Die Grünen haben ihre Parteitags-Dokumente möglicherweise nicht bis zu Ende durchgerechnet. (Foto: Grüne NRW/​Flickr)

Mit einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung hat sich die Parteispitze der Grünen in dieser Woche zu Wort gemeldet. Um Selbstständige, Mittelständler und Haushalte in der Krise zu entlasten, soll die EEG-Umlage um fünf Cent je Kilowattstunde gesenkt werden, fordern Annalena Baerbock und Robert Habeck.

Sinkende Strompreise würden Elektroautos, Wärmepumpen oder Wasserstoff-Anwendungen wirtschaftlicher machen, das sei gut, argumentieren die beiden.

Die Idee mit den fünf Cent hatte anderthalb Wochen zuvor schon der Thinktank Agora Energiewende in die Welt gesetzt. Bei einem digitalen Kolloquium der Deutschen Energie-Agentur (Dena) hatte Agora-Chef Patrick Graichen den Entwurf für einen "doppelten Booster" vorgestellt, ein 100-Milliarden-Wachstums- und Investitionsprogramm gegen die Coronakrise.

Das "Booster"-Papier selbst ist noch nicht fertig und soll, wie zu hören war, erst Mitte Mai offiziell vorgestellt werden. Bei der EEG-Umlage schlägt der Thinktank aber tatsächlich vor, die mit dem Klimapaket ohnehin für Anfang 2021 geplante Senkung der EEG-Umlage um ein halbes Jahr auf Anfang Juli 2020 vorzuziehen und außerdem aufzustocken – laut Graichen von 1,5 Cent auf fünf Cent.

Haushalte würden dann sogar rund sechs Cent weniger für eine Kilowattstunde zahlen, weil die anteilige Mehrwertsteuer auf die EEG-Umlage wegfiele. Insgesamt gewännen Haushalte und Unternehmen in diesem und im nächsten Jahr zusammen rund 22 Milliarden Euro an Kaufkraft, rechnet Agora Energiewende vor – vorausgesetzt, die Versorger reichen die Senkung vollständig weiter.

Strompreis soll sinken

Im Leitantrag zum Grünen-Parteitag liest sich die Passage zur EEG-Umlage recht ähnlich: "Wir wollen für die Bürger:innen und insbesondere mittelständische Unternehmen den Strompreis senken, indem die EEG-Umlage ab dem 1. Juli 2020 um fünf Cent je Kilowattstunde reduziert wird. Das setzt langfristig ökologisch richtige Anreize, denn wir brauchen die Elektrifizierung weiterer Sektoren. Bis Ende 2021 kann damit zudem ein Kaufkraft-Effekt von 22 Milliarden Euro erreicht werden."

Zu Finanzierung heißt es im grünen Antrag, diese speise sich mittelfristig aus den Einnahmen der nationalen CO2-Bepreisung. Das schwebt auch dem Thinktank vor. Bis der CO2-Preis genügend Einnahmen liefert, fasst Agora Energiewende eine Zwischenfinanzierung der abgesenkten EEG-Umlage über die staatliche Förderbank KfW ins Auge.

Die Zwischenfinanz-Idee mit der KfW haben die Grünen allerdings nicht in ihren Leitantrag übernommen. Möglicherweise erscheint ihnen eine weitere Belastung der schon durch Corona arg beanspruchten Förderbank derzeit nicht opportun. Überhaupt fragt sich, ob die faktische Eins-zu-eins-Übernahme des Agora-Vorschlags eine gute grüne Idee ist.

Rechentrick mit Börsenstrom

Den Strompreis zu senken, um ihn für E-Mobilität oder Wärmepumpen attraktiv zu machen, findet die Energieökonomin Claudia Kemfert sinnvoll. Das sollte aber besser durch eine Senkung der Stromsteuer geschehen, sagte Kemfert gegenüber Klimareporter°.

Denn der Ausbau der erneuerbaren Energien und die EEG-Umlage seien nicht die alleinigen Gründe für Strompreissteigerungen. Auch ein verschleppter Kohleausstieg und überbordende Netzkosten machten den Ausbau der Erneuerbaren unnötig teuer.

Die erneuerbaren Energien seien der "Sündenbock für unverhältnismäßige Strompreissteigerungen", kritisiert Kemfert. Tatsächlich würden die Erneuerbaren immer preiswerter und die Ausbaukosten gingen kontinuierlich nach unten. Zudem verringerten die Erneuerbaren den Strombörsenpreis, was wiederum die EEG-Umlage nach oben treibe, da sie sich aus der Differenz zum Börsenpreis errechne.

Deswegen sollte nach Ansicht von Kemfert alles dafür getan werden, damit der Börsenstrompreis steigt. Das könne durch einen Mindestpreis für CO2 im Emissionshandel gelingen. Für die Haushalte könnte die EEG-Umlage zusätzlich kurzfristig deutlich sinken, wenn die Industrieausnahmen bei der EEG-Umlage aus dem Staatshaushalt finanziert würden, betont die Ökonomin.

Grüne Finanzierungslücke

Auch der ehemalige Grünen-Abgeordnete Hans Josef Fell lässt kaum ein gutes Haar an der Fünf-Cent-Idee. Die vorgeschlagene Senkung der EEG-Umlage würde laut dem Energieexperten dazu führen, dass dem EEG-Konto in diesem Jahr rund zehn Milliarden und in jedem weiteren Jahr 20 Milliarden Euro fehlen.

Eine kurzfristige Kompensation schlage der Bundesvorstand der Grünen im Leitantrag aber nicht vor, kritisiert Fell. Nachdem die Agora-Idee mit der KfW – wie beschrieben – keinen Eingang in den Antrag fand, weist dieser nun offenbar eine veritable Finanzierungslücke auf.

Für Fell kann auch der Hinweis im Leitantrag auf die mittelfristigen Einnahmen aus der CO2-Steuer die Sache nicht retten. Denn damit seien jährlich nur drei bis acht Milliarden Euro zu erwarten – weitaus weniger, als das Defizit des EEG-Kontos betragen würde, rechnet Fell vor. 

Auch bei den Grünen selbst regt sich scharfe Kritik an dem Vorhaben, die umstrittene Senkung der EEG-Umlage morgen ohne große Debatte durchzuwinken. Die EEG-Umlage und damit die Strompreise massiv zu senken, wäre klimaschädlich und zudem ein schwerer strategischer Fehler, heißt es im Online-Forum zum Parteitag. Deswegen solle die Forderung erst einmal gestrichen werden.

"Formulierungshilfe"

Die vom Bundeskabinett in dieser Woche beschlossene Formulierungshilfe für Änderungen im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) enthält unter anderem diese Punkte:

  • Dauerhaft soll gestrichen werden, dass Bürgerenergiegesellschaften bei Ausschreibungen für Windprojekte an Land ohne immissionsschutzrechtliche Genehmigung teilnehmen können. Ohne Streichung wäre das ab Juli wieder möglich. Die Regelung war von großen Projektentwicklern unterlaufen worden.
  • Um 2021 Windparks auf See ausschreiben zu können, müssen zuvor Flächen ausgewiesen werden. Dafür soll das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie die nötige Kompetenz zur Verordnungsgebung erhalten.
  • Die Fristen zur Realisierung von Erneuerbaren-Projekten, die in Ausschreibungen erfolgreich waren, sowie zur Inbetriebnahme von Stromerzeugungen, die vor Ende April 2019 genehmigt wurden, werden jeweils um sechs Monate verlängert.

Die Bundesregierung, an die sich der Fünf-Cent-Vorschlag richtet, zeigte sich in dieser Woche von anderen drängenden Fragen zur Zukunft des EEG, wie dem Solardeckel und der Windrad-Abstandsregelung, nahezu unbeeindruckt. Entgegen einigen Meldungen, das Bundeskabinett habe in dieser Woche eine EEG-Novelle verabschiedet, wurde von der Ministerrunde nur eine sogenannte Formulierungshilfe beschlossen (siehe Kasten). Das Papier geht nun an die Koalitionsfraktionen im Bundestag, die daraus eine Gesetzesvorlage stricken.

Für den Geschäftsführer des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU), Ingbert Liebing, reichen die Fristverlängerungen, die in der "Formulierungshilfe" angestrebt werden, nicht aus. Den Ökostromanlagen, die nicht über eine Ausschreibung errichtet werden, sondern eine feste Einspeisevergütung aus dem EEG erhalten, droht bei coronabedingten Verzögerungen die Degression zum Verhängnis zu werden.

"Mit jedem Monat, die eine Solaranlage später in Betrieb geht, erhält sie nach heutigem Stand 1,4 Prozent weniger Vergütung", sagte Liebing. Die Vergütungssätze müssten deshalb für die gesamte Dauer der Pandemie auf dem heutigen Niveau eingefroren werden.

Redaktioneller Hinweis: Claudia Kemfert gehört dem Herausgeberrat von Klimareporter° an.

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