Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Matthias Willenbacher, Geschäftsführer der Plattform für nachhaltiges Investieren Wiwin.
Klimareporter°: Herr Willenbacher, in den kommenden beiden Wochen entscheidet der Bundestag voraussichtlich über das Solarpaket und damit auch über den sogenannten Resilienzbonus. Kommt dieser nicht, wird der Solarhersteller Meyer Burger sein Modulwerk in Freiberg wohl endgültig schließen. Sind Sie dafür, so einen Bonus einzuführen, oder soll Deutschland die Solarmodule vom Weltmarkt, aus China vor allem, beziehen?
Matthias Willenbacher: Grundsätzlich ist eine sehr große Abhängigkeit von einem Lieferanten oder einem Lieferland immer ein strategisches und sicherheitspolitisches Problem. Kurz gesagt: Handel und Austausch sind gut, einseitige Abhängigkeiten sind schlecht.
Bis eine eigene europäische Solarindustrie im Gigawattmaßstab aufgebaut ist, muss und wird Deutschland aber so gut wie alle Module aus China importieren. Wir können schlecht den Solarausbau in Deutschland und Europa so lange stoppen, bis wir eine eigene Solarindustrie wiederaufgebaut haben. Insofern steht keine Entweder-oder-Entscheidung an, sondern ein Sowohl-als-auch-Vorgehen.
Unabhängig vom eingesetzten Instrument wird es viele Milliarden kosten, wieder eine eigene europäische, konkurrenzfähige und maßgebliche Solarindustrie zu etablieren. Bei der Wahl des Instruments ist mir als Unternehmer besonders wichtig, dass der Wettbewerb zwischen den Unternehmen um die besten Produkte für die Kunden nicht aufgehoben wird. Konkurrenz belebt das Geschäft.
Dabei muss allen klar sein, dass es um Produktionskapazitäten im zweistelligen Gigawattbereich geht. Und da wir bei fast null anfangen, ist eigentlich genug Platz für alle da.
Wirtschaftsminister Robert Habeck will auch für Erdgaskraftwerke die CO2-Abscheidung und -Speicherung zulassen. Ist CCS ein notwendiges Übel auf dem Weg zu einem klimaneutralen Stromsystem oder ein Schritt zurück ins fossile System?
Methan, der Hauptbestandteil von Erdgas, ist mehr als 80-mal klimaschädlicher als CO2. Bei der Förderung und dem Transport von Erdgas wird sehr viel Methan frei. Die Klimaschädigung durch Erdgas ist vor der Verbrennung höher als danach. Deshalb sollte der Einsatz von Erdgas so schnell wie möglich beendet werden, sowohl im Kraftwerksbereich als auch in den Haushalten.
Meine Herangehensweise bezüglich der Erdgaskraftwerke wäre daher eine andere. Erstens muss der Ausbau der Erneuerbaren, vornehmlich Wind und Sonne, schneller erfolgen.
Zweitens müssen alle Möglichkeiten, den Verbrauch zu flexibilisieren – von Smart Metern bis zu Industrieprozessen – schnellstmöglich technisch umgesetzt und marktlich angereizt werden. Wenn viel Wind- oder Sonnenenergie zur Verfügung steht, sollte davon so viel wie möglich sinnvoll verbraucht werden. Das Potenzial ist enorm, wie Agora Energiewende in zahlreichen Studien gezeigt hat.
Drittens müssen die Biogas- und Biomassekraftwerke ihre Stromerzeugung ebenfalls flexibilisieren und sich an die Wind- und Solarstromproduktion anpassen.
Viertens muss das Potenzial von Speichern konsequent genutzt werden. Das betrifft Batterien als Heim- und Großspeicher, Wärmespeicher mit Power-to-Heat und später Wasserstoffspeicher mittels Power-to-Gas.
Fünftens müssen die Strom-Austauschkapazitäten mit den anderen europäischen Ländern ausgebaut werden, um den länderübergreifenden erneuerbaren Stromaustausch zu verstärken.
Und erst dann stellt sich die Frage, welche und wie viele Backup-Kraftwerke wir für eine sichere Energieversorgung wirklich brauchen.
Werden alle vorher genannten Maßnahmen voll ausgeschöpft, produzieren diese Kraftwerke nur an wenigen Tagen im Jahr. Die entsprechenden 800 Volllaststunden – das sind nur gut 33 Tage –, die laut dem Konzept des Bundeswirtschaftsministeriums gefördert werden sollen, erreichen die Kraftwerke nach allen bisherigen Berechnungen aber nicht mal zur Hälfte.
Ich wage zu bezweifeln, dass es sich unter diesen Umständen wirtschaftlich lohnt, ein Erdgaskraftwerk mit einer CO2-Abscheidungsanlage neu zu errichten. Ein Unternehmen würde diese Investition nur mit massiver staatlicher Unterstützung tätigen.
Da wäre es einfacher und viel günstiger, für eine kurze Übergangszeit einige Kohlekraftwerke in Reserve zu halten und die staatlichen Subventionen dann für Kraftwerke einzusetzen, die grünen Wasserstoff nutzen können.
Ein hervorragender Ort, um solche Fragen übergreifend und zusammenhängend zu diskutieren und am Ende (politisch) zu klären, könnte und sollte die Systementwicklungsstrategie des Wirtschaftsministeriums sein.
Leider nutzt das Ministerium das Potenzial der Strategie nur sehr eingeschränkt. Insbesondere fehlt eine breitere Öffentlichkeitsbeteiligung und eine Anbindung an den politischen Prozess. Im Ergebnis werden zusammenhängende Themen wie die Kraftwerksstrategie und das Marktdesign für Flexibilität in der Öffentlichkeit und in der Politik getrennt voneinander diskutiert.
Die Menschheit nutzt heute dreimal mehr Ressourcen als vor 50 Jahren, zeigt ein neuer UN-Report. Fachleute fordern eine Ressourcenstrategie, mit der auch eine Politik gegen Überkonsum möglich wird. Ein solches Umsteuern ermögliche es, die globale Wirtschaft wachsen zu lassen, während die Umweltauswirkungen minimiert werden und das Wohlergehen der Menschen sich verbessert. Klingt das nicht alles sehr utopisch?
Für mich klingt es eher visionär. Die Erde ist ein begrenztes System. Und wenn wir in einem begrenzten System lebenswichtige nicht nachwachsende Rohstoffe einfach nur verbrauchen, während Bevölkerung oder Wohlstand wachsen, bekommen wir über kurz oder lang ein Problem.
Die Forderung, mit Ressourcen sparsam umzugehen, sie möglichst lange zu verwenden, sie nach der Verwendung zu recyceln und sie im Kreislauf zu führen, ist nicht utopisch, sondern nur logisch. Und im Übrigen ist es das, was uns die Natur seit mindestens einer Milliarde Jahre ziemlich erfolgreich vormacht.
Wir müssen uns nur trauen, die marktwirtschaftlichen Regeln so anzupassen, dass eine Kreislaufwirtschaft wirtschaftlich wird – beziehungsweise plumper Rohstoffverbrauch unwirtschaftlich. Wir haben gar keine andere Möglichkeit. Angela Merkel hätte "alternativlos" gesagt.
Und was war Ihre Überraschung der Woche?
Überraschend fand ich den Sonderbericht des Bundesrechnungshofes zum Stand der Energiewende im Stromsektor, und zwar in dreierlei Hinsicht.
Erstens kritisiert er den zu langsamen Ausbau der erneuerbaren Energien, unterschlägt aber, dass die Regierung erst von knapp zwei Jahren deutlich ambitioniertere Ausbauziele festgelegt und diverse Gesetze beschlossen hat, um diese zu erreichen. Dass das nicht von heute auf morgen funktionieren kann, sollte jedem klar sein.
Zweitens bemängelt der Rechnungshof, dass es kein Monitoring zu den Umweltwirkungen der Energiewende gibt. Er erläutert aber nicht, worin sich seine Expertise begründet und welche finanziellen Folgen das fehlende Monitoring für den Bundeshaushalt hat. Letzteres ist die eigentliche Aufgabe des Rechnungshofes.
Und drittens fordert der Rechnungshof die Bundesregierung in seinem Bericht auf, die "Systemkosten der Energiewende" zu benennen und "für die breite Öffentlichkeit" zu definieren, was "eine bezahlbare Stromversorgung" sei.
Zugleich macht der Rechnungshof aber keinen Vorschlag, wie die großen Investitionssummen für die Energieinfrastruktur in den nächsten 20 Jahren finanziert werden sollen. Beispielsweise wäre ein Hinweis zum Umgang mit der Schuldenbremse sehr hilfreich für die politische Diskussion.
Insgesamt hilft dieser Bericht nur den Gegnern der Energiewende und ansonsten nicht weiter. Mein Fazit: Schuster, bleib bei deinem Leisten.
Fragen: Jörg Staude