Luftaufnahme von Unterlottenweiler bei Friedrichshafen mit vielen Solaranlagen auf den Dächern.
Auf dem Land wie hier bei Friedrichshafen sieht man schon viele Solardächer, in großen Städten dagegen kaum. (Foto/​Ausschnitt: Hennadij Filtschakow/​Shutterstock)

Bald 16 Jahre unionsgeführte Regierungen haben die Energiewende in Deutschland in bedrohliches Fahrwasser manövriert. Zähneknirschend hat die schwarz-rote Regierung nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zwar noch hektisch ihr Klimaschutzgesetz korrigiert und neue Ziele festgeschrieben.

Doch immer, wenn es um konkrete Maßnahmen geht, zeigten sich gerade die Energiepolitiker von CDU und CSU in den letzten Jahren als Blockierer: neue Abstandsregeln für Windenergie, langes Festhalten am Solardeckel, niedrige Ausbaupfade für Erneuerbare und nicht zuletzt die bewusst verschleppte Umsetzung europäischer Vorgaben.

Bis Ende Juni musste die neue europäische Erneuerbare-Energien-Richtlinie RED II in einzelstaatliches Recht umgesetzt sein, andernfalls droht ein Vertragsverletzungsverfahren. Umweltverbände prüfen bereits die Beschwerde gegen Deutschland.

Dennoch weigerte sich die Bundesregierung bis zum Schluss, die Vorgaben für Erneuerbare-Energien-Gemeinschaften und die gemeinschaftliche Eigenversorgung mit erneuerbarer Energie zu definieren. Obwohl im Bundestag in der letzten regulären Sitzungswoche dieser Wahlperiode noch mehrere Gesetzesvorhaben zu Energie und Klima verhandelt wurden, machte die Koalition einen großen Bogen um die Regelungen für erneuerbare Energien in der Hand der Bürger:innen.

Die Stärkung der Bürgerenergie wäre eine große Chance, die Begeisterung für die Energiewende wieder zu wecken. Wenn es möglich wird, überschüssigen Strom vom eigenen Solardach einfach mit der Nachbarin zu teilen, kann die Solaranlage ruhig etwas größer ausfallen.

Wenn es möglich wird, als ganzes Quartier einen Stromspeicher mit den Solaranlagen aus dem Kiez zu füllen, können Angebot und Nachfrage von sauberem Ökostrom besser aufeinander passen. Und durch die Mitgliedschaft in Erneuerbare-Energien-Gemeinschaften können auch diejenigen von den Vorteilen der Energiewende profitieren, die selbst kein Geld für die Anfangsinvestition in eine Solaranlage aufbringen können.

Noch bei der letzten Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes im Dezember 2020 versprach die Regierung, die Vorgaben der EU zur Bürgerenergie umzusetzen. Doch schon kurze Zeit später wiegelte der Staatssekretär des Bundeswirtschaftsministeriums im Bundestag ab, man habe doch alles erledigt. So offensiv, ja fast dreist, geht kein anderer Mitgliedsstaat mit dieser EU-Richtlinie um.

Bürgerenergiefonds und Ausschreibungsbefreiung

Es wäre äußerst hilfreich gewesen, die noch amtierende Koalition hätte eine saubere Kosten-Nutzen-Analyse von Erneuerbare-Energien-Gemeinschaften vorgelegt, wie die EU-Richtlinie es vorsieht. So hätte zum Beispiel die Frage geklärt werden können, ob Erneuerbaren-Gemeinschaften Teile der Netzentgelte oder anderer staatlicher Umlagen erlassen werden sollten, weil sie als dezentrale Erzeuger und Verbraucher die Energie-Infrastruktur weniger in Anspruch nehmen.

Doch wie es aussieht, wird es in dieser Wahlperiode nichts mehr mit dieser Analyse. Auch alle Chancen, noch rechtzeitig zu bestärkenden Regeln für die gemeinschaftliche Eigenversorgung und alle anderen Formen der dezentralen Energieerzeugung und -speicherung zu kommen, hat diese Regierung nun verspielt.

Julia Verlinden

ist seit 2013 Bundes­tags­abgeordnete der Grünen und Sprecherin für Energie­politik ihrer Fraktion. Die studierte Umwelt­wissen­schaftlerin aus Lüneburg ist Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Energie.

Es muss daher spätestens nach der Bundestagswahl eine Offensive für die Bürgerenergie in Deutschland geben, damit sich wieder viel mehr Menschen ohne bürokratische Hindernisse an der Energiewende beteiligen können.

Dafür braucht es ein klares Bekenntnis durch alle politischen Ebenen zum Generationenprojekt Energiewende und zum Klimaschutz. Und es braucht konkrete Instrumente. Dazu gehört ein bundesweiter Bürgerenergiefonds, der die Anfangskosten in der unsicheren Projektphase absichert, wie er in Schleswig-Holstein beispielsweise bereits zur Verfügung steht.

Die möglichen Ausnahmen im europäischen Beihilferecht, um komplizierte Ausschreibungen für Bürgerenergieprojekte zu vermeiden, müssen voll ausgeschöpft werden. Dafür muss sich die noch amtierende Bundesregierung schon über den Sommer in Brüssel für klimapolitisch sinnvolle Beihilfeleitlinien einsetzen.

Statt weiter zu bremsen und den Erfordernissen des Klimaschutzes hinterherzulaufen, muss jetzt das Jahrzehnt der erneuerbaren Energien anbrechen. Die Bürger:innen dabei mitzunehmen ist nicht nur eine vage Option, es ist der einzig sinnvolle Weg.

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