Was kaum ein Thema vor der Wahl war, kann nach dieser nicht wie Phoenix aus der Asche steigen. So waren die Erwartungen für den Klimaschutz auf das am Wochenende von CDU, CSU und SPD verabschiedete Sondierungspapier niedrig gehängt. Dennoch ist es enttäuschend, wenn die wichtigste energiepolitische Maßnahme nicht dem Klima, sondern eher fossilen Geschäften dient.
Denn ausdrücklich streben die Koalitionäre an, bis 2030 bis zu 20.000 Megawatt Gaskraftwerks-Leistung im Rahmen einer neuen Kraftwerksstrategie anzureizen. Die Anlagen sollen offenbar allesamt mit fossilem Erdgas betrieben werden. Diese Reservekraftwerke sollen dabei nicht zur "Vermeidung von Versorgungsengpässen, sondern auch zur Stabilisierung des Strompreises zum Einsatz kommen", heißt es im Papier.
Anders gesagt: Die Kraftwerke sollen im künftig erneuerbaren Stromsystem nicht nur einspringen, wenn Wind, Sonne und Biomasse nicht ausreichen, sondern der Erdgasstrom soll den Erneuerbaren Konkurrenz machen. "Ein größeres Energieangebot dient der Stabilisierung und Reduzierung der Stromkosten", heißt es entsprechend im Sondierungspapier.
Mit den 20.000 Megawatt verdoppelt die neue Koalition die zu bauende Gaskraftwerksleistung gegenüber der schließlichen Strategie des grünen Wirtschaftsministers Robert Habeck. Dieser hatte zwar Ende 2023 noch den Bau von rund 24.000 Megawatt neuer Gaskraft für nötig gehalten, diese Kapazität dann aber Mitte 2024 auf 10.000 Megawatt gesenkt und damit mehr als halbiert.
Lob von Gaslobby und Stadtwerken
Diese Anlagen sollten bei Habeck irgendwann ab 2032 auf Wasserstoff umgestellt werden. Von einer Umstellung auf einen klimaverträglichen Brennstoff ist im Sondierungspapier keine Rede mehr.
Die Gaslobby lobt das "klare Bekenntnis" zum Bau der Gaskraftwerke. Diese seien nicht nur für die Netzstabilität entscheidend, sondern auch für den Schutz der Verbraucher vor steigenden Strompreisen, wiederholte Timm Kehler, Vorstand des Lobbyverbands "Die Gas- und Wasserstoffwirtschaft", die Begründung aus dem Sondierungspapier. Der Verband hieß übrigens jahrelang "Zukunft Erdgas", dann "Zukunft Gas" und benannte sich Ende 2024 erneut um.
Kehler merkte weiter an, dass die langfristige Absicherung der Gasversorgung über Flüssigerdgas-Verträge keine Erwähnung im Sondierungspapier gefunden habe. Was die Neubaupläne für den deutschen Gasimport – darunter von klimapolitisch fragwürdigem Fracking-LNG aus den USA – sowie für die Gaspreise bedeuten, ist noch unklar.
Auch der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) begrüßte den Schwenk zurück zum fossilen Erdgas. Zur Absicherung der Energiewende seien die vorgesehenen 20.000 Megawatt das absolute Minimum, betonte VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing kurz nach Bekanntwerden des Papiers.
"Die nächste Gaskrise schlägt auf den Strommarkt durch"
Vor der Annahme, ein größeres Energieangebot führe zu niedrigen Energiekosten, warnt hingegen der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE). Niedrige Kosten gebe es "nicht automatisch", sondern das Angebot müsse zum Markt der mittlerweile systemsetzenden Erneuerbaren passen, erklärte der Verband zum Sondierungspapier.
"Vor allem Wind- und Solarenergie mit niedrigen Stromgestehungskosten bieten die Chance, Verbrauchern und Unternehmen dauerhaft günstigen Strom zu liefern", betonte BEE‑Präsidentin Simone Peter. Ein dezentrales, flexibles "Backup" aus Bioenergie, Wasserkraft, Geothermie und grüner Kraft-Wärme-Kopplung, verbunden mit flexiblen Speichern und Verbrauchern, sei günstiger, sicherer und krisenfester als neue Reserve-Erdgaskraftwerke, stellte Peter heraus.

Dass die Gas-Reservekraftwerke auch den Strompreis stabilisieren sollen, hält Robert Busch für eine "sehr schlechte Idee". Der Geschäftsführer des Bundesverbandes Neue Energiewirtschaft (BNE) erwartet eher, dass diese Anlagen zu einem Stopp der Planungen bei Anbietern von Flexibilitäten für den Strommarkt führen.
In diese Richtung wirkt für Busch auch der Neubau der 20.000 Megawatt Gaskraft, zumal hier auch Subventionen lockten. "Von einem Strommarkt ist dann nichts mehr übrig – ganz abgesehen davon, dass die Festlegung auf Gaskraftwerke dafür sorgt, dass die nächste Gaskrise unweigerlich in den Strommarkt durchschlägt", warnte der Verbandschef.
Umweltorganisationen verlangen erhebliche Nachbesserungen
Auch Umweltverbände reagierten skeptisch. Die Ergebnisse der Sondierung zeigten zwar ein Bekenntnis von CDU, CSU und SPD zu den Klimazielen – das Land benötige aber keine Bekenntnisse, sondern konkrete Politik, sagte Kai Niebert, Präsident des Umweltdachverbandes Deutscher Naturschutzring (DNR).
In Bezug auf konkrete Klimapolitik sei das Papier noch "völlig unausreichend", schätzte Niebert gegenüber Klimareporter° ein. "Dabei ist Klimaschutz heute keine Schönwetterfrage mehr. Es geht um Sicherheit in der Krise, Unabhängigkeit von fossilen Importen aus unsicheren Staaten und die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie", betonte er.
Gänzlich fehle im Sondierungspapier, so der DNR-Präsident, die Sicherung der grünen Infrastruktur, also von Wäldern, Trinkwasserressourcen und Ökosystemen gegen eine Klimakrise, die sich angesichts des Wirkens von US-Präsident Trump kaum bei 1,5 Grad bremsen lassen werde.
"Bevor das Grundgesetz geändert und der Koalitionsvertrag geschlossen wird, muss deswegen deutlich werden, dass die 500 Milliarden Euro des Sondervermögens den gesellschaftlich und politisch geeinten Klimazielen dienen", forderte Niebert.
Erhebliche Nachbesserungen verlangte auch die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch. Die Investitionen aus dem Milliardenpaket müssten sicherstellen, dass die gesetzlichen Klimaziele in den jeweiligen Sektoren erreicht werden und die Kommunen in Wärmenetze, Nahverkehr und Gebäudebestand investieren können, erklärte Germanwatch-Geschäftsführer Christoph Bals. Das müssten nun die Grünen in den Verhandlungen mit Union und SPD durchsetzen.
Wie sich die Finanzierung einzelner energiepolitischer Vorhaben auf die Verwendung des Sondervermögens auswirkt, liegt im Dunkeln. So beschlossen die künftigen Koalitionäre nahezu erwartungsgemäß, den Strompreis um bis zu fünf Cent je Kilowattstunde zu senken. Das soll durch Absenkung der Stromsteuer um etwa zwei Cent sowie durch Halbierung der Netzentgelte erreicht werden.
Die beiden Maßnahmen kosten laut Schätzungen zehn bis elf Milliarden Euro jährlich. Ein Durchschnittshaushalt würde dann monatlich um etwas mehr als 20 Euro bei den Stromkosten entlastet, und das umso stärker, je höher sein Stromverbrauch ist.
Positive Effekte sieht hier der Erneuerbaren-Verband BEE. So fördere die Senkung von Stromsteuer und Netzentgelten die Sektorenkopplung. Der Betrieb von Wärmepumpen, Elektrolyseuren, E‑Autos und anderen wichtigen Technologien werde attraktiver.
Für den Koalitionsvertrag fordert der BEE zudem eine Verankerung der bestehenden Wärmegesetze und -förderprogramme sowie eine "unterbrechungsfreie Förderkulisse" für erneuerbare Energien, um Akteursvielfalt, Akzeptanz und ein breites Energieangebot zu sichern.
Dafür braucht es offenbar nicht so viel neues Erdgas.