Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Oliver Hummel, Vorstand beim Öko-Energieversorger Naturstrom.
Klimareporter°: Herr Hummel, Sie sind neu im Herausgeberrat von Klimareporter°. Was treibt Sie als Vorstand des Ökostrom-Erzeugers Naturstroms dabei um?
Oliver Hummel: Ich bin seit meiner Jugend interessiert an Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen. Neben dem reinen Naturschutz finde ich dabei vor allem die Frage spannend, wie wir unseren Lebensstandard mit einer nachhaltigen, ökologischen Lebensweise zusammenbringen und so die Erde als lebenswerten Planeten erhalten können.
Nach dem BWL-Studium und einer ersten Station bei einer großen Unternehmensberatung bin ich vor über 20 Jahren bei Naturstrom eingestiegen. Das war damals noch ein Start-up im gerade erst liberalisierten Strommarkt.
Bei Naturstrom ist es immer schon unsere Vision, Atomkraft und fossile Kraftwerke überflüssig zu machen. Uns geht es um eine dezentrale Energiewende, die von den Bürgerinnen und Bürgern maßgeblich mitgestaltet wird. Das ist heute so aktuell wie vor 20 Jahren. Und der Einsatz für dieses Ziel macht mir weiterhin Spaß.
Sie sind als privater Elektrizitätskunde bereits vor über 20 Jahren zu Naturstrom gewechselt. Erinnern Sie sich noch, was die Kilowattstunde damals kostete?
Genau weiß ich das nicht mehr, ich glaube, etwas über 20 Cent pro Kilowattstunde. Klar in Erinnerung habe ich aber noch, dass Naturstrom damals im Vergleich mit konventionellen Tarifen ganz schön teuer war. Mindestens vier Cent pro Kilowattstunde mehr musste man bezahlen. Später hat sich das glücklicherweise gedreht.
Heute erleben wir eine Energiepreiskrise, die Kilowattstunde kostet bei allen Anbietern über 30 Cent, und Neukunden zahlen noch viel mehr. Auch Ihr Unternehmen verlangt bei neuen Verträgen über 40 Cent. Wie erklären Sie das den Kunden?
Wir erklären den Kunden die Lage, auch wenn das nicht einfach ist und wir auf die letzte Preiserhöhung viele Rückfragen erhalten haben. Für energiewirtschaftliche Laien ist es schwer nachvollziehbar, dass sich die Preisexplosion bei fossilem Erdgas auch auf die Lieferverträge für Ökostrom auswirkt. Aber so ist das leider, das hat mit der Logik der Strombörse zu tun.
Zur Deckung der Nachfrage werden die Kraftwerke in der Reihenfolge des Preises herangezogen, zu dem sie aktuell Strom erzeugen können. Das letzte Kraftwerk, das zur Deckung der Nachfrage benötigt wird, ist also das teuerste in der Reihe. Dieses Kraftwerk setzt für alle Anbieter im Markt den Preis. Und bei dem Kraftwerkspark, den wir in Deutschland gerade haben, ist dieses preissetzende Kraftwerk leider häufig ein Gaskraftwerk.
So kommt es, dass steigende Preise für Erdgas im internationalen Großhandel auch den Stromgroßhandelspreis mit nach oben reißen. Diese Entwicklung betrifft auch Ökostromanbieter – obwohl Ökostrom nicht an der Strombörse gehandelt wird. Denn die Betreiber von Ökostromanlagen, mit denen wir bilaterale Lieferverträge schließen, orientieren sich in ihren Preisvorstellungen am aktuellen Niveau der Strombörse.
Ich habe die Hoffnung, dass wir uns in den nächsten Jahren durch langfristige Abnahmeverträge zu festen Preisen, die wir direkt mit Anlagenbetreibern abschießen, zunehmend von dieser Logik der Strombörse lösen können. Beispielsweise sind für neue Freiflächen-Photovoltaikanlagen gerade zehnjährige Abnahmeverträge ein großes Thema. Erste Verträge dieser Art haben wir bereits abgeschlossen.
Wie sehen die Perspektiven der reinen Ökostrom-Versorger im Markt unter diesen Bedingungen denn aus?
Die haben sich sicher nicht verschlechtert, die Preisturbulenzen betreffen ja alle Anbieter. Und vielleicht schärft das unverschämte Verhalten mancher Stromdiscounter, die ohne eigene Insolvenz hunderttausende Kunden einfach vor die Tür gesetzt haben, bei einigen das Bewusstsein für Qualität und Verlässlichkeit. Das würde den Premium-Ökostromanbietern sicher zugutekommen.
Es zeichnet sich ab, dass die Ampel-Regierung die EEG-Umlage bereits im Sommer abschafft. Richtige Strategie?
Es ist grundsätzlich richtig, die Finanzierung der Erneuerbaren auf neue Füße zu stellen. Solar- oder Windparks, die heutzutage errichtet werden, sind auch unter Normalbedingungen – damit meine ich die Stromgroßhandelspreise bis September 2021 – sehr nahe dran am Markt und im Vergleich zu neuen konventionellen Kraftwerken ohnehin günstiger. Die Stromerzeugung aus diesen Anlagen verursacht also kaum noch Differenzkosten, die man umlegen müsste.
Mit der EEG-Umlage haben wir in den letzten Jahren daher hauptsächlich die Anlaufkosten der Erneuerbaren aus den Jahren bis Mitte der 2010er Jahre mitgeschleppt. Die nun in den Bundeshaushalt auszulagern, finde ich angemessen. Strom wird dadurch günstiger. Das ist besonders für die Sektorenkopplung wichtig, schließlich müssen wir möglichst schnell Diesel, Benzin, Heizöl und Gas durch ökostrombetriebene Elektrofahrzeuge und Wärmepumpen ersetzen.
Aber um noch schnell einem Missverständnis vorzubeugen: Auch wenn die Umlage abgeschafft wird, werden wir das EEG an sich, das Erneuerbare-Energien-Gesetz, weiterhin benötigen, damit auch private Photovoltaik-Kleinanlagen oder Bürgerenergieprojekte einen verlässlichen Finanzierungsrahmen haben.
Was muss sonst geschehen, damit die Energiewende bezahlbar bleibt?
Erst einmal möchte ich klarstellen, dass wir auch aus Kostengesichtspunkten keine echte Alternative haben. Die Folgekosten einer ungebremsten Erderhitzung sind kaum berechenbar und lägen sicherlich ganz erheblich über dem, was wir für die Energiewende in die Hand nehmen.
Außerdem: Mit der Energiewende investieren wir in eine moderne, enkeltaugliche Infrastruktur – es entstehen ja Werte!
Oliver Hummel
ist seit 2011 Vorstand der Naturstrom AG. Bei dem Öko-Energieversorger verantwortet er den Bereich Energiebelieferung, der mehr als 300.000 Haushalts- und Gewerbekunden mit Ökostrom und Biogas versorgt. Hummel wechselte 2001 von der Unternehmensberatung Roland Berger zu Naturstrom, seit 2004 ist der studierte Betriebswirt Geschäftsführer. Hummel leitet außerdem die Geschäfte der Naturstrom-Tochter Green Moves, die sich auf nachhaltige Mobilität spezialisiert hat und ein großes Lastenrad-Sharing-System in Köln betreibt.
Wind- und Solarparks produzieren zudem schon seit ein paar Jahren günstiger Strom als neu errichtete Kohle-, Gas- oder Atomkraftwerke. Die Kosten von Solarstrom sind in den letzten 15 Jahren von 50 Cent pro Kilowattstunde auf nur noch fünf Cent gesunken, die Kosten für neue konventionelle Kraftwerke hingegen gestiegen. Auch rein finanziell macht der Neubau von Atom- oder Kohlekraftwerken keinen Sinn mehr.
Die Preisexplosionen infolge der Ukrainekrise und der damit verbundenen Gasknappheit zeigen ja gerade sehr deutlich, welche Risiken auch im Hinblick auf die Kosten in konventionellen Energien und der Abhängigkeit von anderen Staaten liegen.
Jenseits dieser Grundsatzfragen stehen wir aber natürlich vor der Herausforderung, die Energiewende so kosteneffizient wie möglich zu gestalten. In unserer aktuellen Lage heißt das, das Ausbautempo der Erneuerbaren drastisch zu erhöhen und gleichzeitig Überförderungen und Fehlsteuerungen zu vermeiden. Ich bin zuversichtlich, dass das gelingen wird.
Eine große Dynamik im Windbereich wird sich schon allein durch den Abbau bürokratischer Hürden entfachen lassen, ohne dass wir auch nur einen Euro mehr in die Hand nehmen müssen. Ähnliches gilt beispielsweise auch beim Mieterstrom.
Was halten Sie denn generell von den Plänen der Ampel im Energiesektor?
Die Realität hat mit dem Regierungswechsel nun auch in der Bundesregierung und im Wirtschaftsministerium Einzug gehalten – das ist sehr gut und war dringend nötig. Die deutliche Anhebung der Ausbaupfade für Photovoltaik und Windenergie ist dabei absolut zentral – ebenso wie das Anerkennen eines deutlich höheren Strombedarfs durch die Sektorenkopplung.
Nun kommt es darauf an, dass im Oster- und Sommerpaket des Wirtschafts- und Klimaministeriums die angekündigten Reformen auch umgesetzt werden. Ich bin gespannt auf die konkreten Vorschläge.
Naturstrom hat in den letzten Jahren aufwendig mehrere Mieterstrom-Projekte umgesetzt. Haben Sie Hoffnung, dass die Ampel diesem Bereich einen Schub gibt?
Ja, die Ampelkoalition hat zumindest angekündigt, Mieterstrom stärken zu wollen. Mieterstromprojekte leiden seit Jahren unter einer bürokratischen Mikroregulierung, die unbedingt beseitigt werden muss.
Ein bekanntes Problem ist beispielsweise die Anlagenklammerung: Mehrere kleine Photovoltaikanlagen werden in Quartieren unter bestimmten Voraussetzungen rechtlich zu einer großen Anlage zusammengefasst, also geklammert. Dadurch sinkt die Einspeisevergütung, außerdem wird schnell der Schwellenwert von 100 Kilowatt Anlagenleistung erreicht, ab dem die virtuelle größere Anlage direktvermarktet werden muss – was völliger Quatsch ist, wenn man doch den Strom vor Ort nutzen möchte.
Generell müssen wir im Geschosswohnungsbau und in Quartieren weg von der Vielfalt an technologiespezifischen Vorgaben. Für die Sektorenkoppelung im Quartier, also die "Verheiratung" von Strom und Wärme, ist die aktuelle Logik Gift. Wir brauchen stattdessen übergeordnete Zielvorgaben, beispielsweise in Form einer Emissionsobergrenze. Wie diese Zielwerte dann eingehalten werden, sollte den Akteuren vor Ort überlassen bleiben.
Was fehlt im Ampel-Konzept?
Ich habe konkrete Ideen vermisst, um der Bürgerenergie-Bewegung wieder auf die Beine zu helfen. Dass die Leute wieder mehr Möglichkeiten an die Hand bekommen, um vor Ort die Energiewende in die eigenen Hände zu nehmen, halte ich für enorm wichtig.
Zum einen können Bürgerinnen und Bürger ein wichtiger Faktor für den Ausbau der Erneuerbaren sein – weit über das Segment der Photovoltaik-Dachanlagen hinaus. Und zum anderen stärkt es die Akzeptanz der Energiewende, wenn möglichst viele mitmachen können und von Ökostromanlagen vor Ort profitieren.
Die EU hat bereits den Rahmen geschaffen, indem sie im Rahmen ihrer Beihilfeleitlinien nationale De-minimis-Regelungen erlaubt. So könnten Windprojekte, die von Bürgerinnen und Bürgern vorangetrieben werden, von den Ausschreibungen ausgenommen werden. Die Ampel muss außerdem die Versäumnisse der alten Bundesregierung aufarbeiten und Möglichkeiten für eine gemeinschaftliche Eigenversorgung und das sogenannte Energy Sharing schaffen.
Auch bei der Verkehrswende hätten wir uns mehr Engagement gewünscht. Das Auto steht immer noch viel zu sehr im Fokus, auch bei der Elektromobilität. Damit die Verkehrswende als Teil einer sektorenübergreifenden Energiewende wirklich in Gang kommt, müssen zum Beispiel innovative Sharing-Lösungen und das gute alte Fahrrad eine größere Rolle spielen. Im Moment kostet aufgrund der enormen Neuwagenförderung ein gutes E-Lastenfahrrad fast so viel wie ein E-Auto – meines Erachtens eine ziemliche Fehlsteuerung.
Die Ampel sieht Erdgas als Brückenenergie und hat sie sogar bei der EU als "grüne" Energieform durchgesetzt. Geht es nicht ohne Putins Gas?
Mittelfristig natürlich schon, daran arbeiten wir und die Erneuerbaren-Branche ja. Solar- und Windparks produzieren konkurrenzlos günstigen Strom, das Ausbaupotenzial in Deutschland ist vorhanden, die nötigen Flexibilitäts- und Speicheroptionen liegen ebenfalls auf dem Tisch. Die technische und wirtschaftliche Umsetzbarkeit einer Energieversorgung auf Basis der Erneuerbaren wird meines Wissens nicht mehr grundsätzlich in Zweifel gezogen.
Deswegen verstehe ich auch nicht, warum Gas nun in die Taxonomie aufgenommen wurde. Erdgas ist nicht nachhaltig oder grün. Ich sehe keinen Grund, warum die EU es mit diesem Label adeln muss. Der Verzicht auf eine Aufnahme in die Taxonomie hätte schließlich nicht bedeutet, dass niemand mehr in Gaskraftwerke investieren darf.
Das Ganze zeigt meines Erachtens einfach wieder einmal, wie groß der Lobbydruck der konventionellen Energiekonzerne ist und wie rückwärtsgewandt die Energiepolitik einiger Länder.
Letzte Frage: Eine wachsende Zahl von Menschen gibt den Kampf den Klimawandel inzwischen verloren, darunter auch prominente wie der US-Schriftsteller Jonathan Franzen. Sie versuchen, sich auf den Kollaps des Planeten vorzubereiten. Was sagen Sie denen?
Klar, die Zeit wird knapp, um noch auf den 1,5-Grad-Pfad zu kommen. Und vieles geht langsamer, als wir es uns wünschen. Aber wir verfolgen beim Klimaschutz ja kein binäres Ziel, bei dem es nur schwarz und weiß gibt. Auch ein Stopp der Erwärmung bei zwei Grad wäre deutlich besser, als resigniert auf den Abgrund zuzulaufen.
Zumal es in den letzten Jahren auch viele positive Entwicklungen gab. Da kann man doch nicht jetzt schon aufgeben, damit macht man es sich deutlich zu einfach. Das können wir auch den nachkommenden Generationen nicht antun.
Fragen: Joachim Wille