Klimareporter°: Herr Jung, Deutschland soll in 20 Jahren die Netto-Null bei den Treibhausgasen erreichen, also unter dem Strich kein CO2, kein Methan, kein Lachgas mehr ausstoßen. Ist das zu überhaupt zu schaffen?

Andreas Jung: Wir setzen darauf. Klimaneutralität 2045 bleibt als gesetzliches Ziel unser Beitrag zum Pariser Abkommen.

Aber um die ersten rund 50 Prozent CO2-Minderung zu erreichen, hat die Bundesrepublik seit dem Start der Klimapolitik 1990 volle 35 Jahre gebraucht. Es braucht also einen Turbo ...

Wir werden die 100 Prozent dann erreichen, wenn wir konsequent auf technologische Innovationen setzen. Das heißt: Wenn wir effizienten Klimaschutz mit wirtschaftlicher Stärke verbinden. Klimaschutz muss Geschäftsmodell sein. Und das ist möglich.

 

Was sind denn für die Union die wichtigsten Hebel, um zur Netto-Null zu kommen?

Der Wichtigste ist eine sozial eingebettete CO2-Bepreisung, kombiniert mit verlässlicher Förderung, wo erforderlich. Und wir wollen bessere Anreize für Energieeffizienz.

Außerdem einen weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien, in der ganzen Breite und systemdienlich ausgestaltet. Das heißt: Wir müssen neben Sonne und Wind auch die Potenziale von Bioenergie, Geothermie und Wasserkraft besser nutzen.

Zudem muss der Wasserstoff-Hochlauf beschleunigt werden. Und wir wollen Technologien, um CO2 abzuscheiden, zu speichern und zu nutzen, stärker ermöglichen. Zu all dem haben wir bereits eine Vielzahl von Initiativen in den Bundestag eingebracht.

Die CO2-Bepreisung wollen Sie laut Wahlprogramm zum "Leitinstrument" beim Autofahren und Heizen machen. Keine Sorge, dass Sie dann die "Benzinwut" und den Zorn der Hausbesitzer und Mieter zu spüren bekommen?

Wir setzen auf schrittweise CO2-Bepreisung mit Sozialausgleich. Die Rahmenbedingungen müssen so ausgestaltet sein, dass es nicht zu sprunghaften Preisentwicklungen kommt. Dann findet das breite Akzeptanz. Niemand wird überfordert, aber es gibt ein Preissignal: Beim neuen Auto oder der neuen Heizung lohnt sich Klimaschutz auch im Geldbeutel.

"Leitinstrument" heißt zudem nicht "einziges Instrument": Die Bepreisung muss kombiniert werden mit einer verlässlichen Förderung – als Unterstützung zum Umbau oder Umstieg. Bei Gebäudeeffizienz, Umweltprämie für E‑Autos und Heizungsförderung hat die Ampel viel Porzellan zerschlagen. Deshalb kommt es jetzt auf neue Verlässlichkeit an.

Große Pipeline in Grau und Blau mit verschiedenen technischen Einrichtungen und der Aufschrift: H2 - Hydrogen. Im Hintergrund eine Starkstromleitung.
Es kann auch "blauer Wasserstoff" mit Erdgas und CCS sein, sagt Andreas Jung, vor allem schnell muss es gehen. (Bild: Alexander Kirch/​Shutterstock)

Sie wollen das eingenommene Geld per "Klimabonus" an die Haushalte und Wirtschaft zurückgeben. Wie genau?

Zur schnellen und effizienten Entlastung wollen wir mit den Einnahmen aus der CO2-Bepreisung zuerst die Stromsteuer dauerhaft auf das europäische Minimum senken und die Netzentgelte mindestens halbieren. Das beinhaltet eine starke soziale Komponente: Haushalte mit geringem Einkommen geben einen größeren Anteil ihres verfügbaren Einkommens für Strom aus. Zudem werden dadurch zum Beispiel auch Handwerksbetriebe entlastet.

Laut Ihrem Programm soll das von der Ampel-Regierung erlassene Heizungsgesetz abgeschafft werden, das den Übergang zur Öko-Wärme regelt. Was soll an dessen Stelle treten? Nur der CO2-Preis?

Nein. Mit der Rücknahme des Heizungsgesetzes der Ampel wollen wir den Rucksack der Überregulierung abwerfen, den die Ampel mit ihren bürokratischen und kleinteiligen Regelungen auf das Gebäudeenergiegesetz draufgesattelt hat. Mit diesem Vorgehen hat die Ampel Akzeptanz beschädigt, und sie verfehlt ihre selbst gesetzten Ziele beim Heizungstausch um Längen.

Neue Dynamik gibt es nur mit neuem Vertrauen. Hierzu setzen wir auf einen Dreiklang aus schrittweiser CO2-Bepreisung mit Sozialausgleich, verlässlicher Förderung und technologieoffener Ermöglichung – die neue Heizung muss klimafreundlich betrieben werden können.

Beim Heizen sollen laut Programm "emissionsarme Wärmelösungen" wie die Wärmepumpe weiter gefördert werden. Hier gibt es derzeit Zuschüsse bis zu 70 Prozent. Wie geht es damit weiter?

Wir werden eine verlässliche Förderung sicherstellen. Dabei wollen wir Benachteiligungen durch die Hintertür beseitigen. Die gibt es derzeit etwa bei der Bioenergie. Und die soziale Komponente werden wir besser ausgestalten. Es ist etwa wenig überzeugend, dass allein das Haushaltseinkommen entscheidet, ohne Ansehen der Personenzahl in diesem Haushalt. 

Sie wollen nachwachsende Rohstoffe wie Holz stärker nutzen. Umweltverbände, aber auch das Umweltbundesamt sehen das kritisch. Ist deren Position Unsinn?

Heizen mit nachhaltigen Holzpellets ist klimafreundlich. Die einseitige Berechnungsweise des Umweltbundesamts führt zu der paradoxen Situation, dass es emissionsärmer sein soll, ein Gebäude mit Gas oder Öl statt mit Holz zu beheizen. Dies verkennt nicht nur, dass Holz ein nachwachsender Rohstoff ist, der es schafft, Kohlendioxid zu binden. Es widerspricht sogar den von der Ampel beschlossenen Rahmenbedingungen für erneuerbare Wärme.

Andreas Jung

ist Vize­vorsitzender der CDU und Sprecher der Unions­fraktion im Bundes­tag für Klima­schutz und Energie. Der Rechts­anwalt ist seit 2005 Bundes­tags­abgeordneter für den Wahl­kreis Konstanz.

Im Stromsektor hat die Ampel doch einiges erreicht, oder nicht? Der Ökostrom-Anteil beträgt inzwischen rund 60 Prozent.

Der Ausbau muss jetzt so fortgesetzt werden, dass die Potenziale der Erneuerbaren ohne Einseitigkeit in der ganzen Breite genutzt werden, es eine klare Ausrichtung auf Systemdienlichkeit gibt und verlässliche Partner der Erneuerbaren auf den Weg gebracht werden. Dafür müssen die Flexibilitäts-Potenziale der Bioenergie besser genutzt werden.

Darauf müssen dann pragmatische Ausschreibungen für Gaskraftwerke aufsetzen. Das muss jetzt zeitnah kommen, nachdem die Ampel ihre Initiative nach langer Diskussion nicht einmal mehr durchs Kabinett gebracht hat.

Diese Gaskraftwerke werden zuerst mit Erdgas betrieben, später erfolgt die Umstellung auf klimaneutralen Betrieb, Wasserstoff ist dafür ein guter Weg. Auch hier werden wir aber mit dem Emissionshandel CO2-Ziele vorgegeben – und keine Technologien. Auch die Option CCS wollen wir als Möglichkeit eröffnen. 

Ihr Parteichef Friedrich Merz ist Windkraftgegner, er hofft, dass die Anlagen zukünftig wieder abgebaut werden können, die derzeit bundesweite bereits ein Viertel des Stroms liefern. Wie soll da die Energiewende vorangehen?

Moment. Friedrich Merz hat gesagt, dass Windkraftanlagen nicht mehr notwendig sein könnten, wenn in Zukunft Technologien wie die Kernfusion so weit erforscht sind, dass sie Einsatzreife erlangen. Das macht ihn nicht zum Windkraft-Gegner.

Fachleute sprechen von Zeiträumen von 25 bis 35 Jahren, bis Kernfusion tatsächlich Energie liefern könnte. Das dauert viel zu lange.

Unser Ziel bleibt die klimaneutrale Erzeugung unseres Stroms. Das müssen wir jetzt mit den heute verfügbaren Technologien umsetzen – ohne Kernfusion. Erneuerbare Energien sind dabei tragende Säule, wie schon gesagt. Wir sind aber gleichzeitig für Forschung an neuen Technologien – auch wenn, wie im Forschungsstadium logisch – nicht klar ist, wann sie wie zum Einsatz kommen können.

Im Wahlprogramm wird der Ausstieg aus der Atomkraft revidiert, den Ihre Partei 2011 federführend beschlossen hat. Sie wollen sogar die zuletzt stillgelegten AKW wieder ans Netz bringen. Wären die jetzt plötzlich nicht mehr zu unsicher?

Der Schwerpunkt im Wahlprogramm ist ein anderer: Forschung an kommenden Generationen von Kernkraftwerken mit deutlich reduzierten Risiken. Wir wollen nicht zurück, sondern wir sind offen für Forschung und Innovationen von morgen bei Kernenergie und der bereits genannten Kernfusion. Wir wollen nicht die Tür zuschlagen für Entwicklungen, die in zehn oder 15 Jahren kommen könnten.

Aber selbst die Stromkonzerne haben mit dem Kapitel abgeschlossen ...

 ... und uns geht es um umfassende Transparenz – zu den Umständen der Abschaltung der letzten drei Kernkraftwerke inmitten der Energiekrise und zum aktuellen Stand des Rückbaus.

Neue Atomkraftwerke sind extrem teuer, eignen sich schlecht als Backup für Erneuerbare und würden wohl erst in der zweiten Hälfte der 2030er Jahre ans Netz gehen. Alles kein Problem?

Wir fordern in unseren Programmen nicht den Neubau von Kernkraftwerken der heutigen Technik, sondern sind offen für Forschung an künftigen Technologien. Wenn in der Zukunft Fortschritte erzielt werden, müssen sie bewertet werden.

Aber für Wasserstoff, der mit Atomstrom etwa in Frankreich produziert wird, sind Sie schon offen. Auch Ihr Parteichef Merz hat ja gesagt, grüner Wasserstoff sei zu knapp und teuer, um die Stahlproduktion umzustellen ...

Grüner Wasserstoff bleibt das Ziel, um aber schnell die nötigen Mengen Wasserstoff bezahlbar zu bekommen, müssen wir auf dem Weg dahin offen und pragmatisch sein. So brauchen wir etwa echte Offenheit auch für blauen Wasserstoff – produziert aus Gas und klimafreundlich durch CO2-Abscheidung.

Wir wollen eine echte europäische Energie-Union. Das setzt schon mit dem Blick auf Frankreich voraus, dass unterschiedliche Strategien akzeptiert und Synergien genutzt werden. So wie deutscher Ökostrom teilweise im französischen Netz ist, ist auch Atomstrom aus Frankreich teilweise in unserem Netz. Auch in eine europäische Wasserstoff-Union kann jedes Land seine Potenziale einbringen.

 

Herr Jung, als realistische Koalitionsmöglichkeiten nach der Bundestagswahl hat die Union eine neue Groko und Schwarz-Grün. Mit wem würden Sie lieber Klimapolitik machen, mit der SPD oder den Grünen?

Wir wollen als Union stärkste Kraft werden und mit einem deutlichen Ergebnis aus diesen Wahlen hervorgehen. Dann müssen wir ausloten, mit welcher Partei aus der demokratischen Mitte wir die meisten unserer Vorhaben umsetzen können – in der Energie- und Klimapolitik, aber auch in anderen Bereichen.

Boris Rhein hat diese Vorgehensweise in Hessen vorgemacht. Wirtschaft, Umwelt und Soziales können und müssen besser zusammengebracht werden, als das bislang allen Regierungen gelungen ist.