Klimareporter°: Herr Bukold, auf dem Gasmarkt geht es bald bunter zu als auf dem Strommarkt: Hier wie dort gibt es "graue" und "grüne" Produkte. Beim Gas kommt jetzt noch die Farbe Blau für fossiles, aber dennoch angeblich CO2-freies Gas hinzu ...
Steffen Bukold: Das Label "blau" wirkt allmählich überbelegt. Mit der Farbe wurde ja schon das normale Erdgas bezeichnet, als die Branche versuchte, Erdgas als klimafreundliche Übergangstechnologie zu promoten ...
... oder als "Brückentechnologie" ...
... genau. Insofern gebe ich nicht so viel auf Farben. Wasserstoff wird künftig sowieso eher in die Industrie wandern. Da spielen Etiketten nicht so eine große Rolle.
Vom Etikett "blau" hält das Wirtschaftsministerium aber recht viel: Im Entwurf der Nationalen Wasserstoffstrategie ist der "blaue" Wasserstoff, der in Raffinerien gewonnen wird und wo das frei werdende CO2 weggespeichert werden soll, quasi ein Türöffner für den irgendwann kommenden klimaneutralen "grünen" Wasserstoff. 2030 soll Deutschland laut der Strategie 20 Prozent seines Erdgasbedarfs durch "blauen" oder "grünen" Wasserstoff decken. Das klingt nicht sehr ambitioniert.
In der Tat. Ich würde auch noch nicht von einer ausgearbeiteten Strategie sprechen. Wasserstoff steht in der Mitte der Wertschöpfungsketten vom Strom oder Erdgas bis zum Einsatzort. Das muss man also entsprechend einbetten in andere geplante Maßnahmen zur Energiewende.
Mir ist zum Beispiel noch nicht klar geworden, wo und in welchen Mengen der Wasserstoff vor allem verbraucht werden soll. Wenn er beispielsweise nur wie bisher in den Ölraffinerien verwendet werden soll, ist klimapolitisch noch nicht viel gewonnen.
Der Hype ist dennoch groß. Bundesforschungsministerin Anja Karliczek rief Mitte Februar eine Wasserstoff-Partnerschaft mit Westafrika und den grünen Wasserstoff erneut als das "Öl von morgen" aus.
Den Optimismus beim Thema Wasserstoffimport finde ich geradezu blauäugig. Wer soll die Anlagen beispielsweise in Nord- oder Westafrika errichten? Wenn man wirklich sicherstellen will, dass er in Deutschland und nicht auf dem Weltmarkt landet, müssten das ja staatliche Anlagen sein. Das erscheint mir recht unwahrscheinlich.
Steffen Bukold
ist Gründer und Leiter des Beratungsbüros Energycomment in Hamburg. Er gibt seit 2009 das Global Energy Briefing heraus und berät Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen zu Fragen internationaler Energiemärkte und Unternehmensstrategien. Bis 2005 war er in den Niederlanden, Frankreich und Belgien forschend und beratend in den Bereichen Verkehr und Infrastruktur tätig.
Will man dagegen lediglich private Unternehmen fördern, dann hat man auch kein Zugriffsrecht auf den dort erzeugten Wasserstoff. Der könnte vor Ort verbraucht werden oder – wie immer bei Öl- und Gasprojekten – an denjenigen gehen, der am meisten bietet.
Auch scheint mir, dass die Komplexität einer Wasserstoffwirtschaft unterschätzt wird. Schaut man sich vergleichbare Projekte wie zum Beispiel Ölraffinerien in Afrika an, dann bekommt man einen Eindruck davon, wie langsam, teuer und unsicher großindustrielle Projekte zwangsläufig werden. Selbst die Solar- und Windwirtschaft kommt dort nur sehr langsam voran.
Mich wunderte auch, dass selbst Experten der Max-Planck-Gesellschaft offenbar davon ausgingen, dass die Transportkosten des Wasserstoffs vernachlässigbar seien. Selbst wenn man Wasserstoff aufwendig in leichter transportierbare Rohstoffe wie Ammoniak umwandeln sollte, bleiben die Transportkosten eine hohe Hürde für den internationalen Wasserstoffhandel.
In den Augen derer, die Wasserstoff aus Nordafrika holen wollen, bietet eine solche Energiewende doch Vorteile: Hierzulande wird nicht so viel Solar- und Windkraft benötigt und man kann die Verbrenner in den Kraftwerken, Autos und Heizungen weiterlaufen lassen. Es kann also weitergehen wie bisher, nur eben mit grünem Wasserstoff.
Genau, das erklärt auch den Rückenwind, den Wasserstoff derzeit bekommt. Er steht im Schnittpunkt ganz unterschiedlicher Interessen und verspricht für mehrere Branchen die Lösung ihrer Probleme.
Die Ölindustrie hofft, mithilfe des "blauen" Wasserstoffs die steigenden CO2-Abgaben ihrer Raffinerien zu senken. Ein Viertel bis ein Drittel der CO2-Emissionen der Raffinerien hängen mit der Herstellung oder Verwendung des fossilen "grauen" Wasserstoffs zusammen. Das wäre also erheblich.
Die Erdgas-Industrie wiederum steht unter dem Druck, dass sie ihren Nimbus als Vertreter einer Brückentechnologie langsam verliert. Sie hofft, durch Wasserstoff klimapolitisch besser dazustehen.
Als Drittes haben wir die Erzeuger von Grünstrom. Sie wollen mit Wasserstoff als Speicher das Problem der schwankenden Stromerzeugung in den Griff bekommen.
Und schließlich dürfen wir nicht die Betreiber großer Offshore-Windparks vergessen, an denen auch die Ölindustrie allmählich interessiert ist. Da könnten Elektrolyseure Wasserstoff vor Ort produzieren, falls die Stromleitungen überlastet sind oder noch nicht zur Verfügung stehen.
Die Bundesregierung betrachtet die Wasserstoffstrategie mehr als eine Sache der Industrie- und nicht der Klimapolitik. Auf eine Formel gebracht: Exportierte Deutschland bisher Autos und importierte Öl, soll das Modell künftig offenbar sein: grüne Technologie gegen Wasserstoff ...
In der Tat könnte davon der deutsche Maschinen- und Anlagenbau stark profitieren, wenn die Wasserstoffbranche so stark wächst, wie man das im Moment erwartet.
Das setzt allerdings voraus, dass tatsächlich eine langfristige Industriepolitik verfolgt wird und nicht plötzlich das Ruder herumgerissen wird, wie wir es bei der Solarbranche erlebt haben. Der Heimatmarkt bleibt also wichtig, sonst könnte die Wertschöpfung Richtung Kunden abwandern, wie die Solarindustrie vor wenigen Jahren nach China. Im Moment könnte sich dasselbe Spiel bei der Windbranche wiederholen.
Nur zu sagen, andere Länder sollen Wasserstoff produzieren und wir werden davon irgendwie profitieren – das scheint mir zu vage.
Zu Hause versuchen seit Jahren einige Unternehmen, darunter auch Ökostromer, grünen Wasserstoff wenigstens als Nischenprodukt zu etablieren. Bisher gelang nicht einmal das – warum nicht?
Der grüne Wasserstoff und die Elektrolyseure brauchen einen Push, um in eine andere Größenordnung zu kommen. Die Potenziale zur Kostensenkung sind bei grünem Wasserstoff enorm. Die wird man aber nicht erschließen, solange die Anlagen quasi im Manufaktur-Stil hergestellt werden. Man braucht Fließbandproduktion bei Standardanlagen und große, staatlich geförderte Pilotprojekte für neue Ansätze.
Blauer versus grüner Wasserstoff
Im Auftrag des Unternehmens Greenpeace Energy hat Energycomment gerade eine 60-seitige Kurzstudie über blauen und grünen Wasserstoff vorgelegt. Der internationale Kenntnisstand zu den Kosten und Emissionen der beiden Technologiepfade und die erwarteten Trends bis 2030 und 2050 werden darin zusammengefasst. Die Studie kann kostenlos bei Energycomment angefordert werden.
Das löst dann nicht nur das Kostenproblem dieser Anlagen. Auch die Zahl der Volllaststunden wird sinken, die die Elektrolyseure brauchen, um profitabel arbeiten zu können.
Denn das Ziel einer Wasserstoffstrategie kann nicht sein, neben jedem Solar- oder Windpark eine Wasserstoffproduktion hinzubauen. Strategisch muss der Strompfad im Vordergrund bleiben, also die direkte Verwendung des Ökostroms.
Wasserstoff wird deshalb künftig eher ein zusätzlicher Pfad sein für die Industrie oder bestimmte Verkehrszweige, oder als Puffer bei stark schwankender Grünstromerzeugung.
Die Strategie bei grünem Wasserstoff ist also nicht, extra große Windparks nur für die Elektrolyseure zu bauen, damit diese möglichst viele Betriebsstunden haben, sondern der Weg muss eher sein, die Elektrolyseure so effizient und günstig zu machen, dass sie von Überschuss-Strom leben können.
Ja, genau. Oder man hat einen industriellen Cluster mit großen Verbrauchern von Wasserstoff. Dann könnte man überlegen, einen speziellen Offshore-Windpark für diese Großabnehmer zu bauen. Rotterdam oder Nordengland zum Beispiel denken in diese Richtung.
In Deutschland wie in Europa muss der Hauptpfad für die Dekarbonisierung aber in der Elektrifizierung bestehen. Das gilt auch für den Straßenverkehr.
Bleibt die Frage, woher der Push für die Elektrolyseure kommen soll. Umweltministerin Svenja Schulze schlägt unter anderem eine Quote für synthetisches Kerosin aus grünem Wasserstoff vor, die bis 2030 auf zwei Prozent ansteigt. Wäre das nicht etwas?
Das müsste man gut überlegen. Beim Biokraftstoff hat die staatlich festgelegte Quote meiner Meinung nach eher negative Folgen. Sie zementiert einen Pfad, der technisch überholt ist. Denn auf einem Hektar Land kann man mit Photovoltaik-Anlagen weitaus mehr Energie produzieren als mit Raps oder anderen Energiepflanzen. Vom hohen Energie- und Chemieeinsatz für den Anbau und die Verarbeitung der Pflanzen einmal ganz abgesehen.
Bei einer festen Wasserstoff-Quote stellt sich auch die Frage, wie man die gleichmäßige Beimischung zum Beispiel ins Erdgasnetz technisch lösen will. Das widerspräche auch der Idee, dass Wasserstoff eher zentralisiert verwendet werden sollte.
Das wäre in der Industrie am besten möglich. Ob das auch im Flugverkehr sinnvoll ist, wie es die Umweltministerin jetzt vorschlägt, ist nicht ganz klar, denn der Wasserstoff müsste in einem weiteren Schritt ja erst einmal in synthetische Kraftstoffe transformiert werden. Irgendwann ist der niedrige Wirkungsgrad vom Strom über Wasserstoff zum Kraftstoff dann einfach nicht mehr attraktiv.
Wie soll der grüne Wasserstoff in den Markt kommen?
Anfangs natürlich durch eine staatliche Förderung. Aber anschließend sind für mich CO2-Preise nach wie vor das geeignete Instrument. In dem Maße, wie der CO2-Preis steigt, wird grüner Wasserstoff attraktiver. In Bereichen wie Stahl braucht man zudem den Dialog mit der Industrie. Man muss sie langfristig auf die Klimaneutralität 2050 vorbereiten und unterstützen.
Die Industrie wird natürlich argumentieren, dass sie mit den Kosten des grünen Wasserstoffs international nicht mehr wettbewerbsfähig ist. Dem muss man mit entsprechenden Carbon Import Taxes Rechnung tragen.
Stellt ein Konkurrent in Übersee zum Beispiel Stahl mit hohen CO2-Emissionen her, dann muss eine CO2-Abgabe entrichtet werden, wenn er in die EU exportieren will. Wenn Importe ähnlich behandelt werden wie die durch CO2-Preise belasteten inländischen Produzenten, dann scheint mir das auch wettbewerbsrechtlich machbar.
Diese CO2-Grenzsteuern gehören ja zum Green Deal der EU-Kommission und insofern nicht unrealistisch. Aber noch mal zurück zum CO2-Preis. Der Energieexperte Felix Matthes vom Öko-Institut beziffert den CO2-Preis, ab dem fossiles Erdgas durch grünes Gas abgelöst wird, auf 120 Euro pro Tonne. Ist das das Preisniveau, das wir brauchen?
Nimmt man einen Preis von 100 Euro je Tonne, dann würde sich der Preis von grauem Wasserstoff in etwa verdoppeln, von knapp einem Euro auf ungefähr zwei Euro pro Kilogramm. Grüner Wasserstoff kostet im Moment noch fünf Euro pro Kilo und könnte sich in Europa allmählich auf zwei bis drei Euro je Kilo zubewegen, wenn größere Anlagen und hohe Stückzahlen gebaut werden.
Der CO2-Preis allein reicht also nicht, um konventionell eingesetztes Erdgas aus dem Wasserstoffmarkt zu drängen. Addiert man jedoch die hohen Kosten für die CO2-Abscheidung beziehungsweise die steigenden CO2-Kosten, schrumpft der Preisabstand. Schon in den 2030er Jahren könnte ein echter Wettbewerb entstehen.
Zum Heizen bliebe Erdgas selbst bei einem CO2-Preis von 100 Euro wohl immer noch billiger als grüner Wasserstoff. Derzeit haben wir die niedrigsten Erdgaspreise seit Jahrzehnten – für einen Wechsel zu grünem Gas müsste der CO2-Preis in stratosphärische Höhen steigen.