morgens lief die "Maria Energy" in den Hafen von Wilhelmshaven ein. Damit erreichte die erste Direktlieferung von US-amerikanischem Flüssigerdgas das neu gebaute schwimmende LNG-Terminal von Uniper an der Nordseeküste.
Seither wird die recht kurze Historie deutscher LNG-Importe von US-Lieferungen dominiert. Jüngste Daten der Energie-Lobbyvereinigung BDEW zeigen, dass 80 Prozent des direkt nach Deutschland importierten LNG aus den USA stammen.

Weitere Lieferländer sind Trinidad und Tobago mit einem Anteil von fünf Prozent, Nigeria, Angola und Ägypten mit je vier Prozent und die Vereinigten Arabischen Emirate mit drei Prozent. Ende April wurden laut der BDEW-Analyse 6,5 Prozent der deutschen Erdgasimporte in Form von LNG bezogen. Hinzu kommen LNG-Lieferungen an andere europäische Länder, die dort regasifiziert werden und dann als Gas nach Deutschland kommen.
Das deutsche LNG-Abenteuer hat nicht nur eine zunehmende Kontroverse über die Notwendigkeit und die Auswirkungen fester Importterminals ausgelöst, sondern auch über die Klima- und Umweltschäden in den Förderregionen. Ungefähr vier Fünftel des in den USA geförderten Erdgases werden durch Fracking gewonnen.
Das Verfahren ist aus vielen Gründen umstritten, unter anderem wegen seines enormen Wasserverbrauchs und der negativen Auswirkungen auf die Gesundheit. Die Ausbreitung von Fracking und Fortschritte in der Bohrtechnik haben die Vereinigten Staaten zum größten Erdgasproduzenten der Welt gemacht.
Neuer Fracking-Boom durch LNG-Exporte
Die steigende Nachfrage nach LNG trägt dazu bei, dass in den USA so viel gefrackt wird wie nie zuvor. Jährlich wächst die Erdgasförderung dort um etwa vier Prozent, angetrieben vor allem durch die boomende Produktion in den Fracking-Regionen Permian Basin, Haynesville und Eagle Ford im Süden der USA, die als wichtigste Lieferanten für die LNG-Terminals am Golf von Mexiko gelten.
Laut einem Bericht der Energy Information Administration aus dem Jahr 2021 ist das neuerliche Wachstum des US-Gassektors gerade auf die Zunahme der LNG-Exporte zurückzuführen. Die Nachfrage nimmt immer schneller zu: An den Küsten der USA sind zusätzlich zu den sieben bereits aktiven LNG-Häfen mindestens 20 neue Exportterminals geplant.
Allein im Südwesten des Bundesstaats Louisiana wird über drei bestehende Terminals die Hälfte der derzeitigen LNG-Exporte der USA abgewickelt. Mindestens fünf weitere Exportanlagen sind in der Region geplant oder bereits im Bau.
Das Herz der US-amerikanischen LNG-Industrie ist die Küstenregion von Louisiana. Diese ist gleichzeitig ein einzigartiges Ökosystem, in dem 40 Prozent der Salzwiesen der Vereinigten Staaten zu finden sind. Über Tausende von Jahren änderte der Mississippi immer wieder seinen Lauf, schwemmte Erde ab und schuf ein weit verzweigtes Netz von Sümpfen und Bayous – stehenden oder langsam fließenden Gewässern, die von einstigen Flüssen zeugen.

John Allaire lebt in dem 5.000-Einwohner-Ort Cameron Parish – direkt neben dem Terminal Calcasieu Pass, wo die "Maria Energy" im vergangenen Dezember die erste LNG-Ladung für Deutschland aufgenommen hatte. Der ehemalige Ingenieur aus der Ölindustrie ist gegen den LNG-Exportboom. Allaire befürchtet, dass der Bau neuer Terminals und das Ausbaggern von Kanälen für die LNG-Tanker die Vernichtung von Feuchtgebieten an der Küste beschleunigen und die einzigartige Küstenlinie Louisianas zerstören.
"Wir opfern Hunderte Hektar an Feuchtgebieten und Cheniers – einzigartige Küstenlandschaften mit schlammigen und moorigen Zonen – zugunsten der LNG-Unternehmen", warnt Allaire. Eine Analyse der investigativen Umweltgruppe Oil and Gas Watch zeigt, dass durch neue LNG-Exportprojekte in den USA, vor allem in Louisiana, etwa 8.500 Hektar Feuchtgebiete verschwinden könnten.
Brennende Gasfackeln "entgegen den Vorschriften"
Allaire hat zudem dokumentiert, dass seit der Eröffnung des Terminals Calcasieu Pass im Januar 2022 ständig Gas abgefackelt wird. Auf dieser Grundlage erstellte die Umweltorganisation Louisiana Bucket Brigade einen Bericht und kam zu dem Schluss, dass der Betreiber Venture Global "gegen staatliche Vorschriften verstößt".
Die Probleme sind bis heute nicht gelöst. Venture Global setzte die Gasexporte aus der Anlage Ende März dieses Jahres zwar kurzzeitig aus, um Schäden zu beheben. Doch schon im April flammten Allaire zufolge die Gasfackeln trotz der beginnenden Vogelzugsaison wieder auf und störten die Zugvögel auf dem Mississippi Flyway, einer der wichtigsten Vogelzugrouten Nordamerikas.
Eine weitere Studie im Auftrag der größten US-Naturschutzorganisation Sierra Club zeigt, dass am Standort Plaquemines bei New Orleans das Risiko einer katastrophalen Methanfreisetzung besteht, wenn ein großer Hurrikan das LNG-Terminal überfluten sollte. Die Region wurde in den vergangenen zwei Jahrzehnten bereits von einer Reihe heftiger Stürme heimgesucht, darunter die Hurrikans Katrina und Ida.
Da die Küsten Louisianas zunehmend durch den steigenden Meeresspiegel, die Landerosion und schwere Stürme bedroht sind, fürchten einige, dass der jüngste Gasboom diesen Trend noch verstärken wird.
"Der Gedanke, dass LNG eine Art Brücke oder eine Übergangslösung ist, ist nichts weiter als eine Lüge, um uns in einer Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu halten, die bereits zu dieser Klimakatastrophe geführt hat", sagt James Hiatt, ein ehemaliger Raffineriearbeiter aus Lake Charles, der jetzt die Umweltorganisation For a Better Bayou leitet.
Trotz Warnungen vor den lokalen Umwelt- und globalen Klimaauswirkungen der LNG-Lieferkette haben sich deutsche Unternehmen im vergangenen Jahr zur langfristigen Finanzierung von LNG-Exportterminals in den USA und zu LNG-Lieferverträgen verpflichtet. Neben den ersten Importen durch Uniper wurden unter anderem Verträge zwischen EnBW und Venture Global für 20 Jahre und zwischen RWE und Port Arthur LNG für 15 Jahre abgeschlossen.
Edward Donnelly lebt und arbeitet als unabhängiger US-Journalist in Europa, wo er über globale Energie- und Umweltthemen schreibt. In diesem Beitrag berichtet er direkt aus Louisiana. Bisherige Beiträge des Autors in der Serie "Flüssigerdgas im Fokus":
- Was hinter dem globalen LNG-Boom steckt
- Deutsche Kreditgeber befeuern LNG-Boom
- G7-Länder importieren weiter russisches LNG
- Fracking-Gas strömt vermehrt nach Deutschland