Klimareporter°: Herr Quaschning, Union und SPD starten Koalitionsverhandlungen. Die neue Regierung muss der Energiewende einen neuen Schub geben, damit Deutschland bis 2045 das Ziel der Klimaneutralität erreichen kann. Bilden die Ergebnisse der Sondierungen eine gute Basis dafür?

Volker Quaschning: Immerhin geht einiges in die richtige Richtung. Union und SPD wollen den Strom billiger machen und die erneuerbaren Energien weiter ausbauen. Aber schon hier ist Finanzierung ungeklärt, es soll wohl über neue Schulden laufen.

Das größte Manko ist aber, dass von den großen Impulsen, die wir in den wichtigen Bereichen Gebäude und Verkehr brauchen, nichts zu sehen ist. Das ist eine komplette Leerstelle. Ein großer Wurf sieht anders aus.

 

Wie gut stehen denn mit diesen Ankündigungen die Chancen, das Stromsystem bis 2035 CO2-frei zu machen, wie es für das Klimaneutralitäts-Ziel nötig ist?

Ginge es nur darum, den jetzigen Strombedarf mit erneuerbaren Energien zu decken, wäre das möglicherweise zu schaffen. Aber wir wissen, dass der Strombedarf weiter ansteigen wird. Stichworte: E‑Mobilität, Wärmepumpe, grüner Wasserstoff. Ohne konkrete zusätzliche Maßnahmen sehe ich hier schwarz.

Die Ampel-Regierung hat ja einiges getan, um den Ausbau in Schwung zu bringen, was jetzt noch wirkt. Das heißt, es wird einen weiteren Ausbau von Solar- und Windenergie geben, aber deutlich unter dem, was für das Erreichen der Klimaziele nötig ist.

Was müsste also geschehen?

Die neue Groko müsste den Ausbau der Erneuerbaren deutlich beschleunigen sowie Netze und Speicher schneller ausbauen – und dabei richtig ranklotzen. Im Sondierungspapier werden die Themen zwar angesprochen, aber nicht mit der nötigen Dringlichkeit.

Wichtiges Thema sind ja auch die Backup-Kraftwerke, die bei Dunkelflauten einspringen sollen. Union und SPD wollen nun mehr Anlagen bauen als bisher geplant. Richtiger Schritt?

Backup-Kraftwerke sind längerfristig nötig, keine Frage. Aber es muss sichergestellt werden, dass die dann nicht mit Erdgas laufen. Das vermisse ich im Sondierungspapier.

Wenn die Kraftwerke mit klimaschädlichem Frackinggas aus den USA betrieben werden sollen, kann man auch gleich die Kohlekraftwerke am Netz lassen. Die CO2-Bilanz ist dann ähnlich schlecht.

Mit anderen Worten: Man braucht ein Gesamtkonzept: Wann werden die Backup-Kraftwerke gebaut, und wann und woher kommt der Wasserstoff dafür? Sonst geben wir viel Geld aus für wenig Nutzen.

Foto: Silke Reents

Volker Quaschning

ist Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Seine Lehr- und Sachbücher zur Energiewende gelten als Standardwerke.

Wäre es nicht sinnvoll, das vorhandene Biogas in Backup-Kraftwerken einzusetzen?

Das wäre ein kleiner Teil der Lösung, allerdings reichen die Mengen dafür insgesamt nicht aus. Zudem müsste erst eine neue Infrastruktur gebaut werden, um das dezentral anfallende Biogas zu den Backup-Kraftwerken zu bringen.

Eines muss aber auf jeden Fall geändert werden: Derzeit laufen die Biogas-Kraftwerke auch dann, wenn es viel Solar- und Windstrom gibt, das macht keinen Sinn.

Über den Plan der Union, die zuletzt stillgelegten Atomkraftwerke wieder ans Netz zu nehmen, steht im Sondierungspapier nichts. Aber die künftigen Koalitionäre wollen einen Kernfusionsreaktor bauen. Wie realistisch ist das?

Die AKW wieder in Betrieb zu nehmen, ist eine Schnapsidee. Selbst die Betreiber selbst halten das für unrealistisch. Ich weiß nicht, ob es im Sondierungspapier fehlt, weil die Union eingesehen hat, dass das Unsinn ist, oder weil es ein kritischer Punkt ist, den man ausgeklammert hat. Ich glaube, eher letzteres.

Und die Kernfusion?

Ich sage voraus: Bevor wir in Deutschland oder anderswo ein kommerzielles Fusionskraftwerk sehen können, sind die meisten Groko-Sondierer an Altersschwäche gestorben. Das wird noch Jahrzehnte dauern.

Man kann natürlich Forschungsgelder hineinstecken, obwohl ich das eher für eine gigantische Geldvernichtung halte. Für unsere Energieversorgung und die Klimaneutralität bis 2045 wird das rein gar nichts bringen.

Die Union hat noch die Idee, Mini-AKW zu bauen. Wie steht es damit?

Die findet sich auch nicht im Sondierungspapier. Bisher gibt es keine baureifen Modelle, und falls es sie in einigen Jahren geben sollte, müsste man Hunderte oder Tausende davon bauen, damit sie bezahlbar wären. Auch das ist unrealistisch. Die Mini-AKW werden vielleicht als Absichtserklärung im Koalitionsvertrag stehen, aber nie Realität werden. 

Vor einem Einfamlienhaus stehen neben dem abgezäunten Vorgarten eine Wärmepumpe und ein Auto.
Wärmepumpen und E‑Autos werden von niedrigeren Strompreisen profitieren, aber auch CO2-intensive Industrieanlagen. (Bild: Klikkipetra/​Shutterstock)

Als zentrale Maßnahme planen Union und SPD die Senkung des Strompreises durch Zuschüsse. Was kann das bringen?

Prinzipiell ist das eine gute Maßnahme. Bisher setzen sich Technologien wie E‑Auto und Wärmepumpe nicht schnell genug durch, weil der aktuell hohe Strompreis sie nicht attraktiv genug macht. Man spart zu wenig, wenn man umsteigt. Wird Strom nun billiger, hilft das der Energiewende.

Problem dabei ist, dass man mit der Gießkanne vorgehen will. Wenn jede Stromnutzung subventioniert wird, erzeugt das auch Mitnahmeeffekte. Außerdem werden die Impulse für die nötige Wärme- und Verkehrswende nicht ausreichen.

Was müsste im Gebäudesektor geschehen, damit die Energiewende auch dort Fahrt aufnimmt?

Das ist im Sondierungspapier leider eine absolute Leerstelle – offensichtlich ein ganz strittiger Punkt. Die Union hat ja angekündigt, Habecks Heizungsgesetz wieder abzuschaffen, was das komplett falsche Signal wäre. Der Haupthebel im Heizungsbereich ist die Umstellung von Öl und Gas auf die Wärmepumpe.

Wird das breit umgesetzt, haben wir zwei Drittel des Problems erledigt. Wenn man die Klimaziele einhalten will, müsste man das Heizungsgesetz eher verschärfen und Fristen zum Umstieg vorziehen, als es abzuschaffen.

Hat die SPD eine Chance, die Abschaffung zu verhindern?

Ich denke, das Gesetz wird umbenannt und bleibt bis auf kleine Änderungen so, wie es ist.

Auch im Verkehrsbereich braucht es einen Schub …

Bisher sieht es eher nach einer Rolle rückwärts aus. Enorme Summen sollen in die Verkehrsinfrastruktur fließen, doch die Bahn kommt im Sondierungspapier nicht vor, obwohl sie ganz dringend saniert und ausgebaut werden müsste.

Wenn also nun neue Straßen gebaut, die Pkw-Flottengrenzwerte aufgeweicht und das Verbrennerverbot gekippt werden, steuert das den Bereich in die völlig falsche Richtung. Erstens werden wir die CO2-Reduktionsziele im Verkehr weiter reißen und zweitens unsere Autoindustrie schrotten, weil sie den Anschluss bei der E‑Mobilität an die Chinesen verliert. 

 

Hat denn ein allgemeines Tempolimit eine Chance? Das Umweltbundesamt hat ausgerechnet, dass das unerwartet hohe Einsparungen bringen würde. Im Sondierungspapier findet man es nicht.

Ja, denn für die Union ist das ein rotes Tuch. Aber ich sage voraus, es wird trotzdem kommen. Der Grund: Es stehen noch Urteile des Bundesverfassungsgerichts zum Klima aus, und ich erwarte, dass Karlsruhe die Regierung dazu anhält, sie möge doch ihr eigenes Klimaschutzgesetz einhalten.

Dann kommt die neue Groko an solchen Sofortmaßnahmen gar nicht vorbei. Vielleicht will man sich das für diesen Moment aufheben, wenn es hart auf hart kommt.

Anzeige