Claudia Kemfert vor verschwommener Bücherwand.
Claudia Kemfert. (Bild: Oliver Betke)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Claudia Kemfert, Professorin für Energiewirtschaft und Chefin des Energie- und Umweltbereichs am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW.

Klimareporter°: Frau Kemfert, mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts fehlen der Ampel auf einmal 60 Milliarden Euro für ihren Klima- und Transformationsfonds. Was heißt das für den Klimaschutz im Land?

Claudia Kemfert: Eine höchst missliche Lage. Aber nicht ausweglos. Drei Dinge sollte die Regierung nun tun. Erstens: die Ausgaben in Nicht-Zukunfts-Bereichen kürzen. Wir zahlen jährlich über 60 Milliarden an umweltschädlichen Subventionen, ein Teil davon kann sofort weg. Die Abschaffung des Diesel- und Dienstwagenprivilegs etwa ist überfällig.

Zweitens: unnötige Ausgaben des Klimafonds auf den Prüfstand stellen. Dabei sollte geprüft werden, ob Mikroelektronik aus anderen Quellen als dem Klimafonds bezuschusst werden könnte und ob die Stromsteuersenkung so wie geplant wirklich sinnvoll ist.

Drittens: das Aussetzen der Schuldenbremse. Dafür gibt es ausreichende Begründungen. Das Bundesverfassungsgericht hat sie in seinem Klimaurteil von 2021 selbst geliefert. Klimaschutz ist demnach eine zentrale Aufgabe des Staates. Wir stecken mitten in einer tiefgreifenden Klimakrise, die nicht in einem Jahr, sondern nur über Jahrzehnte gelöst werden kann.

Wir sollten jetzt den Klimanotstand aussprechen, um wieder handeln zu können. Und zugleich die Chance nutzen, die Schuldenbremse grundlegend zu reformieren. Wir brauchen mehr Flexibilität. Nicht nur die jetzige Regierung, sondern auch alle künftigen Regierungen stehen in der internationalen Pflicht. Deutschland hat das Paris-Abkommen unterzeichnet, ein Klimaschutzgesetz und verbindliche Klimaziele vereinbart. Um diese zu erreichen, müssen wir CO2-Emissionen senken und wir müssen investieren.

Hier wurde in den vergangenen 15 Jahren zu wenig getan. Wir zahlen heute den Preis einer jahrelang verschleppten Energiewende. Durch die verlorene Zeit liegt die Industrie im internationalen Vergleich hinten.

Die Wirtschaft will investieren und sollte auch investieren. Dafür muss man aber die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen. Das tun andere Länder wie insbesondere die USA, aber auch China. Deswegen müssen wir investieren und uns finanzielle Luft verschaffen durch das weitere Aussetzen der Schuldenbremse.

In wenigen Tagen beginnt die COP 28, der 28. Weltklimagipfel in Dubai. Auf welchem Verhandlungsthema liegt Ihr Hauptaugenmerk?

Zunächst einmal: Ich habe keine großen Erwartungen an den Gipfel. Das liegt vor allem an dem designierten Konferenzpräsidenten Sultan Al Jaber, der Interessenkonflikte bei fossilen Energien hat. Es hätte niemals zugelassen werden dürfen, dass dies passiert.

Al Jaber sagt unverhohlen, dass nicht in den Erneuerbaren die Zukunft liege, sondern in "emissionsfreien Energien". Er will weiterhin fossile Energiequellen nutzen, und das viele CO2 soll offenbar auf wundersame Weise irgendwo gespeichert werden. Das wird so nicht möglich sein.

Ich würde mir dennoch wünschen, dass man in Dubai vor allem bei der Reform des internationalen Finanzsystems vorankommt. Fossile Subventionen müssen dringend abgeschafft und zugleich mehr Mittel bereitgestellt werden, um weltweit Staaten bei der Bewältigung von Naturkatastrophen zu helfen.

Und es sollten mehr Möglichkeiten geschaffen werden, dass Entwicklungsländer Zugang zu Finanzierungen für die Energiewende vor Ort bekommen. Energiepartnerschaften für den Ausbau erneuerbarer Energien sollten weltweit angestoßen werden.

Die Internationale Energieagentur IEA und Thinktanks wie Climate Analytics halten es für möglich, dass durch den rasanten Ausbau der Erneuerbaren die weltweiten CO2-Emissionen schon ab 2024 fallen. Wie passt das damit zusammen, dass gleichzeitig an vielen Orten der Welt neue fossile Förderprojekte anlaufen?

Die weltweiten Entwicklungen auf den Energiemärkten waren im vergangenen Jahr immer noch durch die Auswirkungen der internationalen Vielfachkrisen bestimmt, vor allem durch geopolitische Krisen und Kriege. Es gibt zwei grundsätzliche Trends.

Einerseits fließen wegen der hohen Öl- und Gaspreise weltweit noch immer Investitionen in fossile Energien. Das zeigt sich auch an dem weltweiten Trend, dass die globalen Treibhausgasemissionen steigen statt zu sinken.

Andererseits werden erneuerbare Energien immer preiswerter, sodass zum ersten Mal mehr Investitionen in Solarenergie als in Erdöl-Förderprojekte fließen. Der Finanzsektor reagiert träge, die Gefahr von "Stranded Assets" ist groß.

Die Maßnahmen der USA im Rahmen des Inflation Reduction Act locken erfolgreich Investitionen von Unternehmen im Bereich der klimafreundlichen Technologien an, sodass es durchaus möglich erscheint, dass wir "Peak Coal" und "Peak Oil" in den kommenden Jahren sehen werden. Beim fossilen Erdgas sehe ich es nicht.

Wenige Wochen nach dem Austritt des Wagenknecht-Flügels gibt es eine Eintrittswelle in die Linkspartei. Darunter sind viele aus der Bewegungslinken, auch aus der Klimabewegung. Könnte die Linke die neue Klimaschutz-Partei werden?

Grundsätzlich ist es gut, wenn das Parteienspektrum möglichst breit ist. Das Erstarken der Rechten ist ein Problem in Deutschland, auch und gerade für den Wirtschaftsstandort. Um rechte Tendenzen einzudämmen, braucht es eine breite Parteienlandschaft. Eine starke linke Partei ist dabei ebenso wichtig für die Demokratie.

Klimaschutz sollte in allen Parteien hohe Priorität haben. In der breiten Öffentlichkeit wird den Grünen zugesprochen, dass sie sich schwerpunktmäßig um Klimaschutz kümmern. Daher ist es grundsätzlich gut, dass sich möglichst viele Menschen im demokratischen Spektrum für effektive Klimaschutzmaßnahmen einsetzen.

 

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Überraschend, aber mittlerweile nur noch schockierend sind die Höhen der Krisen- und Kriegsgewinne von Fossil- und Rüstungsunternehmen. Da titelt beispielsweise eine westdeutsche Tageszeitung, dass "dank Energiekrise" der Kohlekonzern Steag einen "unglaublichen Rekordgewinn" einfährt.

Überraschend ist, dass es noch immer keine Kriegs- und Krisengewinnsteuer beziehungsweise Übergewinnsteuer gibt – obwohl den Konzernen so viele Erstattungen und Unterstützungen dank Steuergeld gewährt wurden. Gelder, die jetzt dem Haushalt fehlen.

Furchtbar sind hingegen die Reflexe derjenigen, die – statt Krisengewinnler oder Vermögende stärker zur Kasse zu bitten – sofort Armen, Schwachen und Kranken Gelder streichen wollen. Das verschärft die soziale Schieflage und spielt Populisten in die Karten.

Fragen: David Zauner