Hochwasser und andere Extremereignisse werden häufiger, schwerer und teurer. (Bild: Radosław Drożdżewski/Wikimedia Commons)

Klimareporter°: Herr Friedrich, die Schuldenbremse im Grundgesetz begrenzt die Ausgaben des Staates. Ziel ist es, künftigen Generationen keine übermäßigen finanziellen Lasten zu hinterlassen. Sie aber fordern, sie durch eine "Klimaschuldenbremse" zu ersetzen. Warum?

Axel Friedrich: Normale Schulden können von nachfolgenden Generationen abgezahlt werden, solange sie nicht durch die Decke gehen. Bei Klimaschulden ist das anders.

Wir müssen, um das 1,5-Grad-Ziel der Erderwärmung noch einhalten zu können, nicht nur den CO2-Ausstoß stark verringern, sondern CO2 auch wieder aus der Atmosphäre entfernen. Das ist mit hohen Kosten verbunden. Aktuell sind dafür rund 600 Euro pro Tonne erforderlich.

Das heißt: Derzeit belasten wir die künftigen Generationen mit hohen Klimaschulden. Die liegen deutlich höher als die Schulden, die der Staat an den Finanzmärkten aufnimmt.

Die CO2-Kosten werden aber nur theoretisch berechnet, sie stehen nicht in den Büchern.

Aber sie sind real. Die meisten Menschen haben nicht verstanden, dass wir heute schon Klimaschulden in extremem Umfang aufnehmen, die künftig bezahlt werden müssen – unter anderem, indem Schäden durch mehr Wetterextreme wie Hitzewellen, Dürren und Hochwasser zu begleichen sind.

Allein die verheerende Flut an Ahr und Erft 2021 hat Kosten von rund 40 Milliarden Euro erzeugt. Das zeigt die Dimensionen, um die es geht.

Das Umweltbundesamt hat ermittelt, dass jede Tonne CO2 Klimaschäden von etwa 237 Euro verursacht. Werden die Wohlfahrtseinbußen heutiger und zukünftiger Generationen gleich gewichtet, beträgt der Kostenansatz danach sogar 809 Euro.

Sind das die Kosten, die Sie ansetzen würden? Der Preis pro Tonne CO2, den die Industrie und Verbraucher zahlen müssen, liegt heute nur bei 45 respektive 80 Euro.

Ich gehe von den 600 Euro pro Tonne aus, die die Entnahme von CO2 durch technische Maßnahmen derzeit kostet. Deutschland emittiert aktuell rund 700 Millionen Tonnen Treibhausgase pro Jahr. Das ergibt 420 Milliarden Euro. Das ist mehr als der Bundeshaushalt von 2023.

Könnten solch hohe Klimaschulden nicht schnell zum Bankrott des Staates führen, wenn sie tatsächlich irgendwo verbucht würden?

In der Tat, diese Gefahr besteht – aber nur, wenn der Staat die nötigen CO2-Einsparungen nicht vornimmt. Die Bundesrepublik hat das Pariser Klimaabkommen unterschrieben, in dem das 1,5-Grad-Ziel der Erderwärmung fixiert ist. Da die 1,5 Grad schon fast erreicht sind, muss viel mehr als heute geschehen, um die Emissionen zu senken.

Foto: privat

Axel Friedrich

Der Verkehrs- und Umwelt­experte war bis 2008 Abteilungs­leiter für Verkehr und Lärm im Umwelt­bundes­amt (UBA). Bekannt wurde der promovierte Chemiker 2015 durch die Aufklärung des Diesel­skandals, vor dem er zehn Jahre lang gewarnt hatte. Er hat die NGO International Council on Clean Trans­portation mitgegründet, die den Skandal aufdeckte. Heute berät er unter anderem Regierungen sowie Umwelt­verbände wie die Deutsche Umwelt­hilfe

Und technisch ist das machbar. Es kommt uns allerdings die Schuldenbremse aus dem Grundgesetz in die Quere. Jeder weiß, dass man investieren muss, um Klimaschutz zu machen – und damit horrende Klimaschulden zu vermeiden. Aber wir tun es nicht, weil wir uns selbst auf die Investitionsbremse stellen. Das ist absurd.

Sehen Sie denn überhaupt Chancen, dass die Politik eine Klimaschuldenbremse einführt?

Kaum. Ich habe den Eindruck, dass weder der Bundesregierung noch der Opposition die Dramatik der Klimaentwicklung bewusst ist. Es geht ja nicht nur um einen abstrakten Wert wie 1,5 Grad.

Wir erleben dramatische Veränderungen, Hitzewellen in den Meeren, riesige Waldbrände und Überschwemmungen zum Beispiel rund ums Mittelmeer, auf allen Kontinenten Hitzewellen ungekannten Ausmaßes, dramatisch abschmelzende Gletscher in der Antarktis.

Die Ampel-Regierung aber bekommt nicht einmal ein vernünftiges Heizungsgesetz hin und lässt das Dienstwagenprivileg unangetastet, mit dem rollende Klimakiller gefördert werden.

Wäre denkbar, dass die Umweltverbände eine Klimaschuldenbremse erklagen?

Praktisch sind sie dran. Es laufen eine ganze Reihe Klagen, um die Bundesregierung dazu zu bringen, ihre eigenen Klima-Beschlüsse umzusetzen.

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat ja vor Kurzem entschieden, dass die Ampel ihre Klimapolitik nachbessern muss, um hier in die Spur zu kommen. Wir müssen sehen, wie das ausgeht. Wenn die Ampel sich hier weiter sperrt, wird man neu nachdenken müssen, auch unter dem Stichwort Klimaschuldenbremse.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Regierung 2021 schon einmal dazu gezwungen, ihre Klimapolitik den Erfordernissen anzupassen und die Lasten nicht auf künftige Generationen zu verschieben. Das ist im Prinzip schon eine Klimaschuldenbremse. Sie muss nur umgesetzt werden.

Die Transformation zu der von der Bundesregierung beschlossenen Klimaneutralität bis 2045 erfordert hohe Investitionen, vor allem in den Sektoren Gebäude, Industrie und Verkehr. Laut KfW müssen dafür pro Jahr gut 70 Milliarden Euro oder 1,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zusätzlich ausgegeben werden, vergleichbar mit der Summe, die Deutschland künftig in sein Militär stecken will. Muss die bisherige Schuldenbremse dazu abgeschafft werden?

Ganz klar, die Schuldenbremse muss für den Bereich Klima- und Umweltschutz abgeschafft werden, weil heutige Investitionen hier viel höhere Ausgaben in der Zukunft vermeiden.

Die USA pumpen mit dem "Inflation Reduction Act" umgerechnet rund 335 Milliarden Euro als Investitionsanreize in Zukunftstechnologien. Ist das ein Modell?

Durchaus. Es sind zwar nicht alle Projekte, die die Biden-Regierung fördert, sinnvoll, aber vieles ist vorbildlich. Ein Finanzvolumen in dieser Größenordnung wäre auch für die EU-Länder sinnvoll.

Und dies durch Kredite zu finanzieren, macht Sinn. In Deutschland sollte der Finanzminister ein "Sondervermögen" für Klimainvestitionen auflegen, so wie er das für die Bundeswehr getan hat.

 

Die Ampel nimmt jetzt mehr Geld auch durch höhere CO2-Preise für Sprit und Heizenergie ein, das unter anderem in Zuschüsse zur Häuser-Sanierung und für Öko-Heizungen fließt. Sinnvoll?

Ja, die CO2-Preise müssten aber noch viel stärker steigen, um eine Lenkungswirkung zu haben. Der Sprit-Aufschlag am 1. Januar betrug gerade einmal drei Cent pro Liter, das hat kaum jemand gemerkt.

Allerdings müsste bei höheren Aufschlägen dringend das von der Ampel versprochene Klimageld eingeführt werden, um ärmere Haushalte zu entlasten. Sonst kippt die Zustimmung zum Klimaschutz.