Grafik: Eine Pflanze, die aus einem Haufen Geldscheine wächst
Grafik: Kristin Rabaschus

Die Europäische Kommission hat wie erwartet Investitionen in neue Gas- und Atomkraftwerke unter bestimmten Auflagen als klimafreundlich eingestuft. Dabei schien die Idee aus Brüssel ursprünglich überzeugend: ein gemeinsames Label für Europa, das Verbrauchern und Unternehmen garantiert, dass "grüne" Finanzprodukte wirklich sozial und ökologisch sind.

Die Brüsseler Behörde hatte ihren Vorschlag für die sogenannte Taxonomie-Verordnung am Silvesterabend hoffnungsfroh an die EU-Mitgliedsstaaten geschickt. Doch das Projekt von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist in Deutschland in doppelter Hinsicht gescheitert.

"Soziales" spielt in dem am Mittwoch vorgestellten Taxonomie-Vorschlag praktisch keine Rolle. Und dass Atomenergie und Erdgas als "grün" taxiert werden – wenngleich als Übergangstechnologie deklariert – ist für viele Menschen vor allem in Deutschland und Österreich ein Ding der Unmöglichkeit.

Ein Projekt, das Greenwashing verhindern sollte, "ist selber zu Greenwashing geworden", beklagt Thomas Jorberg, Vorstandssprecher der GLS Bank, die sich als Vorreiterin grüner Geldanlagen hierzulande sieht.

Die französische Regierung des wirtschaftsliberalen Präsidenten Emmanuel Macron reitet nun auf der politischen Siegerstraße. Frankreichs Energieversorger setzen bei klimafreundlichen Technologien vor allem auf Atomstrom.

Doch der überalterte kerntechnische Kraftwerkspark und der von Macron vor der Präsidentschaftswahl im April angekündigte Bau einer neuen AKW-Generation verlangen gewaltige Investitionen. Ein grünes EU-Label würde es Banken und Investoren erleichtern, in Atomenergie zu investieren.

Gleichzeitig sichert der europäische Taxonomie-Kompromiss den Plan der alten und neuen Bundesregierung ab, Erdgas als "Übergangstechnologie" auf dem langen Weg zur Klimaneutralität einzusetzen.

Das letzte Wort sei noch nicht gesprochen, versucht die grüne Bundesumweltministerin Steffi Lemke ihre Partei zu besänftigen. Das Meinungsbild über diese Frage sei in der EU keineswegs eindeutig. Auch im Europäischen Parlament wachse der Unmut über die Vorgehensweise der Kommission zusehends.

Gerade erst hätten "die wichtigsten EU-Experten für nachhaltige Finanzen" die Vorschläge der Kommission rundweg abgelehnt, betont Lemke im Interview mit der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung. Auch sprächen sich Banken, Versicherungen und Finanzfachleute dagegen aus. Daher befinde man sich in einer wesentlich intensiveren Debatte, als viele erwartet hätten.

Sechs Monate Gnadenfrist

Doch die Ministerin pfeift im dunklen Keller. Zwar haben der Ministerrat, also die Regierungen der 27 EU-Staaten, und das Europaparlament bis zu sechs Monate Zeit, um über den Vorschlag der Kommission zu beraten. Um die Taxonomie noch zu stoppen, müssten allerdings mindestens 20 Mitgliedsstaaten mit mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung dagegen stimmen – oder eine absolute Mehrheit im EU-Parlament. Beides erwarten kundige Beobachter nicht.

Dennoch gibt es Hoffnung. So will die deutsche Finanzaufsicht Bafin – und nicht allein diese – "Nachhaltigkeit messbar machen". Das könnte zu einem dunkelgrünen Label führen. Dahinter steht die Erkenntnis, dass Investitionen, die nicht wirklich nachhaltig sind, für Banken, Versicherungen und Wirtschaft besonders riskant sind. Die Investoren müssten dann zusätzliche Kapitalpolster beispielsweise für Gaskraftwerke anlegen, was solche Investitionen verteuern und damit weniger attraktiv machen würde.

Auch in der Grün-Geld-Szene gibt es Überlegungen, ein eigenes Taxonomie-Siegel zu schaffen, ohne Atom und Gas. Ähnlich wie bei Holz und Fisch könnte eine Agentur europaweit auf der Basis von Mindeststandards Geldanlagen als "grün" zertifizieren. Faktisch ist die Szene aber zerstritten, nicht allein bei Atom und Gas, sondern beispielsweise auch bei dem Missverhältnis von Klima- und Umweltschutz.

Unabhängig davon stellt sich die Frage nach Sinn und Zweck einer Taxonomie. Nachhaltige Geldanlage, die auf Umwelt, Soziales und Unternehmensführung achtet, englisch kurz ESG (environmental, social and corporate governance), hat viele Facetten. Dabei sind Atom und Gas nicht die einzigen Stolpersteine für Sparer und Kreditnehmer. Und ein Blick ins Kleingedruckte kann für Verbraucher ohnehin nie schaden.

Zugleich sind viele Hoffnungen, die für die weiche Taxonomie der EU-Kommission gehegt wurden, bestenfalls naiv. Konzerne wie der französische Atomkonzern EDF, der Autohersteller Daimler oder die US-amerikanische General Electric werden nicht allein wegen eines Labels umwelt- und sozialverträglich.

Möglich wird dies allein, wenn Politik und Regierungen harte und unausweichliche Rahmenbedingungen schaffen, die eine im besten Sinne gute Unternehmensführung effizienter machen als kurzsichtige Profitsucht.

Lesen Sie dazu unseren Kommentar: Brüsseler Greenwashing

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