Eine Person mit Christian-Lindner-Maske im Schneidersitz auf der Straße mit einem handgeschriebenen Schild: Einmal so blockieren wie die FDP. Daneben eine zweite mit Mikrofon in der Hand, beide tragen schwarze Anzugjacken.
Klima-Koalition? Angetrieben durch Gruppen wie "Letzte Generation" erreichte die Debatte um öffentlichen Klimaprotest eine nicht gekannte Schärfe. (Foto: Letzte Generation)
 

Wie arbeitet es sich beim Klimaschutz mit sechs verschiedenen Bundesministerien zusammen? Der Landesminister seufzt. Das sei nicht einfach, antwortet er kurz angebunden. Mehr ist ihm nicht zu entlocken.

Die Botschaft ist landauf, landab in ähnlicher Weise zu hören: Diese Bundesregierung zeigt sich beim Klima zerrissen und damit zumindest teilweise blockiert.

Der erste Befund liegt offen zutage. Sage und schreibe sechs Ressorts sollen sich in der Ampelregierung ums Klima kümmern: Wirtschaft, Umwelt, Entwicklung, Verkehr, Bau und das Außenamt. Und eigentlich auch das Kanzleramt, wo ja der "Klimakanzler" residiert.

In der Öffentlichkeit spielt Robert Habecks Ministerium für Wirtschaft und Klima bislang die sichtbarste Rolle. Das liegt daran, dass es sich um die Energiewende kümmert. Das bisher bedeutendste Ergebnis ist das sogenannte "Osterpaket".

Für das "größte Gesetzespaket seit Verabschiedung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes im Jahr 2000" – so ein Zitat aus der Ampelkoalition – heimste der grüne Minister jede Menge Lob ein. 80 Prozent des Stroms sollen 2030 erneuerbar sein. Der Ausbau der erneuerbaren Energien steht nunmehr in einem "überragenden öffentlichen Interesse".

Ohne Energiewende kein Klimaschutz, das ist klar. Doch die Energiewende allein reicht bei Weitem nicht aus, um die Klimaziele zu erreichen, die Deutschland sich gegeben hat und zu denen das Land international verpflichtet ist.

"Klimaschutz" steht im Wirtschaftsministerium nur bei Staatssekretär Stefan Wenzel als offizielle Aufgabenbeschreibung. Als Parlamentarischer Staatssekretär hat er nicht nur wenig administrative Macht – Wenzel muss sich auch noch um ein Lieblingsprojekt des Kanzlers kümmern, den sogenannten Klimaklub.

Vom ursprünglichen Konzept, einen mächtigen grünen Klub der wirtschaftsstarken G7-Staaten zu bilden, ist nicht viel übriggeblieben. Jetzt wäre man schon froh, heißt es, wenn sich im Klimaklub interessierte Länder locker zusammentäten und sich auf so etwas wie gemeinsame industrielle Standards für CO2-arme oder CO2-neutrale Produkte einigten.

Sarkastische Beobachter meinen sogar, den Klub werde nur noch am Leben erhalten, damit Olaf Scholz nicht als wortbrüchig dasteht.

Besser zu sein als Altmaier ist nicht die Herausforderung

Über den Klimaklub hinaus mehren sich inzwischen die klimapolitischen Enttäuschungen der Ampel. Genau besehen hatte das Osterpaket vor allem den Zweck, mit vielen Hinterlassenschaften aus 16 Jahren unionsgeführter Regierungen aufzuräumen.

Besser zu sein als Ex-Wirtschaftsminister Peter Altmaier und dessen Vorgänger – das ist aber nicht die eigentliche klimapolitische Herausforderung.

Von der Ampel wird erwartet, Deutschland auf den Weg zur Klimaneutralität zu bringen – und das auch noch im Wesentlichen bis 2035, nimmt man das verbleibende CO2-Budget für Deutschland zum Maßstab.

Daran gemessen hakt es bei der Ampel deutlich. Das Konzept fürs klimaneutrale Stromsystem wurde aufs nächste Jahr verschoben. Verschoben auch die Erhöhung des CO2-Preises für Brennstoffe. Das Klimageld verschwand gleich ganz von der Agenda.

Noch immer zündet der Booster bei den Erneuerbaren nicht. Ab 2023 müssten jeden Tag allein sechs Windräder neu ans Netz gehen, rechnete die Deutsche Energieagentur (Dena) aus. Derzeit überlegen die Projektierer, wie zu hören ist, ob sie sich wegen des Ärgers um die Strompreisbremse nächstes Jahr überhaupt an den Windkraft-Ausschreibungen beteiligen.

Wie zerrissen und blockiert die Klima-Arbeit der Koalition ist, zeigte sich exemplarisch vor dem jüngsten Weltklimagipfel in Sharm el-Sheikh. Mit Ach und Krach legte Habeck noch Eckpunkte für das seit Monaten versprochene Klimaschutzprogramm vor – allerdings steht darin nicht, wie die CO2-Emissionslücke im Verkehr geschlossen werden soll. Die Auseinandersetzung mit Verkehrsminister Volker Wissing und dem Koalitionspartner FDP wurde einmal mehr vertagt.

Nur Kohleausstieg 2030 kann Klimaziele noch retten

Dabei hat der erbittert geführte Streit das Zeug, das Klimaziel für 2030 und Deutschlands internationale Pflichten infrage zu stellen. Je nach Rechnung fehlen derzeit bis zum Zieljahr im Verkehrssektor 115 bis 178 Millionen Tonnen an CO2-Einsparung. Der Sektor emittiert aber überhaupt nur um die 130 Millionen Tonnen jährlich.

Das bedeutet: Aus eigener Kraft kann der Verkehrssektor die CO2-Lücke gar nicht mehr schließen. Da müsste schon "ersatzweise", sofern EU-Recht das überhaupt zulässt, mindestens ein bundesweiter, echter Kohleausstieg bis 2030 her, also einer, der nicht wie der von Habeck ausgehandelte RWE-Deal vor allem Emissionen hin- und herschiebt.

Deutschland ist kein Klimavorreiter mehr, und den beschädigten internationalen Ruf konnte die Ampel bisher nicht reparieren. Dazu trug Olaf Scholz erheblich selbst bei mit seinem Festhalten am umstrittenen Senegal-Gasprojekt.

Das sorgte schon zu Beginn des Weltklimagipfels für erhebliche Verstimmung. Den schlechten Eindruck suchte die deutsche Delegation dann nach Kräften zu zerstreuen. Sie startete die "Global Shield"-Initiative, einen finanziellen Schutzschirm gegen Klimaschäden, und schoss nicht nur dort etliche Millionen zu. Deutschland setzte sich auch für verfolgte Klimaschützer ein und erntete dafür Anerkennung.

In der zweiten Woche von Sharm el-Sheikh, vor allem als Außenministerin Annalena Baerbock die Regie übernahm, machte dann das Schlagwort vom "Team Deutschland" die Runde, in dem alle Ministerien an einem Strang ziehen und den globalen Klimaschutz voranbringen würden.

Dennoch kam die am meisten beachtete Initiative des Klimagipfels wieder einmal nicht aus den Reihen der Regierung, sondern aus der Mitte des Bundestages, genauer: aus der Grünen-Fraktion. Diese konnte überraschend den Austritt Deutschlands aus dem umstrittenen Energiecharta-Vertrag in der Koalition durchsetzen. Auf ein solches Signal aus Deutschland hatte die Klimagemeinschaft seit Jahren gewartet.

Klimakabinett hat sich weiter nichts zu sagen

Dabei gäbe es eigentlich ein Gremium, um die Klimapolitik der sechs Ministerien und des Bundeskanzleramts zu koordinieren: das Klimakabinett.

Das tagte allerdings zum letzten Mal vor zwei Jahren und zog unter Bundeskanzlerin Angela Merkel eine "positive Zwischenbilanz" des damaligen Klimaschutzprogramms.

In Ampel-Zeiten kam das Klimakabinett bislang nicht ein einziges Mal zusammen. Wieder einmal sind alle anderen Krisen wichtiger als die Klimakrise.

Den stärksten Bedeutungsverlust erlitt übrigens – wie zu Beginn der Regierungszeit vorausgesagt – das Umweltministerium, das seine klimapolitischen Kompetenzen weitgehend abgeben musste.

Der grünen Ministerin Steffi Lemke verblieb als einziges größeres Instrument ihr Vier-Milliarden-Programm für "natürlichen Klimaschutz". Der gilt inzwischen als eine Art Allzweckwaffe für grüne Städte, Regenwassermanagement und Biodiversität – und preiswert ist er auch noch. Für das Programm sollen im ersten Halbjahr 2023 endlich die Förderrichtlinien vorgelegt werden.

Bei Anfragen zu weiteren Klimathemen erhält man aus dem Umweltministerium meist die Auskunft: Fragen Sie lieber die anderen Häuser. So verzwergt man sich selbst und den Klimaschutz.

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