Tankstelle mit haushohem zylindrischem Wasserstofftank der Firma Linde.
Sieht aus wie eine richtige Tankstelle: Aral-Wasserstoffstation in Berlin-Charlottenburg. (Foto: Camiel Coenen/​Wikimedia Commons)

Auch Wasserstoff, der mithilfe von Ökostrom elektrolytisch aus Wasser gewonnen wird, ist bei Zimmertemperatur ein ziemlich flüchtiges Gas. Erst bei minus 259 Grad Celsius wird H2 flüssig. Hörte man sich aber am Dienstag an, wie begeistert Minister und Staatssekretäre bei einer Konferenz zur nationalen Wasserstoffstrategie in Berlin über den Stoff redeten, dachte man, sie hätten den Stein der Weisen gefunden.

"Grüner Wasserstoff ist das Erdöl von morgen", fasste Staatssekretär Michael Meister aus dem Forschungsministerium alle Hoffnungen in einen Satz zusammen. Diesen Stoff herzustellen, zu transportieren und anzuwenden sei so etwas wie eine "Schlüsseltechnologie" für eine klimafreundliche Zukunft. Und natürlich muss Deutschland dabei für den Staatssekretär weltweit die Nummer eins sein.

Nun, mit dem "Schlüssel" hantiert die Bundesregierung schon ziemlich lange und offenbar lange Zeit auch recht lustlos. Das erste Förderprogramm für Wasserstofftechnologien ist bereits mehr als zehn Jahre alt. 2008 war die Nationale Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NOW) gegründet worden. Dennoch dümpelte die Sache mehr oder weniger vor sich hin.

Entsprechend kläglich hörte sich am Dienstag die Aufzählung von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) an, wie viele Fahrzeuge gegenwärtig in Deutschland wasserstoffgetrieben unterwegs sind: 600 Brennstoffzellen-Autos, 84 Busse und 30 Züge.

"Das sind geringe Zahlen", räumte sogar der notorisch positive Botschaften verbreitende Verkehrsminister ein, zählte aber zugleich auf, wie viele Dutzend Millionen Euro an Fördermitteln er zuletzt unter die Unternehmen gebracht hat.

Wasserstoff aus der Erdgaswirtschaft

Derzeit habe die Bundesrepublik das "dichteste Netz" an Wasserstoff-Tankstellen in Europa, erläuterte Scheuer den erstaunten Hörern und kündigte an, im kommenden Frühjahr die 100. Tankstelle in Deutschland zu eröffnen. Jedes Jahr sollen dann zehn bis 15 neue Tankstellen hinzukommen. Ziel sei es weiter, bis 2022 rund 60.000 Pkw und 500 Nutzfahrzeuge mit Brennstoffzellen in die "Mobilität" zu bringen, gab der Minister vor.

Groko-Strategiekonferenz ohne SPD‑Ministerium

Bei der Konferenz zur nationalen Wasserstoffstrategie blieben mit Verkehr, Forschung, Wirtschaft und Entwicklung vier Ressorts unter sich, die alle von Ministern der Unionsparteien geführt werden. Umweltministerin Svenja Schulze von der SPD oder einen ihrer Staatssekretäre suchte man in der Podiumsrunde und der Pressekonferenz vergebens. Auch das parallel veröffentlichte Diskussionspapier trägt nur die Signets der vier Unionsressorts. Dabei hat das Umweltministerium unter anderem ein eigenes Power-to-X-Förderprogramm aufgelegt, um den grünen Wasserstoff für strombasierte Brenn-, Kraft- und Grundstoffe herzustellen.

Er habe niemanden ausgeladen, äußerte sich Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), Initiator der nationalen Wasserstoffstrategie, zum Fehlen des Bundesumweltministeriums auf der Konferenz. Allerdings soll das Schulze-Ressort zu dem Groß-Event im Convention-Center am Berliner Westhafen erst gar nicht explizit eingeladen worden sein.

Lukrative oder sogar steigende Kaufprämien – wie einen Tag zuvor für die E-Autos beschlossen – stellte der Verkehrsminister für seine gasgetriebenen Fahrzeuge allerdings nicht in Aussicht. Er appellierte nur an die Autobranche, endlich "bezahlbare" Fahrzeuge anzubieten.

So oder so werden diese Fahrzeuge in den nächsten Jahren aber größtenteils nicht grünen, sondern sogenannten blauen Wasserstoff tanken. Der fällt quasi als preiswertes Abfallprodukt in der Erdgaswirtschaft an. Die Gasbranche hätte auch nichts dagegen, wenn man diesen, keineswegs klimaneutralen Wasserstoff in viel größeren Umfang einsetzt.

Das zeichnet sich für Deutschland auch ab. Denn ein rascher Ausbau einer eigenen grünen Wasserstofferzeugung ist hierzulande nicht in Sicht. Auch am Dienstag erteilte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) den lange bestehenden Forderungen eine Absage, dem erneuerbaren Strom, der für die Wasserstoffherstellung eingesetzt wird, wenigstens die EEG-Umlage zu erlassen. Man werde aber einige Reallabore so gestalten, dass sich das Geschäft, der business case, rechne, stellte der Wirtschaftsminister in Aussicht.

Wegen der geringen Effizienz der Herstellung des grünen Wasserstoffs – von der ursprünglich eingesetzten Ökoenergie dient am Ende etwa nur ein Drittel dem Autoantrieb – ist massenhaft verfügbarer und zugleich äußerst billiger Strom aus Sonne und Wind die wichtigste Voraussetzung für eine grüne Wasserstoffwirtschaft.

"Energiepartnerschaft" mit Afrika

Zur Ministerriege, die am Dienstag zur nationalen Wasserstoffstrategie aufkreuzte, gehörte denn auch Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU). Dieser beschwor geradezu die Aussicht, den afrikanischen Kontinent als, so Müller wörtlich, "Kontinent der Sonne" zu einer Energieregion für grünen Wasserstoff und Methanol – das Wort synthetic fuels verwendete Müller nicht – zu entwickeln.

Vordergründig für die Menschen in Afrika selbst, wie der Entwicklungsminister betonte. Wenn alle Haushalte Afrikas auf der Basis von Kohle mit Strom versorgt würden, wären tausend neue Kohlekraftwerke nötig, lieferte er die nötige klimapolitische Begründung dazu.

Ganz selbstlos ist die vom Entwicklungsminister skizzierte "Energiepartnerschaft" mit Afrika allerdings nicht. Deutschland würde Technik und Technologie exportieren und dafür dann grünen Wasserstoff und Methanol importieren – die nationale Wasserstoffstrategie ist denn auch, wie sich nicht zum ersten Mal herausstellt, vor allem eine Sache von Industriepolitik

Forschungsstaatssekretär Meister sieht übrigens die besten Standorte für eine CO2-freie Wasserstofferzeugung ebenfalls in Afrika, aber auch in Australien. Die Flüssiggastanker, die irgendwann grünen Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe über die Weltmeere schippern, müssten natürlich auch selbst damit angetrieben werden. Ob das alles vom Aufwand her eine weise Lösung ist, ist aber ziemlich fraglich.

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