BYD: Wer dieses Akronym noch nicht kennt, wird bald nicht mehr drum herumkommen – spätestens dann nämlich, wenn die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland beginnt. Dort ist der chinesische Autohersteller offizieller Mobilitätspartner: eine willkommene Chance, um in Deutschland und Europa bekannter zu werden.
Seit 2022 – demselben Jahr, in dem der Konzern die Produktion von reinen Verbrennermodellen eingestellt hat – sind die Elektroautos von BYD auch in Deutschland erhältlich. Bisher sind die Verkaufszahlen zwar gering, doch das wird sich wohl bald ändern – selbst wenn die EU-Kommission beschließt, höhere Zölle auf chinesische E‑Autos zu erheben.
Denn derweil hat BYD längst Verträge mit deutschen Autohändlern abgeschlossen und Flagship-Stores in Deutschland eröffnet. Laut einem ARD-Bericht möchte BYD hierzulande einen Marktanteil von fünf bis zehn Prozent bei den E‑Auto-Verkäufen erreichen.
In China hat das Unternehmen im ersten Quartal 2023 bereits VW als Verkäufer der meisten Autos abgelöst – eine Position, die die Marke VW dort seit der Liberalisierung des chinesischen Automarkts in den 1980ern innehatte. Im vierten Quartal desselben Jahres verkaufte BYD weltweit sogar erstmals mehr E‑Autos als Tesla. Zeit, einen intensiveren Blick auf BYD zu werfen: Wofür steht das Unternehmen und wer steht dahinter?
Nachbauen – und stark in Forschung investieren
Drei Anekdoten dürfen in keinem Profil der Firma fehlen. Da ist zuerst die Namensgebung: Heute steht BYD offiziell für "Build Your Dreams". Doch die Abkürzung geht zurück auf den ersten Unternehmenssitz in der Yadi-Straße in Shenzhen.
Heute eine Millionenstadt, gehörte Shenzhen zu den ersten Sonderwirtschaftszonen, die während der Reform- und Öffnungspolitik unter Deng Xiaoping gegründet wurde. Steuererleichterungen und andere Anreize für privatwirtschaftliche Investitionen, aber auch die Nähe zum Exporthafen der Metropole Hongkong machten das einstige Dorf zu einem attraktiven Standort.
Hier gründen die Cousins Wang Chuanfu und Lu Xiangyang 1995 Yadi Electronics – und fügen später ein B hinzu, damit es besser klingt: Biyadi, kurz BYD. Ihr Ziel ist es, günstigere Batterien für Mobiltelefone herzustellen als die japanische Konkurrenz. Einige Jahre später sind sie bereits erfolgreich – und liefern ihre Akkus unter anderem an Motorola, Nokia, Sony Ericsson und Samsung.
Nach wenigen Jahren bietet sich für BYD die Möglichkeit, in die Produktion von Autos einzusteigen. Das staatliche Industriekonglomerat China North Industry Corporation (Norinco) möchte eines seiner Tochterunternehmen, Xi’an Qinchuan Automobile, abstoßen. Lokalpolitiker wollen die Schließung der Fabrik und den Verlust von Arbeitsplätzen vermeiden.
Für vergleichsweise wenig Geld kann BYD die Fabrik kaufen – und erwirbt damit die staatliche Lizenz zum Automobilbau, die meist nur an Joint Ventures mit globalen Konzernen vergeben wird. Statt von dem Technologietransfer durch solche Joint Ventures zu profitieren, geht die neue Firma BYD Auto einen anderen Weg. Sie baut die Vorgängermodelle weiter, setzt aber auch in großem Stil auf Forschung und Entwicklung.
Dazu gehört auch das umstrittene "Reverse Engineering". Mit dieser Strategie war BYD schon bei der Batterieherstellung erfolgreich: Die Ingenieure zerlegen ausgewählte Modelle anderer Hersteller, ersetzen die patentierten Bauteile durch eigene Nachbauten und schaffen so ein "neues" Produkt.
"Haben Sie ihre Autos gesehen?"
Die ersten Automodelle, darunter der BYD F3 aus dem Jahr 2005, ähneln vor allem den Modellen von Toyota. Gleichzeitig investiert BYD deutlich mehr als seine inländischen Konkurrenten in Forschung und Entwicklung. 2008 folgt mit dem BYD F3DM der erste Plug-in-Hybrid, 2009 mit dem BYD e6 das erste E‑Auto.
Hier folgt die zweite Anekdote, die in fast allen Texten über BYD erwähnt wird: die Entstehungsgeschichte des vor 16 Jahren geschlossenen Deals mit Berkshire Hathaway, der Holdinggesellschaft des US-Milliardärs Warren Buffett. Als Buffett in Chinas boomendem Automarkt investieren möchte, macht ihn sein Geschäftspartner Charlie Munger auf Wang Chuanfu und dessen Firma BYD aufmerksam.
Wang, den bereits der Mythos eines außergewöhnlichen Unternehmenschefs umgibt, soll vor den Augen Mungers die Batterieflüssigkeit aus BYD–Batterien getrunken haben, um zu beweisen, dass diese keine toxischen Chemikalien enthalten.
Berkshire Hathaway bietet an, 25 Prozent der Firmenanteile zu erwerben – ein Angebot, das Wang Chuanfu ausschlägt. Sie einigen sich auf zehn Prozent, für die Berkshire Hathaway im Jahr 2008 rund 232 Millionen US-Dollar zahlt. Laut einem CNN-Bericht aus dem darauffolgenden Jahr hat der Deal zu dem Zeitpunkt kaum Aufmerksamkeit bekommen. Doch die Investoren, so CNN, glauben, "dass BYD die Chance hat, der größte Autohersteller der Welt zu werden, vor allem durch den Verkauf von Elektroautos".
Bereits 2010 hat BYD mehr als 500.000 Autos verkauft. Doch ein anderer berühmter Geschäftsmann aus den USA zeigt sich deutlich weniger beeindruckt als Buffett und Co. Und hier folgt Anekdote drei: Ein inzwischen berühmt gewordener Videoclip aus dem Jahr 2011 zeigt Tesla-Chef Elon Musk im Interview mit Bloomberg TV. Als die Moderatorin ihn fragt, ob BYD für ihn eine Konkurrenz sei, lacht Elon Musk nur: "Haben Sie ihre Autos gesehen?"
Heute kommt BYD auf einen globalen Marktanteil bei E‑Autos von 17 Prozent. Und Musk hat seine Meinung längst geändert. Anfang 2024 bezeichnete er chinesische Autohersteller als "die wettbewerbsfähigsten Autofirmen der Welt".
Die meisten Komponenten werden selbst produziert
Worauf gründet sich dieser Erfolg? Ein Teil der Antwort sind sicherlich Subventionen und andere Förderungen, mit denen die chinesische Regierung BYD und andere inländische Batterie- und E‑Auto-Hersteller unterstützt hat.
Doch das ist nicht die ganze Geschichte. Im Gegensatz zu Tesla hat sich BYD von vornherein auf die Entwicklung und Produktion möglichst günstiger Autos fokussiert. Insbesondere in China sind BYD-Modelle – wie die anderer chinesischer Hersteller auch – sehr günstig.
So kostet der BYD Dolphin in China aktuell rund 12.700 Euro. In Deutschland ist er mit einem Listenpreis von knapp 35.000 Euro zwar deutlich teurer, aber immer noch günstiger als viele andere E‑Autos.
Inzwischen reicht das Angebot von Kleinstwagen wie dem neuen BYD Seagull über die Mittelklasse wie den BYD Seal bis zu SUV wie dem BYD Song. Neben Autos stellt BYD auch elektrisch betriebene Reise- und Linienbusse, Lastkraftwagen oder Gabelstapler her.
Frühzeitige Kooperationen mit Taxiunternehmen und öffentlichen Verkehrsgesellschaften in China, aber auch im Ausland haben BYD zahlreiche Lernerfahrungen ermöglicht. So bot die Kooperation mit Taxiunternehmen die Möglichkeit, Geschäftskunden zu gewinnen, die die anfangs sehr langen Ladezeiten der Akkus kaum störten: Diese wurden mit den Schichten der Taxifahrer:innen abgestimmt.
Partnerschaften im Ausland boten erste Möglichkeiten zur Expansion, bevor BYD überhaupt E‑Autos außerhalb Chinas verkaufte. So beliefert das Unternehmen bereits seit 2015 die öffentliche Nahverkehrsgesellschaft von Los Angeles mit E‑Bussen, stellt aber auch seit mehreren Jahren E‑Busse für den britischen und japanischen Markt her.
Ein anderer Grund für die Wettbewerbsfähigkeit von BYD, gerade im Hinblick auf die Herstellungskosten, liegt in der hohen "vertikalen Integration": Seit jeher ist ein Ziel des Unternehmens, möglichst viele Komponenten selbst zu produzieren. Bereits 2011 berichtete Die Zeit, dass BYD "von den Lithium-Ionen-Zellen über das Batteriepaket bis hin zum Elektromotor und der elektronischen Steuerung alle wichtigen Komponenten selbst herstellt".
Die BYD-Tochter Findreams ist inzwischen selbst einer der größten Hersteller von E‑Auto-Akkus und beliefert auch andere Fahrzeugbauer. Das Portfolio von BYD beinhaltet vergleichsweise einfache Zwischenprodukte wie Scheibenwischer und Sicherheitsgurte, aber auch Bremssysteme und sogar Computerchips. Im Ergebnis sind die Produktionskosten des BYD Seal um 15 Prozent niedriger als jene des vergleichbaren Tesla Model 3.
Produktion mit weniger Fachkräften
Doch die Produktionskosten sind nicht nur aufgrund der hohen vertikalen Integration so gering. Ende der 1990er Jahre, als das Unternehmen noch ausschließlich Batterien herstellte, hat BYD die Produktion auf so viele einzelne Schritte heruntergebrochen, dass Wanderarbeiter:innen kaum angelernt werden mussten, bevor sie diese Schritte ausführen konnten.
Aufgrund der niedrigen Löhne, die den Wanderarbeiter:innen gezahlt werden, während sie gleichzeitig zahlreiche Überstunden anhäufen, war BYD konkurrenzfähig, ohne teure Industrieanlagen und -roboter anzuschaffen. Diese Aufsplittung der Produktion in möglichst kleinteilige Schritte besteht bis heute.
Ein weiterer Grund für den Erfolg – speziell auf dem chinesischen Markt – sind die frühzeitigen Kooperationen mit chinesischen Tech-Giganten wie Baidu und Alibaba. So hat BYD bereits seit einigen Jahren alle E‑Autos mit Baidu Map – vergleichbar mit Google Maps – ausgestattet. Baidu wiederum konnte durch diese Kooperation viele Daten sammeln und die Software beispielsweise zur Stauerkennung verbessern.
Auch mit Alibaba hat BYD für den Aufbau einer eigenen Cloud-Plattform und beim Interface für BYD-Fahrer:innen kooperiert. Auf Dilink, so der Name des eigenen digitalen Systems, sind Features wie Karaoke bei der chinesischen Kundschaft besonders beliebt.
Um auch im Ausland erfolgreich zu sein, muss BYD nun, wie andere Hersteller, seine E‑Autos für die dortigen Märkte anpassen. Zurzeit modernisiert oder baut das Unternehmen Fabriken in Brasilien, Mexiko und Ungarn. Doch solange dort noch keine Autos von den Bändern rollen, kann BYD seine Modelle weiterhin problemlos aus China verschiffen – und das bald umso effizienter.
Bereits im Februar dieses Jahres kam in Bremerhaven der "BYD Explorer No. 1" an, der 5.000 BYD-Autos an Bord hatte. In Kooperation mit dem Schiffbaukonzern Yantai CIMC Raffles hat BYD den ersten Frachter gebaut, der auf den Transport der eigenen Autos spezialisiert ist.
Weitere Schiffe sind bereits in Auftrag gegeben, die Kapazität soll bald auf 7.000 pro Fahrt erhöht werden. Und vielleicht werden dann BYD-Elektroautos bald nicht nur in Bremerhaven vom Schiff rollen, sondern durch die ganze Bundesrepublik.
Chinas Klima- und Umweltpolitik
China ist der größte Treibhausgasemittent der Welt, treibt aber auch den Ausbau der erneuerbaren Energien am schnellsten voran. Die Volksrepublik ist bei vielen "grünen" Technologien führend – und hat eine Schlüsselrolle bei der Weiterverarbeitung von Rohstoffen wie Kobalt und Lithium. Während China in der internationalen Klimapolitik eine prominente Position innehat, kommt es im Land immer wieder zu Protesten gegen Umweltverschmutzung. Die Serie wirft ein Auge auf Akteure und Debatten, Gesetze und Industrien in China.