Roter Flüssigerdgastanker mit vier riesigen kugelförmigen Tanks.
LNG-Tanker sollen auch bald in Senegal befüllt werden. (Foto: Kees Torn/​Wikimedia Commons)

Vor Mauretaniens Küste, bis hinunter nach Senegal, liegt das größte bekannte Kaltwasser-Riff der Welt. In den umliegenden Meeresgebieten leben bedrohte Hai-, Schildkröten- und Walarten, und viele Wasservögel machen hier auf ihrer Reise entlang eines ihrer wichtigsten globalen Zugkorridore Halt, um zu fressen.

Am Rande dieses Ökosystems, an der Grenze zwischen beiden westafrikanischen Staaten, will ein Konsortium unter Führung des Energiekonzerns BP vom nächsten Jahr an Erdgas fördern – wohl auch für Deutschland. Ein Großteil der dafür nötigen Anlagen ist bereits installiert.

Senegal zählt zu den ärmeren Ländern der Erde, Mauretanien zu den ärmsten. Die beiden Staaten sehen die Chance, durch die Einnahmen aus der Ausbeutung des fossilen Rohstoffs einen Entwicklungssprung zu machen. Das Erdgasfeld vor der Küste in 2.800 Metern Tiefe wurde 2014 entdeckt, seither verfolgen die beiden Regierungen das Projekt.

Das Gas soll mindestens 20 Jahre lang gefördert und als Flüssigerdgas (LNG) verschifft werden. Die Gewinne wollen sich BP, der ebenfalls beteiligte Explorationskonzern Kosmos Energy sowie die Regierungen Senegals und Mauretaniens teilen. Es wird erwartet, dass Ende kommenden Jahres das erste Gas fließt. Erweiterungen des Projekts sind geplant.

Jährlich 2,5 Millionen Tonnen Flüssigerdgas 

Putins Energiekrieg wirkt wie ein Booster für das neue Gasfeld. Mehrere EU-Länder sind in Senegal vorstellig geworden, um Ersatzlieferungen für das russische Erdgas zu verabreden, darunter Frankreich, Italien und Polen.

Und bekanntermaßen auch Deutschland. Kanzler Olaf Scholz war im Mai dort, als die Bundesregierung dringend neue Quellen für den fossilen Rohstoff suchte. Es gehe neben dem Ausbau von Solar- und Windenergie auch um eine "Zusammenarbeit bei der Nutzung der natürlichen Gasreserven, die Senegal hat", sagte Scholz damals.

Heute ist klar, wie das aussehen soll: Senegal will laut der Regierung in Dakar zunächst 2,5 Millionen Tonnen Flüssigerdgas pro Jahr nach Deutschland liefern, was vier Prozent des hiesigen Verbrauchs entspricht. Bis 2030 könnten es zehn Millionen Tonnen jährlich sein.

Doch das Scholzsche Gasprojekt kommt jetzt, ein halbes Jahr nach dem Senegal-Trip, zunehmend unter Druck – international und national. So spielte die deutsche Senegal-Connection jüngst auch auf dem UN-Klimagipfel eine Rolle, der im ägyptischen Sharm el-Sheikh stattfand.

Dort trat erstmals eine Allianz von deutschen und senegalesischen NGOs gegen das Projekt auf den Plan. Aktivist Yero Sarr von Fridays for Future Senegal sagte: "Ja, wir brauchen die Unterstützung und Hilfe von Deutschland, aber wir brauchen kein Gift. Wir brauchen keine Technologie, die unsere Zukunft zerstört."

"Koloniales Weltverständnis"

Sarr warnte unter anderem vor den Folgen des Gasprojekts für die Küstenbevölkerung. Beinahe jede Familie dort sei auf Fischfang angewiesen. Durch die Meereserwärmung gingen die Fischbestände bereits zurück, und mit der Gasförderung drohten noch stärkere Einbußen. Aufgrund der Bohrungen seien einige Meeresregionen komplett gesperrt.

Umweltschutzorganisationen befürchten zudem, dass die geplante Erdgas-Infrastruktur – Bohrplattform, Pipelines, Terminals, Wellenbrecher – die Ökosysteme schädigt.

Die deutsche Klima-Aktivistin Luisa Neubauer warnte auf dem Gipfel, jedes neue Gasprojekt mache es wahrscheinlicher, "dass wir das 1,5-Grad-Ziel verfehlen".

Auch sie betonte die Probleme für die Fischerei. Etwa jeder sechste Arbeitsplatz in Senegal hänge daran. Würden die Menschen arbeitslos, könne das zu neuen Fluchtbewegungen führen. Der Erdgas-Deal, den Scholz eingefädelt habe, sei "ein Zeichen kolonialen Weltverständnisses".

Eine Kritik, die auf dem UN-Gipfel der Direktor der in Nairobi ansässigen Denkfabrik Power Shift Africa, Mohamed Adow, unterstützte. Er sagte, Europa versuche, Afrika zu seiner "Tankstelle" zu machen, stelle aber nicht die angemessenen Mittel für die Förderung erneuerbarer Energien bereit. Neubauer jedenfalls kündigte in Sharm el-Sheikh an: "Mit dieser Allianz beginnen wir den Kampf gegen das Projekt."

Grüne äußern sich skeptisch

Ob das angesichts der aktuell nicht mehr ganz so dramatisch eingeschätzten Gaskrise eine Chance hat, ist offen. In der Ampel-Koalition positionieren sich die Grünen und die von ihnen geführten Ministerien für Wirtschaft und Auswärtiges inzwischen zunehmend deutlich gegen das Scholz-Projekt, während die FDP es unterstützt, weil damit eine Diversifizierung der Erdgas-Lieferländer möglich sei.

Grünen-Parteichefin Ricarda Lang sagte: "Für mich ist klar, dass der Fokus nicht auf neuen Gasfeldern liegen darf, sondern darauf, dass wir Transformationsprojekte unterstützen." Die grüne Klimapolitikerin Lisa Badum forderte im Klimareporter°-Interview: "Das Projekt müssen wir in der Koalition diskutieren." Schließlich habe Deutschland Erklärungen unterzeichnet, die solche Vorhaben ausschlössen.

Tatsächlich hat die Bundesregierung auf dem vorletzten Klimagipfel im schottischen Glasgow zusammen mit 38 anderen Ländern angekündigt, öffentliche Hilfen für fossile Energieprojekte in Entwicklungsländern bis Ende 2022 zu beenden.

Und ein Sprecher vom Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) meinte, in der aktuellen Lage sei es zwar nötig, neue Importquellen für Flüssigerdgas zu erschließen. "Langfristige Investitionen" in fossile Energiequellen passten aber nicht zu den Klimazielen.

Uniper verhandelt mit Petrosen

Bislang ist freilich unklar, wie Deutschlands Beteiligung in Senegal genau aussehen soll. Im Kanzleramt heißt es nur, die Bundesregierung stehe mit der Regierung in Dakar beim Thema Gasförderung im Austausch.

Offenbar gibt es aber bereits konkrete Verhandlungen zwischen dem deutschen Energielieferanten Uniper und der staatlichen senegalesischen Öl- und Gasfirma Petrosen, wie deren Generaldirektor Thierno Seydou Ly unlängst dem Magazin Spiegel bei einem Treffen in Dakar bestätigte. Ly habe dabei klargemacht: Wer als Kunde eine Vorzugsbehandlung bekommen möchte, der müsse auch Geld in Senegal investieren.

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