Aufgefächerte Geldscheine vor einem Stromzähler.
Die neue Bundesregierung arbeitet noch an einem Konzept gegen Energiearmut durch Preiskapriolen. (Foto: Tim Reckmann/​Flickr, CC BY 2.0)

Der Preis für die Kilowattstunde Haushalts-Strom hat offenbar die 40-Cent-Grenze gerissen. Verbraucher in der sogenannten Grundversorgung würden derzeit 40,01 Cent für die Kilowattstunde zahlen, verkündete das Preisportal Stromauskunft am Montag. Gegenüber dem Vorjahr habe sich Strom damit um 5,3 Cent pro Kilowattstunde oder mehr als 15 Prozent verteuert.

Stromkunden außerhalb der Grundversorgung bezögen mit rund 37,3 Cent ihre Kilowattstunde zwar noch etwas günstiger, dafür sei hier ein Preisanstieg um gut 14 Cent oder 60 Prozent zu verkraften gewesen, teilt das Portal weiter mit.

Der Sparvorteil für Kunden, die regelmäßig zu sogenannten Stromdiscountern gewechselt sind, ist damit so gut wie weg. Das stürzt viele Haushalte in finanzielle Nöte und zwingt nun auch die Ampel-Regierung zu reagieren.

Die Verbraucher dürften nicht noch einmal so im Regen stehen, erklärte Wirtschaftsstaatssekretär Oliver Krischer am Montag laut Medienberichten. Für viele Menschen sei es ein "großer Schock" gewesen, auf einmal eine Kündigung des Gas- oder Stromanbieters vorzufinden.

Nach Krischers Angaben soll es in der Grundversorgung künftig einheitliche Tarife geben, damit Neukunden nicht doppelt oder dreimal so viel wie Bestandskunden zahlen müssten. Sogenannte gesplittete Grundversorgungstarife für Bestands- und Neukunden, wie sie zuletzt um sich griffen, seien ein "unnötiges Beschäftigungsprogramm für Gerichte", meint Krischer.

Ökostromer wollen nicht für Discounter mithaften

Das Ziel der Ampel, zu einheitlichen Tarifen in der Grundversorgung zurückzukehren, wird beim Ökoenergieunternehmen Naturstrom begrüßt. Die Aufsplittung in Bestands- und Neukundentarife untergrabe den Sinn der Grundversorgung, allen Kunden einen einheitlich fair kalkulierten Tarif anzubieten, betonte die neue Vorständin Kirsten Nölke gegenüber Klimareporter°.

Sie wies in dem Zusammenhang darauf hin, dass die Grundversorger mit diesen Kunden jahrzehntelang "bequem und ohne Vertriebsaufwand" hohe Margen erzielen konnten. "Und jetzt, wo es für alle Energieversorger unbequem wird, ziehen sie sich mit teils unerklärlich hohen Neukundenpreisen aus der Affäre."

Gegen einheitliche Grundversorgungs-Tarife sprach sich am Montag die Chefin des Energiewirtschaftsverbandes BDEW, Kerstin Andreae, aus. Die Regierung müsse dafür sorgen, dass Grundversorger sachgerecht auf "unerwartete Neukundenzugänge" und gleichzeitig extreme Steigerungen von Beschaffungskosten reagieren können. Dazu müsste die Möglichkeit für einen angemessenen, zusätzlichen Tarif ins Gesetz aufgenommen werden, sagte Andreae.

Naturstrom-Vorständin Nölke begrüßt auch grundsätzlich die Pläne des Wirtschaftsministeriums, die Stromdiscounter stärker in die Pflicht zu nehmen. Staatssekretär Krischer zufolge sollen dazu die Hürden für einen Lieferstopp erhöht werden. Die Einstellung von Gas- oder Stromlieferungen müsse künftig mehrere Monate vorher angekündigt werden, so Krischer, damit die Betroffenen sich in Ruhe einen neuen Versorger suchen könnten.

Das geht für Nölke allerdings zu weit. "Die staatliche Vorgabe mehrmonatiger Kündigungsfristen halten wir nicht für den richtigen Weg, da sie für die gesamte Branche einen massiven Eingriff in die Vertragsfreiheit bedeutet", wendet die Naturstrom-Vorständin ein. Stattdessen sollten Energieanbieter dazu verpflichtet werden, eine bestimmte Menge der benötigen Energie längerfristig zu sichern, um Insolvenzen bei steigenden Strompreisen zu vermeiden.

Derartige Mindestanforderungen würden nach Nölkes Überzeugung die "Harakiri-Taktik" der Discounter unterbinden, aber nicht zugleich die seriösen Energieversorger treffen. Anbieter, die Lieferverträge trotz einer vertraglichen Restlaufzeit vorzeitig beendeten, müssten wie bisher zivilrechtlich und gegebenenfalls auch strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden.

"Wir müssen uns viel grundsätzlicher Gedanken machen"

Die Preisexplosion am Energiemarkt beschleunigt offenbar auch die Umsetzung des Vorschlags der Grünen für ein Klima- oder Energiegeld. Mit der Zahlung sollten eigentlich die Einnahmen aus dem nationalen CO2-Preis auf Kraft- und Brennstoffe teilweise an die Bevölkerung zurückgegeben und so sozial abgefedert werden. "Mittelfristig" wolle man nun ein solches Energiegeld einführen, sagte der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck kürzlich dem Spiegel.

Die grüne Bundestagsabgeordnete Lisa Badum räumte in einer Online-Debatte letzte Woche ein, der Schwerpunkt habe bisher auf der Senkung der EEG-Umlage gelegen. Damit habe man anfangen und dann über das Klimageld reden wollen.

Jetzt habe aber die Strompreisentwicklung dazu geführt, dass zur Senkung der EEG-Umlage nicht mehr so viel Geld benötigt werde. Damit gebe es nun, so Badum, eine "offene Diskussion" über den Vorschlag, schon früher in die Entwicklung des Klimageldes einzusteigen. Badum: "Ich hätte Sympathien dafür."

Der SPD-Abgeordnete Andreas Mehltretter wies in derselben Debatte darauf hin, dass die Senkung der EEG-Umlage die Strompreiserhöhung gar nicht mehr ausgleiche. "Wir müssen da schnell zu weiteren Lösungen kommen."

Wichtigster Grund, warum das Klimageld noch nicht eingeführt wurde, ist für Mehltretter die schwierige rechtliche Umsetzung. Zugleich machte er darauf aufmerksam, dass die aktuellen Lasten gerade für Energieverbraucher mit geringem Einkommen vor allem aus den extrem gestiegenen Öl- und Gaspreisen resultierten und weniger aus der CO2-Bepreisung. Hier müsse man sich viel grundsätzlicher Gedanken machen, wie ein sozialer Ausgleich möglich werde, sagte der SPD-Abgeordnete.

Mit einem Energiegeld Menschen mit geringen Einkommen und die am stärksten von explodierenden Energiepreisen betroffenen Haushalte zu unterstützen, hatte letzte Woche auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Marcel Fratzscher gefordert.

"Die Pandemie und der Russland-Konflikt, welche die Energiepreise und Preise in den Lieferketten steigen lassen, führen dazu, dass die Preisentwicklung weiterhin schwer vorhersehbar ist", sagte der DIW-Chef der Rheinischen Post. "Kurzfristig wird niemand in Deutschland daran etwas ändern können, weder die Politik noch die Zentralbank."

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