Matthias Willenbacher. (Bild: Wiwin)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Matthias Willenbacher, Geschäftsführer der Plattform für nachhaltiges Investieren Wiwin.

Klimareporter°: Herr Willenbacher, die G7-Staaten haben diese Woche einen Kohleausstieg bis 2035 beschlossen. Ob das ein "historischer Erfolg" ist, lässt das Abschlussdokument bezweifeln. Auch bleiben die G7-Länder weit hinter eigenen Zusagen zurück. Wie bewerten Sie den Ausstiegsbeschluss?

Matthias Willenbacher: Sie könnten mich auch fragen, ob das Glas halb voll oder halb leer ist.

Diplomatisch ist es ein großer Erfolg, dass Japan seine bisherige Blockade für ein Kohleausstiegsdatum aufgegeben hat. Das ist ein deutliches Signal an andere Staaten und für künftige internationale Verhandlungen über Klimaschutzmaßnahmen.

Auf der anderen Seite werden in der EU die Kohlekraftwerke aufgrund der hohen CO2-Preise voraussichtlich Anfang der 2030er Jahre aus rein wirtschaftlichen Gründen aus dem Markt ausscheiden. Vorausgesetzt, der Minderungspfad des Emissionshandels wird nicht noch aufgeweicht.

Dass in der G7-Erklärung noch unbestimmte Begriffe verwendet werden und die Ambitionen zu gering sind, wundert mich nicht. Wichtig ist, dass in den G7-Staaten weiter mit hohem Tempo in erneuerbare Energien investiert wird. Und da ist Deutschland auf einem sehr guten Weg – und in den anderen Ländern noch deutlich Luft nach oben.

Die FDP fordert einen Plan, um die gesetzliche Förderung der erneuerbaren Energien schnell zu beenden. Deren Ausbau soll künftig allein über den Markt finanziert werden. Wie finden Leute, die Erneuerbaren-Projekte finanzieren, die FDP-Forderung?

Diese Forderung kommt von der FDP schon so lange, wie ich mich mit dem Thema Erneuerbare beschäftige.

Alle größeren konventionellen Kraftwerksbauten und der gesamte Netzausbau wurden immer mit staatlichen Subventionen und Rahmenbedingungen realisiert. Denn für diese Anlagen betragen die Abschreibungszeiträume Jahrzehnte. Würde man sie – wie in vielen Industriezweigen üblich – in wenigen Jahren abschreiben wollen, wären die Strompreise und Netzentgelte für die Verbraucher:innen und die Industrie nicht bezahlbar.

Für neue Kraftwerke – ob erneuerbar oder konventionell – braucht es deshalb stabile und verlässliche Rahmen- und Investitionsbedingungen, zum Beispiel 20-jährige Stromabnahmeverträge. Und das muss für alle Kraftwerke gelten, die in Zukunft für den Standort Deutschland gebraucht werden.

Wer diese einfachen Zusammenhänge nicht erwähnt, hat entweder keine Ahnung von Betriebswirtschaft oder möchte Stimmung gegen erneuerbare Energien machen, um eine bestimmte Wählerklientel zu bedienen und der "alten" Energiebranche mehr Gewinne zuzuschustern.

Ansonsten finde ich es interessant, dass die FDP neben einem Kernfusionsgesetz auch ein Wasserstoffbeschleunigungsgesetz fordert. Beide Vorhaben werden ohne massive staatliche Förderungen keinen Erfolg haben. Und grünen Wasserstoff wird es nur mit vielen erneuerbaren Energien geben, die stabile Investitionsbedingungen benötigen.

Außerdem fordert die FDP, die Vergütung von negativen Strompreisen abzuschaffen oder die Höchstpreise abzusenken. Dabei gilt das erste schon sein Längerem und das zweite wurde gerade mit dem Solarpaket eins beschlossen.

Dieses umfangreiche Solarpaket, das die Ampel-Koalition beschloss, soll vor allem dem Ausbau der Photovoltaik einen Schub geben. Ist das in der Branche schon angekommen?

Das Solarpaket ist sehr gut und wird den Ausbau der Photovoltaik und auch der Windkraft weiter vorantreiben. Aus dem sehr umfangreichen Gesetzespaket möchte ich hier nur einige Beispiele nennen.

So werden die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung und die kleinen Verbesserungen beim Mieterstrom die Direktversorgung von Menschen in Mehrparteienhäusern deutlich erleichtern.

Die Bürokratie für Balkonsolaranlagen wird deutlich reduziert. Für Steckeranlagen mit Wechselrichtergrößen bis 800 Watt entfällt die Anmeldung beim Netzbetreiber, die Anlage muss lediglich im Marktstammdatenregister gemeldet werden.

Alte Stromzähler, die sich rückwärts drehen, wenn die Balkonanlage mehr Strom einspeist als gerade verbraucht wird, können bis zur Installation von digitalen Zählern weitergenutzt werden. Jetzt wird der Einsatz dieser Anlagen deutlich vereinfacht und vieles wird legal, was die Menschen sowieso schon gemacht haben.

Für besondere Solaranlagen wie Agri-, Parkplatz-, Floating- oder Moor-Photovoltaik gibt es jetzt eigene Ausschreibungen. Das bringt neue Impulse für dieses Segment. Und die Biodiversitätsanforderungen für die anderen über das Erneuerbare-Energien-Gesetz abgesicherten Freiflächenanlagen sind ein guter Standard.

In "benachteiligten Gebieten" – Agrarflächen mit geringer Ertragskraft – sind jetzt grundsätzlich Solar-Freiflächenanlagen erlaubt. Das ist ein großer Fortschritt. Die Länder können die Flächenkulisse nur per Landesgesetz einschränken, wenn sie den Ausbau unbedingt anders steuern wollen.

Die Vergütung für mittelgroße Photovoltaikanlagen von 40 bis 750 Kilowatt auf Dächern und bis zu einem Megawatt auf Freiflächen wurde erhöht. Das wird dieser bisher schwächelnden Anlagenklasse neuen Schwung verleihen.

Die Umwandlung der bestehenden Windvorranggebiete in sogenannte Beschleunigungsgebiete nach europäischen Recht wird die Genehmigungsdauer für Windkraft voraussichtlich verringern. Artenschutzbelange werden auf der regionalen Ebene geprüft und nicht mehr für jedes einzelne Projekt.

Dagegen ist für mich unverständlich, dass die Duldungspflicht für Kabelverlegungen nur für öffentliche Flächen gilt. Im Extremfall kann immer noch ein einziger privater Flächeneigentümer ein ganzes Projekt verhindern oder deutlich verteuern, weil eine Kabelverlegung nicht gewollt ist.

Dazu muss man wissen, dass faktisch alle Projektierer schon jetzt mit den Flächeneigentümer:innen Verträge inklusive Entschädigungszahlungen vereinbaren. Die Duldungspflicht hätte nur die Verhandlungsposition gegenüber den Blockierenden verbessert.

Ebenfalls fragwürdig ist für mich, dass die Bundesnetzagentur den Höchstwert für die Ausschreibungen nur noch um 15 Prozent erhöhen darf statt wie bisher um 25 Prozent. Bei den Windprojekten sind im letzten Jahr Anlagenpreise, Pachten, Gehälter, Zinsen und alle anderen Kostenbestandteile gestiegen. Die einzige Komponente, die aus aktueller Sicht fallen könnte, sind die Zinsen, und auch das ist rein spekulativ. Deshalb wird durch die Absenkung wahrscheinlich das ein oder andere Projekt nicht gebaut werden.

 

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Vor einigen Tagen wurden die Zahlen für die im vergangenen Jahr neu installierten Heizungen veröffentlicht. Insgesamt wurden 1,3 Millionen neue Heizungen eingebaut, drei Viertel davon, also 900.000, waren Gas- und Ölheizungen. 350.000 waren Wärmepumpen.

Überrascht hat mich nicht das krasse Verhältnis. Nach der unsäglichen öffentlichen Diskussion über das Gebäudeenergiegesetz sind viele Gebäudebesitzer:innen verunsichert und setzen auf Vertrautes.

Überraschend war für mich die fehlende öffentliche Wahrnehmung. Immerhin laufen die neuen fossil betriebenen Heizungen 15 bis 20 Jahre und stoßen so lange CO2 aus.

Ich erinnere daran, dass wir 2045 klimaneutral sein wollen. Die CO2-Preise werden ab 2027 deutlich steigen und den Betrieb sehr verteuern. Zudem werden viele Gasheizungen nicht bis zum Ende ihrer Laufzeit mit Gas versorgt werden können, weil das zugehörige Gasverteilnetz zwischenzeitlich stillgelegt worden ist.

Wie wir mit diesen "Stranded Investments" in deutschen Heizungskellern umgehen wollen und sollen, wäre für mich eine breite Diskussion wert.

Fragen: Jörg Staude