Matthias Willenbacher
Matthias Willenbacher. (Foto: Wiwin)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Matthias Willenbacher, Geschäftsführer der Plattform für nachhaltiges Investieren Wiwin.

Klimareporter°: Herr Willenbacher, Konzerne von Allianz bis SAP fordern von der künftigen Bundesregierung mehr Ökostrom, einen schnelleren Kohleausstieg und höhere CO2-Preise. Sind wir schon an dem Punkt, an dem ein Mangel an Klimaschutz ein realer Wettbewerbsnachteil für ein Land ist?

Matthias Willenbacher: Unbedingt. Das beste Beispiel ist ja die Standortentscheidung des US-Elektroautobauers Tesla für die Gigafactory im märkischen Grünheide. Die wäre ohne den hohen Anteil von erneuerbaren Energien am Strommix in Brandenburg sicherlich nicht so getroffen worden.

Das Markenimage und die Unternehmensreputation, das gestiegene Klimabewusstsein der Verbraucher:innen, dauerhaft und verlässlich niedrige Energiepreise, Druck vonseiten des Finanzmarkts und der Finanzpolitik, der Ehrgeiz, in entsprechenden Ratings gut abzuschneiden – all das führt dazu, dass zu wenig Klimaschutz und zu wenig erneuerbare Energien mittlerweile einen massiven Standortnachteil im globalen Wettbewerb darstellen.

Deutschland und ganz Europa haben das viel zu spät erkannt. China, Indien, andere asiatische Länder und auch die USA drohen uns hier abzuhängen. Der European Green Deal kommt sehr spät, und er ist in vielen Aspekten nicht ambitioniert genug. Das ist nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch ein Riesenproblem.

Die EU streitet weiter darüber, ob Finanzprodukte in Zusammenhang mit fossilem Erdgas und Atomkraft als nachhaltig gekennzeichnet werden sollten. Wie sehen Sie das?

Es ist eine Schmach für die EU, dass dieser Streit immer noch weitergeht – und eine saftige Ohrfeige für die europäische Demokratie. Denn das Europäische Parlament hatte sich bei der Verabschiedung der Taxonomie-Verordnung eindeutig gegen die Klassifizierung der Atomenergie als nachhaltige Technologie ausgesprochen.

Nun versucht Frankreichs Präsident Macron, der Atomenergie durch die Hintertür doch noch ein grünes Label zu verpassen, und die EU-Kommission lässt jede aufrechte Haltung vermissen.

Das Gleiche gilt für die Tricks rund um Erdgas, bei denen leider auch viele deutsche Europaabgeordnete, vor allem aus der Union, mitspielen.

Für die EU steht viel auf dem Spiel: ihre klimapolitische Glaubwürdigkeit, demokratische Prinzipien, das Wohl ihrer Bürger:innen – und sie droht all das zu verspielen. Helfen kann nur massiver Druck auf die Kommission, der zum Glück bereits von vielen Nichtregierungsorganisationen ausgeübt wird, aber noch verstärkt werden muss.

Europa ächzt unter hohen Energiepreisen. Wie sollten Regierungen damit umgehen? Sollten sie etwa Energie subventionieren, um soziale Härten zu verhindern, oder lieber nicht, um den Energieverbrauch gering zu halten?

Die hohen Energiepreise sind ja Resultat des geopolitischen Spiels, das viele Despoten in erdgas- und erdölexportierenden Staaten – allen voran Wladimir Putin – mit uns spielen. Würde man darauf unmittelbar zum Beispiel mit Subventionen reagieren, würde man ihnen nur in die Karten spielen. Stattdessen müssen wir aus der augenblicklichen Situation drei Lehren ziehen.

Erstens muss Europa endlich seine Abhängigkeit von Energieimporten beenden. Das geht nur, indem man erneuerbare Energien dezentral ausbaut. Wer hingegen bei der Energiewende auf Windenergie aus Sibirien oder Wasserstoff aus Nordafrika setzt, handelt nicht nur energiepolitisch dumm, sondern auch geopolitisch naiv. Leider trifft dieses Urteil auf viele Politiker:innen, gerade auch in der noch amtierenden Bundesregierung, zu.

Zweitens ist die beste – und eigentlich auch einzig vernünftige – Strategie, um die Energiepreise dauerhaft niedrig zu halten, die Potenziale für Wind- und Sonnenenergie vor Ort zu nutzen.

Drittens ist es kurz- wie langfristig richtig, die vor Ort erzeugte und verbrauchte erneuerbare Energie möglichst von Netzentgelten und anderen Abgaben zu befreien. Damit ließen sich soziale Härten dauerhaft abmildern, Energiearmut nachhaltig bekämpfen und die gesellschaftliche Unterstützung für eine schnelle Energiewende erreichen – ein Win-win-win-Modell.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Die Überraschung der Woche ist für mich, dass die Ampel-Sondierung Ansätze zu einem Klimaprogramm erbracht hat, das echtes Potenzial mitbringt. Es sollte aber noch ergänzt werden.

Zum einen ist die Ausweisung von zwei Prozent der Flächen für Windenergie richtig und muss schnell umgesetzt werden. Zusätzlich braucht es eine echte Beschleunigung der Genehmigungsverfahren, die höchstens zwei Jahre dauern dürfen. Dies muss auch eine radikale Vereinfachung für Repowering-Projekte umfassen.

Alle Höhenbegrenzungen für neue Windräder – gerade auch für Schleswig-Holstein – sollten ebenso entfallen wie pauschale Abstände zur Wohnbebauung, insbesondere natürlich in Bayern. Stattdessen sollten die Schall-Immissionen das wichtigste Kriterium sein. Zudem halte ich eine Abschaffung der Netzentgelte für Anwohner:innen im Umkreis von zwei Kilometern um Windenergieanlagen für richtig. So kann die Akzeptanz vor Ort gesichert werden.

Zweitens ist eine Solardachpflicht für Gewerbebauten zwar sehr gut, noch wichtiger wäre aber eine Entbürokratisierung beim Netzanschluss. Dieser sollte bei Anlagen bis 30 Kilowatt maximal 1.000 Euro kosten, der Rest wäre vom Netzbetreiber zu zahlen. Bei größeren Anlagen sollte die Kostengrenze bei 70 Euro pro angeschlossenen Kilowatt liegen. Zudem muss endlich Schluss mit den gefühlt tausend unterschiedlichen Anmelde- und Registrierformularen sein.

Zum Dritten ist ein Enddatum für den Verbrennungsmotor ein wichtiges Symbol, und die Festlegung auf den reinen Elektroantrieb ist wirtschaftlich das einzig Sinnvolle.

Damit der Umstieg auf E-Mobilität aber schneller gelingen kann, müssen zwei Dinge unbedingt angestoßen werden: Jeder große Parkplatz von Super- oder Baumärkten und Ähnlichem muss in den nächsten Jahren fünf Jahren von den Betreibern mit Ladesäulen zum kostenlosen Laden für Kund:innen ausgestattet werden. (Nachts kann man über Kostenpflichtigkeit nachdenken).

Außerdem muss die Abrechnung über das Auto erfolgen. So war das schon von Anfang an bei Tesla der Fall. Man musste einfach nur den Stecker einstecken und konnte laden. Gift für die Nutzerfreundlichkeit ist hingegen eine Anmeldepflicht und das Rumhantieren mit x unterschiedlichen Karten oder Transpondern.

Schließlich ist ein neues Strommarktdesign richtig und wichtig. Hier muss neu gedacht werden. Wind und Sonne lassen sich nicht durch Preise an einer Börse beeinflussen, aber Verbraucher:innen schon.

Deshalb brauchen Betreiber:innen von Wind- und Solarparks weiterhin eine möglichst lange, an der Wirtschaftlichkeit der Anlage festgelegte Einspeisevergütung. Die unterschiedlichen Verbraucher:innen müssen aber durch unterschiedliche Tarifmodelle angeregt werden, dann mehr Strom zu verbrauchen, wenn auch mehr zur Verfügung steht, und umgekehrt.

Fürs Kühlen und Heizen mit Wärmepumpen gelingt das sicher gut, ebenso auch für viele Industrieprozesse, die deutlich weniger als die Hälfte des Jahres laufen.

Fragen: Susanne Schwarz

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