"Es liegt noch viel Arbeit vor uns", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) jetzt bei ihrem Besuch in den von der Flutkatastrophe besonders betroffenen Orten in Nordrhein-Westfalen.
Der Wiederaufbau werde lange dauern, das werde mit jedem Tag klarer. Auch die nächste Bundesregierung werde daher solche Besuche ansetzen müssen, so Merkel.
Bei den Überschwemmungen im Juli waren mehr als 180 Menschen umgekommen, es entstand ein Sachschaden in zweistelliger Milliardenhöhe – mehr als bei früheren Flutereignissen in Deutschland. Bundestag und Bundesrat wollen in dieser Woche einen Fluthilfe-Fonds verabschieden, der mit 30 Milliarden Euro ausgestattet ist.
Die Flut in Rheinland-Pfalz und NRW, aber auch die Verwüstungen, die der Hurrikan "Ida" vorige Woche in den US-Metropolen New Orleans und New York verursacht hat, sind Illustrationen zu einer neuen Untersuchung über die Schäden, die der Weltwirtschaft durch einen ungebremsten Klimawandel drohen. Die Kosten könnten danach rund sechsmal höher sein als bisher angenommen.
Forscher bekannter Universitäten in Europa und den USA haben für die Studie die Folgen des Klimawandels für das künftige Wachstum modelliert. Die Abschätzung ergab, dass die weltweite Wirtschaftsleistung, gemessen als Bruttoinlandsprodukt (BIP), in diesem Jahrhundert gegenüber einer Entwicklung ohne Erderwärmung um durchschnittlich 37 Prozent sinken könnte.
Das wäre mehr als das Doppelte des BIP-Rückgangs während der Weltwirtschaftskrise 1929. Die meisten bisherigen Schätzungen gingen nur von BIP-Einbußen im einstelligen Bereich bis 2100 aus.
"Sozialer CO2-Preis" liegt ungleich höher
Beteiligt an der Studie waren Ökonomen von der ETH Zürich, dem Imperial College London, der Universität Cambridge und weiteren renommierten Einrichtungen, erschienen ist sie in der Zeitschrift Environmental Research Letters. Hauptautor Jarmo Kikstra arbeitet am Wiener Systemforschungsinstitut IIASA und am Imperial College.
Bisherige Untersuchungen zu den ökonomischen Folgen der Klimakrise waren nach Angaben der Ökonomen davon ausgegangen, dass die Folgen von Extremwetterereignissen wie Hitzewellen und Überschwemmungen das Wirtschaftswachstum nicht dauerhaft beeinträchtigen.
"Die meisten Modelle konzentrieren sich nur auf kurzfristige Schäden", so die Autoren. Diese würden das BIP laut der Studie bis 2100 um sechs Prozent geringer ausfallen lassen.
Inzwischen gebe es jedoch "immer mehr Belege dafür, dass Extreme wie Dürren, Brände, Hitzewellen und Stürme und ihre Auswirkungen auf Gesundheit, Ersparnisse und Arbeitsproduktivität langfristige wirtschaftliche Schäden verursachen".
Die Experten räumen ein, dass die Berechnungen noch mit "erheblicher Unsicherheit" behaftet seien, unter anderem deswegen, weil unklar sei, inwieweit sich die Gesellschaften an die Klimafolgen anpassen können.
Folgen hat die neue Berechnung auch für die ungedeckten Schadenskosten, die durch die Treibhausgasemissionen ausgelöst werden. Pro Tonne belaufen sich diese, so die Studienautoren, "sozialen Kosten des CO2" auf mehr als 3.000 US-Dollar, das sind über 2.500 Euro.
Bisherige Schätzungen liegen deutlich darunter. Das Umweltbundesamt zum Beispiel setzt die CO2-Kosten mit 195 Euro pro Tonne an.
"Solange wir Treibhausgase emittieren, wird es schlimmer"
Eine von den bekannten Ökonomen Nicholas Stern und Joseph Stiglitz geleitete Kommission errechnete für die Vereinten Nationen auf 130 bis 160 Dollar (110 bis 135 Euro) ansteigende Werte, die im Jahr 2050 erhoben werden müssten, um die Schäden gegenzufinanzieren.
Im EU-Emissionshandel, der für Kraftwerke, Industrie und den innereuropäischen Flugverkehr gilt, liegt der Preis derzeit bei etwas über 60 Euro. Der in Deutschland im Januar eingeführte CO2-Preis für Sprit und Heizenergie beträgt 25 Euro.
Zur Einordnung: Eine Tonne CO2 entsteht zum Beispiel bei 6.000 Kilometern Fahrleistung in einer Limousine mit Benzinmotor.
Studien-Mitautor Chris Brierley vom University College London kommentierte: "Wir wissen noch nicht genau, wie stark sich der Klimawandel auf das langfristige Wirtschaftswachstum auswirken wird – aber es ist unwahrscheinlich, dass der Effekt gleich null ist, wie die meisten Wirtschaftsmodelle angenommen haben."
Die globale Erwärmung mache Extremereignisse wie die Überschwemmungen in Europa sehr viel wahrscheinlicher, sagte Brierley. "Wenn wir nicht mehr davon ausgehen können, dass sich die Volkswirtschaften innerhalb einiger Monate von solchen Ereignissen erholen, fallen die Kosten der Erwärmung viel höher aus als allgemein angegeben."
Sein Kollege James Rising von der Universität von Delaware in den USA und der London School of Economics ergänzte: "Je mehr wir über die Risiken des Klimawandels wissen, desto dringender wird das Handeln. Jedes Jahr haben wir mehr Naturkatastrophen im Zusammenhang mit dem Klimawandel, und die Lage wird sich weiter verschärfen, solange wir nicht weltweit netto null Emissionen haben."
Klimaschäden in 50 Jahren verfünffacht
Wie stark die Schäden durch mehr klimabedingte Wetterkatastrophen angestiegen sind, hat in der vorigen Woche die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) dargelegt.
Laut ihrem Report hat sich die Zahl dieser Ereignisse in den letzten 50 Jahren global fast verfünffacht – von rund 770 Katastrophen in den 1970er Jahren auf mindestens 3.165 im vorletzten Jahrzehnt. Die Schäden stiegen seitdem von 175 Milliarden Dollar pro Jahrzehnt auf 1,38 Billionen.
Allerdings verraten Schadenssummen nicht unbedingt, wie schwer die Zerstörungen für die betroffenen Menschen und Volkswirtschaften wiegen. Werden zum Beispiel teure Häuser und Fahrzeuge zerstört, ist der nominelle Schaden besonders hoch. Im Verhältnis zum BIP sind reiche Länder aber nicht stärker betroffen als arme, eher im Gegenteil.
Positiv war zum Glück die Entwicklung in der Opferbilanz. Die Zahl der Todesopfer sank von jährlich über 50.000 auf rund 18.000, unter anderem durch bessere Frühwarnsysteme, Schutzkonzepte und Maßnahmen zur Klimaanpassung.