Demonstrantinnen stehen Peter Altmaier gegenüber und fordern auf Schildern Klimaschutz.
Fridays for Future und die Klimaforschung scheinen Energieminister Altmaier und den Rest der Bundesregierung wenig zu beeindrucken. (Foto: Jörg Farys/​WWF/​Fridays for Future/​Flickr)

Schon vor dem Auftritt des Klimakabinetts am vergangenen Freitag machte im politischen Berlin die Überlegung die Runde, warum Union und SPD derzeit überhaupt die Hand für mehr Klimaschutz rühren sollten. Spätestens 2021 wird im Bund sowieso neu gewählt – und aus welchem Grund sollten die beiden ohnehin gebeutelten Parteien sich zusätzlichen Ärger bei ihren Wählern aufladen?

Mit solchen Analysen lag man offenbar nicht ganz falsch. "Let the next guy do it" – lass es die nächste Regierung machen. "Das ist der eigentliche Geist, den dieses Klimapaket atmet", sagte Patrick Graichen, Direktor des Thinktanks Agora Energiewende, am Montag gegenüber Medien.

Mit dem Klimapaket werde "bestenfalls ein Drittel des Weges erreicht", der notwendig ist, um das nationale Klimaziel von minus 55 Prozent bis 2030 zu schaffen, analysierte Graichen weiter. Schon ab dem ersten Jahr – 2021 – laufe Deutschland Gefahr, die europarechtlichen Reduktionsvorgaben nicht zu erfüllen, und werde in den Nachbarstaaten auf "Einkaufstour" bei den Emissionsrechten gehen müssen.

Recht kennt keinen "Festpreis-Emissionshandel"

Graichen bezifferte die Minderung, die Deutschland von heute an gerechnet bis 2030 zu erzielen hat, auf rund 250 Millionen Tonnen CO2. Davon werde insgesamt etwa ein Drittel erreicht – es sei denn, es werde bis Weihnachten noch "wahnsinnig" nachgeliefert. Christian Hochfeld vom Schwester-Thinktank Agora Verkehrswende schätzte seinerseits, dass das Klimapaket im Verkehr nur die Hälfte der dort bis 2030 nötigen Reduktion um 50 Millionen Tonnen erbringen wird.

Nach Graichens Darstellung ist auch der "Festpreis", der für den geplanten Emissionshandel zunächst gelten soll, "juristisch wacklig". Verfassungsrechtlich gebe es so etwas wie einen "Festpreis-Emissionshandel" nicht. Wenn man nicht den Markt den Preis bestimmen lasse, dann sei das rechtlich eine Steuer oder eine Abgabe.

Auch die Umweltverbände kritisieren erwartungsgemäß das Klimapaket. Für Sascha Müller-Kraenner, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), ist das Paket sowohl für das Klima als auch für die Energiewende in Deutschland ein "Desaster". Für ihn ist klar, was deshalb passieren muss. "Man kann das Paket nicht nachbessern, das Paket muss zurückgenommen werden", forderte Müller-Kraenner heute in Berlin. 

Die Kampagnenorganisation Campact hat gemeinsam mit DUH, Greenpeace, BUND und anderen Verbänden eine Petition gestartet, in der die Bundesregierung aufgefordert wird, zur Halbzeitbilanz der großen Koalition am 29. November und damit vor Beginn des Klimagipfels in Santiago de Chile im Dezember ein "wirksames Klimapaket" vorzulegen.

Covering Climate Now

Klimareporter° beteiligt sich wie rund 250 andere Zeitungen und (Online-) Magazine weltweit an der Initiative "Covering Climate Now". Die teilnehmenden Medien verpflichten sich, vor allem in der Woche vor dem New Yorker UN-Klimagipfel am 23. September über die Klimakrise zu berichten. Wir freuen uns über die Bewegung in der Medienlandschaft. Klimaschutz braucht guten und kritischen Journalismus.

Auch Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser forderte Regierungschefin Angela Merkel (CDU) auf, das Paket zurückzunehmen und ein neues auszuarbeiten. "Das Klimapaket verhöhnt die vielen tausend Menschen, die am Freitag auf der Straße waren. Das ist nicht mein Klimapaket", sagte Kaiser in Anspielung auf das Schlagwort "#NotMyKlimapaket", das nach Veröffentlichung des Koalitionsergebnisses in sozialen Netzwerken wie Twitter die Runde machte.

Kaiser zeigte sich dabei zuversichtlich: "Ich bin mir sicher, dass das noch nicht das letzte Wort war." Hoffnung mache ihm auch die noch offene Klimaklage dreier Familien gegen die Bundesregierung, über die Ende Oktober das Verwaltungsgericht Berlin entscheidet.

Die Bundesregierung müsse außerdem auf die Fridays-for-Future-Bewegung reagieren. "Wir rechnen damit, dass das jetzt erst der Beginn des Protests war, der von den vielen jungen Menschen getragen wird", so Kaiser.

Der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger äußerte sich anerkennend über Fridays for Future: "Der neuen Bewegung ist es gelungen, flächendeckend Druck zu erzeugen, wie er noch nie da war." Für die Zukunft nimmt sich der Umweltverbandschef vor: "Wir müssen deutlicher als bisher der Gesellschaft die Wahrheit sagen: dass wir dabei sind, unsere Lebensgrundlagen zu zerstören."

Damit klingt er fast schon ein bisschen wie die Bewegung Extinction Rebellion, zu deren Kernforderungen an die Regierung es gehört "die Wahrheit über die ökologische Krise" zu sagen. Extinction Rebellion hatte schon Anfang Oktober Aktionen zivilen Ungehorsams weltweit und auch in Berlin angekündigt.

Ende Gelände will in der Lausitz blockieren

Das Aktionsbündnis "Ende Gelände" kündigte am Montag eine Massenaktion zivilen Ungehorsams im Lausitzer Braunkohlerevier für die Zeit vom 29. November bis 1. Dezember 2019 an. Die Proteste finden an dem Wochenende vor Beginn des Weltklimagipfels in Santiago statt. Zum Ende des Jahres wird darüber hinaus das Gesetzgebungsverfahren um das Kohleausstiegsgesetz erwartet.

"Wir gehen in die Lausitz, weil dort nach dem Willen unserer Bundesregierung noch bis 2038 Kohle verstromt werden soll", sagte Ende-Gelände-Sprecherin Nike Mahlhaus gegenüber Klimareporter°. "Wir wollen, dass die Lausitz eine Region der Klimagerechtigkeit wird, auch für die Kohlekumpel."

Von den am Montag beginnenden Koalitionsverhandlungen in Brandenburg zwischen SPD, CDU und Grünen erwarte das Aktionsbündnis "nichts", sagte Mahlhaus. "Die Regierungen zeigen immer wieder, dass sie nicht in der Lage sind, die Klimakrise zu stoppen. Das müssen wir selbst tun, indem wir ungehorsam werden", so die Aktivistin. "Wir brauchen den Kohleausstieg jetzt, um die Klimakrise zu stoppen".

Anzeige