Drei Bioenergieanlagen mit flachen, flaschengrünen Kuppeln, daneben eine Biomethan-Anlage mit einer hoch aufragenden Metallkonstruktion.
Moderne Biogasanlage mit angeschlossener Biomethan-Produktion: Wichtig ist, wo die Ausgangsstoffe herkommen. (Foto: Ralf Geithe/​Shutterstock)

Gern wird bei der Bioenergie mit der Vorsilbe "flex" operiert. So kennt das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) eine sogenannte Flexprämie. 2012 geschaffen, soll die Flexibilitätsprämie Betreiber von Biogas- und Biomethananlagen animieren, ihren Strom nicht einfach nur an die Strombörse zu schaffen, sondern dann anzubieten, wenn er besonders dringend gebraucht wird.

Das ist vor allem um die Mittagszeit der Fall, wenn Industrie und Haushalte viel Strom benötigen, die Einspeisung aus Wind und Sonne aber gerade schwächelt, weil der Himmel wolkenverhangen ist oder Flaute herrscht.

2014 teilte eine EEG-Novelle die Flex-Förderung auf: Für Anlagen, die bis Juli 2014 in Betrieb gingen, gibt es weiter die Flexprämie, Anlagen, die danach ans Netz kamen, erhalten einen Flexibilitätszuschlag, kurz Flexzuschlag.

Die konkreten Regelungen für den jeweiligen Flexzuschuss füllen dicke Handbücher und sind selbst für Spezialisten kaum zu durchschauen. Deswegen stellte sich schon lange die Frage, ob die Bioenergie-Anlagen wirklich flexibel gefahren werden und das Stromsystem dadurch stabilisieren.

Um das zu prüfen, rief das Bundeslandwirtschaftsministerium vor einigen Jahren das Projekt Visuflex ins Leben. Von Anfang 2019 bis Mitte 2020 schauten sich die Visuflex-Experten an, wann und wie Biogas- und Biomethananlagen mit einer installierten Gesamtleistung von rund 300 Megawatt neben der Abdeckung des Vor-Ort-Bedarfs an Strom und Wärme auch auf Bedarf und Preise am Strommarkt reagierten.

Das Ergebnis wurde jetzt verkündet: Über den Tagesverlauf schwankte die der Strombörse angebotene Leistung zwischen 20 Megawatt nachts und 150 Megawatt um die Mittagszeit. Inzwischen sind die entsprechenden Lastkurven nahezu in Echtzeit auf der Website visuflex.fnr.de der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe zu verfolgen.

Flexibilisierte Biogasanlagen als Speicherkraftwerke

Zwar funktioniert die bioenergetische Flexibilität, aber letztlich nicht wegen der Flexzuschüsse, sondern in erster Linie aufgrund der Preissignale am Strommarkt. Ist der Strombedarf hoch, weil etwa Wind und Sonne nicht ausreichend liefern, steigt tagsüber auch der Strompreis. Das gilt als entscheidender Anreiz, damit die Biogas- und Biomethananlagen in der Zeit hochgefahren werden.

Bisher erfasst Visuflex eben nur Anlagen, die zusammen auf die genannten 300 Megawatt kommen. Die Effekte des flexiblen Betriebs sind zwar messbar, aber noch viel zu gering, um die realen Stromlücken zu schließen, die sich aus der schwankenden Erzeugung von Wind und Sonne ergeben.

Die gesamte Reservekapazität, die zum sicheren Verhindern eines "Blackouts" im Stromsystem benötigt wird, beziffern Branchenexperten für Deutschland auf 50.000 bis 60.000 Megawatt.

Würden Biogas- und Biomethananlagen bundesweit flexibilisiert, könnten insgesamt etwa 10.000 bis 15.000 Megawatt Spitzenleistung bereitgestellt werden, rechnet Uwe Welteke-Fabricius von den "Flexperten" vor, einem Netzwerk aus Planern, Projektierern, Herstellern und Betreibern.

Um auf die 15.000 Megawatt zu kommen, müsste nach Vorstellung der Flexperten jede Biomasse-Anlage mit einem zusätzlichen großen Gasspeicher und einer weiteren, schnell einsetzbaren Verstromungsmöglichkeit ausgestattet werden.

Die bisherigen Anlagen, die technisch gesehen als Blockheizkraftwerk Strom und Wärme erzeugen, sollen so zu einer Art Speicherkraftwerk weiterentwickelt werden. Perspektivisch seien sogar 30.000 Megawatt Spitzenleistung drin, sagt Welteke-Fabricius. Damit ließe sich dann die Deckungslücke in einem vollständig erneuerbaren Stromsystem zur Hälfte bestreiten.

Alternativen zu Raps- und Mais-Monokulturen

So verlockend das klingt – schließlich bekäme Deutschland auf der Basis von Wind, Sonne und Biomasse ein stabiles Stromsystem –, so sehr hängt die Umsetzung von der Verfügbarkeit der biologischen Ausgangsstoffe ab.

So sollen ab 2030, so will es die Ampel-Koalition, keine Energiepflanzen mehr speziell zur Strom- und Wärmeerzeugung angebaut werden. Raps- und Maisfelder, so weit die Monokultur reicht, sind dann passé.

Wie ein Energiesystem ohne Fossile aussehen kann

2035 soll der Strom in Deutschland erneuerbar sein, zehn Jahre später die gesamte Energie. Damit das klappt, muss sich einiges ändern: bei den Stromnetzen, bei unserem Stromverbrauch, bei den Kraftwerken, bei unseren Heizungen. Was konkret passieren muss, beschreibt Klimareporter° in der Serie "Erneuerbar mit System".

Die Themen der weiteren Teile:

  • 100 Prozent Ökostrom
  • Strom aus Wasserstoff statt aus Erdgas?
  • zentrale Großspeicher und dezentrale Heimspeicher
  • Vor-Ort-Versorgung mit mehr Effizienz und Suffizienz
  • Klimakonzepte für die Wärmeversorgung

Die Branche bringt deswegen Alternativen in Stellung. So soll die benötigte Biomasse überwiegend aus Reststoffverwertung sowie aus nachhaltigen Naturschutzkulturen kommen. Letztere sind natürlich nicht so produktiv und liefern etwa ein Fünftel weniger Biomasse von derselben Fläche.

Die Branche fordert entsprechend, per EU-Agrarprämie oder anderweitig stillgelegte Flächen wenigstens einmal im Jahr abzuernten – egal, was da wächst – und diese Biomasse zur Energieerzeugung zu nutzen.

Putins Krieg hat aber auch hier die Prioritäten verschoben und bringt die Frage hervor, ob nicht alle verfügbaren Äcker besser für menschliche Nahrung genutzt werden sollten. Um die Ernährung in Europa zu sichern, hat die EU-Kommission jetzt erst einmal die Erzeugung von Nahrungs- und Futtermittelpflanzen auf Brachflächen zugelassen. Bleibt das dauerhaft so, müsste Deutschland, was zu Recht umstritten ist, noch mehr Energiebiomasse als bisher importieren.

Auch die Solarwirtschaft hat ein Auge auf die Äcker geworfen, auf denen jetzt noch Energiepflanzen gezogen werden. Mit Freiflächenphotovoltaik ließe sich von einem Hektar viel mehr Energie ernten als durch Biomasse, argumentiert die Solarbranche.

Die Bioenergie-Branche hält dem entgegen, dass Biogas und Biomethan genauso dringend gebraucht würden wie Solarstrom und man die Erneuerbaren nicht gegeneinander ausspielen solle.

Ackerflächen nicht für Tierfutter verschwenden

Bei der künftigen Stoff-Beschaffung könnte aber auch eine andere Ernährungsweise helfen. Global gesehen werden heute 70 Prozent der weltweiten Ackerflächen zur Produktion von Tierfutter verschwendet, kritisiert der Biologe Hans-Otto Pörtner, einer der beiden Co-Vorsitzenden der Arbeitsgruppe des Weltklimarats, die jüngst den Bericht zu Klimafolgen und -anpassung veröffentlichte.

"Wir brauchen etwa zehn Kilo Pflanzenmasse, um ein Kilo Tierfleisch zu erzeugen", rechnet Pörtner vor. Mit einer konsequenten Umstellung der Ernährungsweise täte die Menschheit nicht nur direkt etwas für den Klimaschutz, weil die Emissionen von Methan und Lachgas aus der Tierhaltung zurückgingen – zugleich würde auch viel Landfläche frei.

Anders gesagt: Wenn wir alle Veganer werden oder zumindest unseren Fleischkonsum deutlich reduzieren, könnte das am Ende auch dazu beitragen, unser Stromsystem künftig stabil zu halten. So komplex kann Energiewende sein.

 

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