Luftaufnahme eines Wohnquartiers aus Mehrfamilienhäusern mit Solarstromanlagen auf den Dächern.
Untypischer Anblick: Auch wegen komplizierter Mieterstrom-Regeln meiden Hauseigentümer Solardächer. (Foto: Mainova/​BSW)

Mit Leuten, die neue Wohnhäuser bauen wollen, müsse er manchmal längere Diskussionen führen, sagt Patrick Henschel. Als Stadtplaner arbeitet er in der württembergischen Stadt Waiblingen. Insgesamt habe sich die Sache aber bewährt.

Die "Sache", von der Henschel spricht, ist die sogenannte Solarpflicht. Bei den meisten Neubauten von Wohnhäusern im Stadtgebiet von Waiblingen sind die Eigentümerinnen und Eigentümer verpflichtet, eine Solaranlage auf dem Dach zu installieren – entweder für Warmwasser oder die Produktion von Sonnenstrom.

Und das gilt schon seit 2006. Die 55.000-Einwohner-Stadt nordöstlich von Stuttgart war Vorreiterin. Mittlerweile hat die Debatte über die Einführung einer Solarpflicht die Landes- und Bundesebene erreicht.

Der Antrieb dafür kommt vom Klimaschutz. Um das deutsche Ziel Klimaneutralität 2045 einzuhalten, brauchen Privathaushalte und Unternehmen sehr viel mehr sauberen Strom. Das heißt: Es müssen zahlreiche zusätzliche Windkraftwerke errichtet werden.

Und auch viel mehr Solaranlagen zur Stromerzeugung sind nötig – es braucht eine Steigerung von derzeit rund 55.000 Megawatt auf 150.000 Megawatt, wie manche Studien besagen.

Wer jedoch heute die Gelegenheit hat, den Blick über die Dachlandschaft einer Stadt schweifen zu lassen, stellt fest: Solaranlagen auf Dächern gibt es fast nirgendwo. Das ungenutzte Potenzial ist riesig. Wie aber bei der Energiewende grundsätzlich, so ist es auch hier: Das Verfahren erzeugt nicht wenig Kritik.

Trotzdem hat sich Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) öffentlich im Wahlkampf dafür ausgesprochen, die Solarpflicht bundesweit einzuführen. Die Grünen sehen das ähnlich, wenngleich sie in ihrem Wahlprogramm eine präzise Formulierung vermeiden.

"Nach zehn Jahren amortisiert"

Nach der jüngsten Landtagswahl in Baden-Württemberg steht dort nun ein entsprechendes Gesetz auf der Tagesordnung. Die Verabschiedung im Landtag ist für Anfang Oktober geplant.

Die grün-schwarze Mehrheit will festlegen, dass alle Neubauten von Wohnhäusern ab 1. Mai 2022 Sonnenenergie nutzen müssen. Gleiches gilt ab 2023 bei "grundlegenden Dachsanierungen" von schon existierenden Gebäuden – wobei es noch viele Diskussionen darüber geben wird, was unter "grundlegend" zu verstehen ist.

Ähnliche Regelungen wie der Südwesten haben bereits die Metropolen Hamburg und Berlin. Hinzu kommen einige weitere Städte, darunter seit Längerem Tübingen – und bald wohl auch Bonn.

Wird es im Einzelfall konkret, beschweren sich manche Bauwillige über die zusätzlichen Kosten. Über den Daumen gepeilt schlägt eine Photovoltaikanlage für ein Einfamilienhaus beispielsweise mit rund 10.000 Euro zu Buche. Je größer das Haus und die Dachfläche, desto mehr steigen die Aufwendungen.

Im Vergleich zu den gesamten Baukosten ist das allerdings nur ein kleiner Teil. Im Falle des Einfamilienhauses geht es vielleicht um zwei Prozent der Gesamtsumme von einer halben Million Euro.

Hinzu kommt, dass die Investition sich nach einiger Zeit rentiert. Schließlich sparen die Hausbesitzer durch den eigenen Strom einen guten Teil der Summe, die sie sonst dem Energieversorger überweisen müssten. Und manche Hersteller übernehmen mittlerweile eine langfristige Gewährleistung für die Stromausbeute der Solarmodule.

"Solaranlagen für Wohn-Neubauten sind meist auch ökonomisch sinnvoll, weil sie sich nach etwa zehn Jahren amortisieren und dann Geld einspielen", sagt Jörg Sutter, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie.

Skepsis bei Immobilien- und Solarwirtschaft

Auch Ottmar Wernicke, Geschäftsführer des Immobilienverbandes Haus & Grund Württemberg, erklärt: "Eine finanzielle Überforderung der Immobilienbesitzer stellt eine Solarpflicht bei Neubauten wie etwa in Waiblingen in der Regel nicht dar."

Trotzdem hält er die Vorschrift für falsch: "Man sollte es den Eigentümern selbst überlassen, mit welcher Technologie sie die Klimaneutralität ihrer Immobilien erreichen wollen."

Kai Warnecke, Präsident des Haus-&-Grund-Bundesverbandes, sagt: "Bei einer Vollkostenrechnung über 20 Jahre lohnt sich die Investition nur bei selbst nutzenden Eigentümern, das heißt bei Einfamilienhäusern." Die Einführung der Solardachpflicht sei "so lange populistische Schaufensterpolitik, wie es dem Eigentümer nicht erlaubt ist, den Strom günstig an die Bewohner des Hauses zu liefern".

Warnecke spricht damit die komplizierten Regelungen zum sogenannten Mieterstrom an, die es vielen Eigentümern verleiden, die Elektrizität vom Dach in die vermieteten Wohnungen zu schicken.

Erstaunlicherweise betrachtet auch der Bundesverband Solarwirtschaft die Baupflicht skeptisch. Es gebe viel wirksamere Maßnahmen, um einen Photovoltaik-Boom auf Dächern auszulösen, heißt es dort. So müsse die Bundesregierung einfach die heute noch existierende Mengenbegrenzung für den Ausbau der Solarenergie aufheben.

Solarverbands-Chef Carsten Körnig befürchtet außerdem, dass eine bundesweite Solarpflicht die Akzeptanz der Sonnenenergie untergraben könnte.

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