Sechs dampfende Kühltürme eines Großkraftwerkes in einer Reihe, aus der Ferne über eine neblige Wasserfläche aufgenommen.
Symbolbild: Ein Lobbycontrol-Report lichtet den Nebel, in dem der Wirtschaftsrat der CDU agiert. (Foto: Denis Klementjew/​Shutterstock)

Zwischen Augsburg und Ulm läuft derzeit noch der letzte Block des Atomkraftwerks Gundremmingen. Ende des Jahres soll für Block C Schluss sein. Gleichzeitig entsteht an dem AKW-Standort das vermutlich größte deutsche Atommüll-Lager. Gegen dieses kämpft eine Bürgerinitiative mit dem länglichen Namen "Forum Gemeinsam gegen das Zwischenlager und für eine verantwortbare Energiepolitik".

Anfang des Monats schickte der Vereinsvorsitzende Raimund Kamm eine Mitteilung in die Welt, die auf den ersten Blick mit Atomenergie nicht so viel zu tun hatte. Anlass war der sich ausweitende Skandal um den Bundestagsabgeordneten Georg Nüßlein, der sich mutmaßlich in der Masken-Affäre bereichert hat und vergangene Woche aus der CSU ausgetreten ist.

Das Wahlkreisbüro von Nüßlein in Günzburg ist nur ein paar Kilometer von Gundremmingen entfernt. Und nicht nur räumlich stand Nüßlein der Atomkraft nahe. Bis zur Fukushima-Katastrophe war der damalige CSUler, wie "Forum"-Vorstand Kamm mitteilt, ein "hartnäckiger Verfechter" der AKW-Laufzeitverlängerung und setzte sich für Deutschlands größtes und gefährlichstes Kernkraftwerk ein, eben das AKW Gundremmingen.

Und auch als sich nach Fukushima die Union von der Atomkraft abwandte, blockierte Nüßlein als "Teil des einflussreichen Sixpacks der Energiewende-Stopper von Unionspolitikern" den Ausbau von Photovoltaik und Windkraft, beklagt Raimund Kamm.

Namentlich listet er gegenüber der Presse auch die fünf weiteren Mitglieder des von ihm geschnürten "Sixpacks" auf: Peter Altmaier, Thomas Bareiß, Jens Koeppen, Carsten Linnemann und Joachim Pfeiffer, im Originaltext mit abgekürztem Vornamen.

Exklusive Runden mit Industrie-Spitzen

Raimund Kamm, das muss man wissen, ist nicht nur bundesweit als Atomkritiker und Umweltschützer bekannt, er ist auch einer der Sprecher des LEE Bayern, des Landesverbands der erneuerbaren Energien, und war zudem eine Zeitlang im Bundesvorstand des Windenergieverbandes BWE.

Kamm, so darf man vermuten, kennt diejenigen, die der Energiewende Riesensteine in den Weg legen, ziemlich genau. Da ist es kein Wunder, dass vier der sechs aus dem "Sixpack" auch in einem Bericht zum "Wirtschaftsrat der CDU" auftauchen, den die Organisation Lobbycontrol diese Woche vorgelegt hat.

Zu regelmäßigen Gästen in den exklusiven Runden des Wirtschaftsrates zählt die Studie namentlich Carsten Linnemann, CDU-Abgeordneter und einflussreicher Chef der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der Unionsparteien. Weiter nennt das Papier Thomas Bareiß, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, sowie auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier selbst.

Jens Koeppen wird in dem Report zwar nicht namentlich genannt, der Wirtschaftsrat rühmte sich aber im Juni letzten Jahres, mit dem CDU-Abgeordneten im "exklusiven Austausch" gestanden zu haben, unter anderem über die Wasserstoffstrategie der Bundesregierung und die Zukunft der EEG-Umlage zur Förderung erneuerbarer Energien.

Vor seinem Fall zählte auch Georg Nüßlein zu den Abgeordneten, mit denen sich der Wirtschaftsrat der CDU gern schmückte. Der Wirtschaftsrat freute sich, wie er stolz mitteilte, dass sich im März 2019 die "Spitzen der nationalen und europäischen Industrie und Energiewirtschaft" bei einer "exklusiven Tagung" im Berliner Hotel Adlon ganztägig und nichtöffentlich zu "strategischen Leitlinien der Energie- und Industriepolitik" berieten – und mit von Partie eben auch Nüßlein, damals noch Unions-Fraktionsvize im Bundestag.

Kein CDU-Parteigremium ...

Allerdings, und das stellt auch die Studie von Lobbycontrol noch einmal unmissverständlich fest, ist der Wirtschaftsrat der CDU – anders als der Name suggeriert – kein CDU-Parteigremium, sondern ein unternehmerischer Berufs- und Lobbyverband. Mitglied im Wirtschaftsrat sind nach der Analyse rund 12.000 Unternehmen und Unternehmer, die sich als CDU-nah verstehen.

Entscheidend für den Einfluss ist laut Lobbycontrol ein operativer Dreh: De facto agiere der Wirtschaftsrat wie ein Parteigremium, müsse aber die damit verbundenen Transparenzpflichten nicht einhalten und zum Beispiel seine Finanzierung nicht offenlegen.

Das scheint so selbstverständlich, dass laut Lobbycontrol-Geschäftsführerin Imke Dierßen die beiden CDU-Abgeordneten Christian Freiherr von Stetten und Joachim Pfeiffer ihre Funktionen im Wirtschaftsrat nicht einmal gegenüber der Bundestagsverwaltung anzeigten. "Obwohl diese Information veröffentlichungspflichtig wäre", wie Dierßen betont.

"Die CDU hat in ihrem Machtzentrum ein Lobbyismusproblem", schlussfolgert sie. Die Symbiose mit einem Lobbyverband schade der Demokratie.

Zumindest für Joachim Pfeiffer haben sich seine nicht gemeldeten Nebentätigkeiten inzwischen zum echten Problem ausgewachsen. In dieser Woche wurde durch Recherchen der Zeit bekannt, dass Pfeiffer offenbar zwei private Firmen noch nebenbei leitet und dazu auch sein Wahlkreisbüro einspannt.

Deswegen – und nicht etwa, weil Pfeiffer seit Jahren im Wirtschaftsrat gegen die Energiewende arbeitet – hat die SPD in dieser Woche die Verhandlungen über die nächste EEG-Novelle platzen lassen.

Neben Pfeiffer hat Lobbycontrol-Autorin Christina Deckwirth Staatssekretär Thomas Bareiß als zentrales Bindeglied des Wirtschaftsrats in die CDU-Bundestagsfraktion ausgemacht. Bareiß habe zwar keine direkte Funktion im Wirtschaftsrat, sei dort aber Dauergast – und stehe dem Klimaschutz "sehr kritisch" gegenüber, sagt sie bei der Präsentation der Studie.

... aber auch nicht die "Stimme der Wirtschaft"

Die Frage, welche Lobbys und Allianzen Fortschritte in der Klimapolitik blockieren, war Deckwirth zufolge übrigens der Ausgangspunkt für die Studie. "Da sind wir immer wieder auf den CDU-Wirtschaftsflügel gestoßen und eben auch auf den Wirtschaftsrat", berichtet sie. Dieser verfüge über "exklusive und privilegierte Zugänge zur CDU, befördert einseitigen Lobbyismus und fördert so eine Politik zulasten des Gemeinwohls und des Klimas".

Entgegen seinem Image sei der Wirtschaftsrat aber auch keineswegs eine repräsentative Stimme der Unternehmen, stellt Deckwirth klar. So äußerten sich dort zu Klimathemen vor allem solche Vertreter, die "Klimaschutzfragen skeptisch gegenüberstehen, weil sie entweder selbst in der fossilen Wirtschaft verankert sind oder Klimaschutz aus ideologischen Gründen ablehnen".

In den Debatten zur Klimakrise falle der Wirtschaftsrat als "besonders starker und einflussreicher Klimaschutzbremser" auf, er setze auf die Erhaltung bestehender Strukturen und warne vor "zusätzlichen Belastungen" für die Wirtschaft, so Deckwirths Resümee. Diese Positionen schlügen sich durch die enge Verbindung zur CDU dann auf die politische Ausrichtung der Partei nieder.

Raimund Kamm hatte übrigens die Mitteilung seiner Anti-AKW-Initiative mit einer Frage überschrieben: "Verrät uns der Skandal von MdB Nüßlein, warum die Energiewende in Deutschland nicht vorankommt?" Kamm gab dazu eine Episode schwarz auf weiß zum Besten:

"Als vor drei Jahren wieder mal im Vorstand des Bundesverbandes Windenergie gerätselt wurde, wieso trotz der Notwendigkeit von Atomausstieg und Klimaschutz wie auch preiswerter Stromversorgung die Energiewende von einflussreichen Abgeordneten der Union blockiert würde, warf ein Vorstand deprimiert ein: Vielleicht müssten wir auch mal was an Abgeordnete zahlen. Die Runde lachte bitter."

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