Bürgerenergiewende
Bürgerenergiegemeinschaften hoffen schon lange auf einen Politikwechsel, der die dezentrale Energiewende wieder anschiebt. (Foto: BBEn)

Als Fortschrittskoalition angetreten, müssen sich SPD, Grüne und FDP nun an ihren ambitionierten Versprechen messen lassen. Die Erwartungen sind hoch. Der Koalitionsvertrag kündigt nicht weniger an, als dass die Klimaziele von Paris "oberste Priorität" haben. Für diesen Anspruch sind die im Vertrag genannten Maßnahmen aber noch nicht konkret genug.

Zu begrüßen ist, dass Klimaschutz zu einer Querschnittsaufgabe werden soll und alle neuen Gesetze einem – noch näher zu definierenden – Klimacheck zu unterziehen sind. Kritisch zu beurteilen ist die avisierte Auflösung der Sektorziele im Klimaschutzgesetz und die Einführung einer sektorübergreifenden jährlichen Gesamtrechnung. Hier droht, vor allem im Verkehrs- und Gebäudebereich, der Klimaschutz auf der Strecke zu bleiben.

Klar erkennbar ist der Wille der Koalitionäre, den Ausbau der erneuerbaren Energien zu beschleunigen. Ein wichtiges Signal dabei: Grün erzeugter Strom soll in der Erzeugerregion auch als grüner Strom genutzt werden können.

Vollzieht sich der Ausbau der Erneuerbaren künftig dezentral und wird die Energie erzeugungsnah verbraucht, können unter anderem das Netz entlastet und der angekündigte Netzausbau in Teilen sogar eingespart werden.

Die Ampel-Koalition setzt sich beim Erneuerbaren-Ausbau klar von den völlig unzureichenden Zielen der großen Koalition ab. Anstelle der bisher geplanten 65 Prozent sollen nun bis 2030 rund 80 Prozent des Bruttostrombedarfs durch erneuerbare Energien gedeckt werden.

Dennoch wäre ein ambitionierteres Ziel einer hundertprozentigen erneuerbaren Energieversorgung bis 2030 wünschenswert gewesen. Vor allem aber fehlt noch immer die Antwort auf die Frage, wie der Ausbau in der Kürze der Zeit bewältigt werden kann.

Einspeisevergütung auch nach Kohleausstieg

Wichtige Maßnahmen sind die Beschleunigung von Netzanschlüssen und Zertifizierungen sowie die Anpassung von Vergütungssätzen. Für kleine und mittlere Photovoltaik-Anlagen braucht es auskömmliche Einspeisevergütungen.

Zurzeit können bereits fertige und dringend benötigte Solaranlagen ihren Betrieb nicht aufnehmen, da die Zertifizierungsunternehmen die hohe Nachfrage kaum bewältigen können. Schließlich müssen diese auch kleinere Anlagen ab 135 Kilowatt prüfen. Die Zertifizierungspflicht sollte deswegen wieder nur für Solaranlagen ab einer Größe von einem Megawatt gelten.

Seit Anfang 2017 sind alle Photovoltaik-Anlagen ab 750 Kilowatt Nennleistung ausschreibungspflichtig. Dazu kommt für die meisten Anlagen eine effektive Ausschreibungspflicht ab 300 Kilowatt. Diese Verschärfungen sollten zurückgenommen werden und Ausschreibungen erst für Photovoltaik ab einem Megawatt Leistung verpflichtend werden.

Porträtaufnahme von Viola Theesfeld.
Foto: Nelli Kuhn

Viola Theesfeld

ist Referentin für Energie­politik und -wirtschaft beim Bündnis Bürger­energie (BBEn). Sie studierte Europäisches Verwaltungs­management und befasste sich als Quartiers­managerin mit kommunaler Bürger­beteiligung. Das Bündnis Bürger­energie versteht sich als Plattform für Engagierte und als Vordenkerin einer dezentralen und partizipativen Energiewende zu 100 Prozent Erneuerbaren.

Der ausbauhemmende "atmende" Deckel muss nicht nur, wie im Koalitionsvertrag festgehalten, geprüft, sondern abgeschafft werden.

Auch die Einrichtung eines Bürgerenergiefonds nur zu prüfen, wie es im Koalitionsvertrag heißt, reicht nicht. Der Fonds muss zeitnah eingerichtet werden.

Ein solcher Fonds nach dem Vorbild Schleswig-Holsteins könnte für die nötige Sicherheit sorgen, um neue innovative Geschäftsmodelle wie biodiversitätsfördernde und Agri-Photovoltaik, E-Mobilität, erneuerbare Wärme, Energy Sharing und anderes entwickeln zu können.

Auch gilt es, das Flächenziel für Wind an Land in Höhe von zwei Prozent bereits im für 2022 geplanten Klimasofortprogramm zu verankern. Damit ein dezentrales Energiesystem funktioniert, muss die Windkraft praktisch überall – und damit auch in weniger windreichen Gebieten – ausgebaut werden.

Auch nach dem Kohleausstieg werden das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) und seine Einspeisevergütungen sowie die Marktprämien noch elementar wichtig sein. Anlagen in Bürgerhand werden weiterhin auf Planungssicherheit angewiesen sein.

Bürger:innen können das Anlagerisiko nicht über mehrere Projekte streuen und haben auch keine Möglichkeiten abzuschätzen, wie sich der Strompreis im Laufe der Jahre entwickelt und ob sich eine Umsetzung rentiert oder nicht.

Sowohl die Windenergie an Land als auch die Solarenergie – vor allem als Dach- und Freiflächenanlagen – müssen wieder zu den Zugpferden der Energiewende werden.

Bekenntnis zur Bürgerenergie mit Inhalten füllen

Besonders erfreulich am Koalitionsvertrag ist das klare Bekenntnis zur Bürgerenergie – auch wenn sie mehr als ein Mittel für Akzeptanz gesehen und der Einfluss der Bürgerenergie als Innovations- und Investitionstreiber verkannt wird.

Die neue Regierung scheint zudem bestrebt, EU-Richtlinien ernst zu nehmen und starke Rechte für Eigenversorger:innen und Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften im Sinne von Artikel 21 und 22 der Erneuerbare-Energien-Richtlinie RED II zu etablieren.

Die gegebenen europarechtlichen Möglichkeiten zum Energy Sharing als einem Instrument für aktiven Klimaschutz, eine beschleunigte Energiewende und die Nutzung dezentraler Flexibilitäten sollen endlich ausgeschöpft werden.

Energy Sharing schafft einen neuen Marktrahmen. Mitglieder von Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften könnten den gemeinschaftlich erzeugten Strom über das regionale Verteilnetz vergünstigt nutzen. Dafür ist von der Bundesregierung in Rücksprache mit der Zivilgesellschaft zügig ein detailliertes Konzept auszuarbeiten.

Begrüßenswert ist ebenso die Absicht im Koalitionsvertrag, Energiesteuern, -abgaben und -umlagen zu vereinfachen, um Mieterstrom- und Quartierskonzepte zu fördern und zu stärken.

Der Koalitionsvertrag unterlässt aber eine Weiterentwicklung der Eigenversorgungs-Regelung zugunsten der gemeinsam handelnden Eigenversorger:innen. In Mehrparteienhäusern Wohnende werden weiterhin durch das Kriterium der Personenidentität daran gehindert, den Strom vom Dach in ihre Wohnungen zu leiten.

Damit auch Hausgemeinschaften ihren selbst erzeugten Strom ohne unverhältnismäßigen Aufwand nutzen können, muss endlich die im EEG vorgeschriebene Personenidentität zwischen Anlagenbetreiber:in und Letztverbraucher:in aufgehoben werden.

Es bleibt abzuwarten, an welchen Stellschrauben SPD, Grüne und FDP im Klimasofortprogramm drehen werden. Es sollte allen drei Parteien eine Herzensangelegenheit sein, die Bürgerenergie als tragende Säule der Energiewende zu stärken.

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