Zementwerk von Heidelberg Materials: Energieintensive Branchen sollen durch CCS von harten Klimaschutzpflichten befreit werden. (Bild: Martin Kraft/​Wikimedia Commons, CC by‑sa 3.0)

Wer klimapolitisch begründen will, warum sich beim besten Willen nicht alles CO2 vermeiden lässt, nimmt als Beispiel die Zementindustrie. Diese ist in Deutschland aktuell für jährlich rund 20 Millionen Tonnen CO2 verantwortlich.

Ein großer Teil entsteht dabei durch das Brennen des Kalksteins. Kalziumkarbonat (CaCO3) wird bei mehreren hundert Grad in seine Bestandteile Branntkalk (CaO) und CO2 zerlegt. Das CO2 gelangt bisher mit den Ofenabgasen in die Atmosphäre.

Im Fall Zement kommt auch das Umweltbundesamt zu dem Ergebnis, es sei nicht möglich, die sogenannten rohstoffbedingten Emissionen vollständig zu vermeiden. Deren Freisetzung könne derzeit nur durch Abscheidung des CO2 verhindert werden.

Gleichzeitig warnt die Behörde, dass die CCS-Technologie, also CO2-Abscheidung und ‑Speicherung, die Verbreitung klimafreundlicherer Materialien und Technologien im Bausektor erschweren würde. Wenn Deutschland aber weiter Zement als Baustoff nutzen und bis 2045 klimaneutral werden will, führt an CCS kein Weg vorbei.

Keineswegs zufällig stand deswegen der Chef des Baustoffkonzerns Heidelberg Materials, Dominik von Achten, am Montag an der Seite von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), als dieser neue Eckpunkte der Bundesregierung zur CO2-Abscheidung sowie den Referentenentwurf eines Kohlenstoffspeichergesetzes vorstellte.

"Ohne CO2-Speicherung ist der 1,5-Grad-Pfad nicht erreichbar"

Heidelberg Materials hieß bis Herbst 2022 Heidelberg Cement. Vorstandschef von Achten kennt sich klimapolitisch aus. Ohne CCS gerade für die unvermeidbaren Emissionen werde man nicht auf einen 1,5-Grad-Pfad kommen, sagte von Achten, nicht ohne klimakorrekt zu betonen: Bevor man auf die Speicherung oder auch Nutzung von CO2 zurückgreife, gelte es alle Hebel in Bewegung zu setzen, um die CO2-Emissionen zu reduzieren.

 

Weltweit wolle die Zementindustrie bis 2030 ihre Emissionen um zehn Millionen Tonnen senken, so der Konzernchef. Das gehe aber nur, wenn auch in Deutschland CCS möglich werde.

Das von Habeck vorgelegte Speichergesetz öffnet dabei vor allem den Weg, das CO2 künftig in Pipelines von den Emittenten zu den Speicherstätten zu transportieren. Das ist in der Bundesrepublik bisher nicht erlaubt.

Bis 2029 will der Heidelberger Baustoffkonzern als Pilotprojekt sein Zementwerk Geseke bei Paderborn mit einer CO2-Abscheidung ausstatten. Das Treibhausgas soll dann per Bahn an die Küste nach Wilhelmshaven gebracht und von dort nach Norwegen verschifft werden. Die Skandinavier lagern schon seit einigen Jahrzehnten CO2 in alte Erdgaslager ein und bieten dies unter dem Projektnamen "Northern Lights" künftig europaweit an.

Neben dem "Export" von CO2 soll das Kohlenstoffspeichergesetz auch die unterirdische Einlagerung in Offshore-Speicherstätten in der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) beziehungsweise unter dem Festlandsockel ermöglichen. Das deutsche Festland soll aber für die CO2-Speicherung tabu bleiben.

Heidelberg Materials selbst nutzt bereits in einem norwegischen Zementwerk die Möglichkeit zum CO2-Einlagern. Für das Unternehmen rechnet sich das zumindest auf längere Sicht, weil es für gespeichertes CO2 keine der künftig knapper und teurer werdenden Emissionszertifikate kaufen muss. Als energieintensive Industrie ist die Zementbranche zur Teilnahme am europäischen Emissionshandel verpflichtet.

Streit um Nutzung künftiger CO2-Infrastruktur

Während die CO2-Abscheidung für Zement vorerst klimapolitisch wenig umstritten ist, entbrennt in Deutschland die Debatte darum, ob sich die künftigen CO2-Pipelines nicht auch für andere CO2-trächtige Erzeugungen nutzen lassen, speziell für den Strom aus neu zu errichtenden Gaskraftwerken.

Die Kraftwerksstrategie, die Minister Habeck dazu kürzlich vorlegte, sieht zunächst den Bau von 10.000 Megawatt neuer Erdgaskraftwerke vor, die als "Backup" für ein erneuerbares Stromsystem dienen sollen. Der gesamte Bedarf soll hier laut Wirtschaftsministerium bei bis zu 30.000 Megawatt liegen.

Die CO2-Abscheidung und ‑Speicherung könnte dabei auch dazu genutzt werden, um Erdgas selbst in sogenannten "blauen" Wasserstoff umzuwandeln. Damit ließen sich auch Wasserstoffkraftwerke weitgehend klimaneutral betreiben. Über die Einfuhr von "blauem" Wasserstoff nach Deutschland hat sich Bundesregierung auch schon mit Norwegen in einem "Memorandum of Understanding" geeinigt.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck plädierte hier bei der Präsentation der CCS-Pläne am Montag für ein pragmatisches Herangehen. Er kann sich die CO2-Abscheidung auch an Kraftwerksstandorten vorstellen, die nicht schnell genug an das geplante Wasserstoff-Kernnetz angeschlossen oder nicht anders dekarbonisiert werden können.

Stehe so ein Gaskraftwerk zum Beispiel in der Nähe eines Industrieunternehmens mit CO2-Infrastruktur, frage er sich, wo der Schaden sei, so Habeck. Es sei doch allemal besser, das CO2 aus diesen Gaskraftwerken auch abzuscheiden. Einen massenhaften Run auf CCS im Gasbereich befürchte er nicht.

Damit stößt er in seiner Partei auf Gegenwehr. Es sei gut, dass jetzt eine klare gesetzliche Regelung für einige unvermeidbare Emissionen in der Industrie geschaffen werde, erklärt die grüne Bundestagsabgeordnete Lisa Badum gegenüber Klimareporter°. Sie begrüßt auch die Entscheidung, dass die Verursacher und nicht die Steuerzahler das künftige Pipelinenetz bezahlen sollen. CCS bei Gaskraftwerken lehne die Bundestagsfraktion der Grünen jedoch ab, betont Badum.

Habeck hat mit seinen CCS-Vorschlägen der Fraktion damit ein Streitthema auf den Tisch gelegt. Die Grünen-Abgeordneten treffen sich von Montag bis Mittwoch in Leipzig zur Klausur.

Auch die SPD-Fraktion schließt CCS bei der Energiegewinnung aus. Das teilte die klima- und energiepolitische Sprecherin Nina Scheer am Montagabend mit. "Der Einsatz von CCS bei Energiegewinnung läuft unseren Energiewendezielen zuwider, setzt Fehlanreize und ist somit abzulehnen", erklärte Scheer.

Deutschland droht nicht mehr vom Erdgas wegzukommen

Der Klimaökonom Ottmar Edenhofer sieht zumindest keine Gefahr, dass die nunmehr geöffnete CO2-Tür für den Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken genutzt wird. Dafür gebe es für CCS bei den heutigen CO2-Preisen kein Geschäftsmodell, sagte der Co-Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung am Montag an der Seite von Habeck.

Beim Erdgas stellt sich das ein wenig anders dar, räumte Edenhofer allerdings ein. Hier müssten alle sogenannten Vorketten-Emissionen bepreist werden, um die Gefahr eines fossilen Lock-ins abzuwenden, also eines klimaschädlichen Weiterbetriebs der Gasanlagen.

Mit Vorketten-Emissionen ist der Umstand gemeint, dass schon bei der Förderung und dem Transport des Erdgases zum Kraftwerk enorme Klimaemissionen durch Methan-Lecks entstehen. Man müsse jetzt daran arbeiten, diese Emissionen ebenfalls zu bepreisen, mahnte Edenhofer an.

Die Klimaforscherin Julia Pongratz von der Universität München weist auf die Ambivalenz des von Habeck vorgelegten Konzepts hin. Die Eckpunkte betonten die Vermeidung von Emissionen in schwer zu dekarbonisierenden Sektoren, gleichzeitig werde fossiles CCS von der Förderung ausgeschlossen, aber in Gaskraftwerken zugelassen, erklärt Pongratz, die ein Forschungsprogramm zu landbasierter CO2-Entnahme leitet.

"Die genaue Ausgestaltung wird einiges an Fingerspitzengefühl benötigen, um Greenwashing zu vermeiden", schlussfolgert die Wissenschaftlerin.

Klimaschützer und Umweltverbände kritisieren die Vorlagen des Wirtschaftsministers auch mit dem Hinweis, die Ampel-Regierung habe gerade auf den jüngsten Weltklimagipfel in Dubai die Position vertreten, dass CO2-Abscheidung keine Option für den Stromsektor und insbesondere für Gaskraftwerke sei.

Dass Habeck nun eine Kehrtwende hinlege, stelle die Glaubwürdigkeit früherer Äußerungen der Regierung auch international in Frage, kritisiert die Deutsche Umwelthilfe. Zudem sei die Öffnung der deutschen Nordsee für die CO2-Speicherung ein schwerer Schlag für den Meeresschutz.

 

Wie groß der Beitrag der CO2-Speicherung am Ende sein muss, damit Deutschland klimaneutral werden kann, ist nach wie vor unklar. Edenhofer bezifferte am Montag die nötige Kapazität auf rund 50 Millionen Tonnen ab 2040.

Besonders große Beiträge "liefern" hier neben der Zementbranche auch der Agrarbereich sowie die Luftfahrt, wo es ebenso nicht vermeidbare CO2-Emissionen gibt. Dabei streiten Experten noch, was wirklich "unvermeidbare" oder "schwer vermeidbare" Emissionen sind.

Aus heutiger Sicht ist der größte Teil dieser Menge nicht durch technische Lösungen wie CCS oder die direkte CO2-Rückholung zu erreichen, sondern durch Maßnahmen des natürlichen Klimaschutzes wie Waldaufbau oder Moorschutz.

Für Lisa Badum gilt auch weiter der Vorrang für den Umstieg auf klimafreundliche Technologien. "Gerade im Bausektor müssen wir noch besser werden und zum Beispiel lernen, mit weniger Zement auszukommen", betont die Grünen-Politikerin.

Lesen Sie dazu unseren Kommentar: Unterirdische Strategie