Klimareporter°: Frau Scheer, Klima gilt im laufenden Wahlkampf als Bürgerschreck. Selbst Parteien, die den Klimaschutz gepachtet haben, reden ungern darüber. Wie sind Ihre Erfahrungen, wenn Sie das Thema anschneiden?
Nina Scheer: Die Erzählung vom Bürgerschreck-Thema kann nicht bestätigen. Für mich stehen Energiewende und Klimaschutz obenan. Das lässt sich schon meinem Wahlkampf-Flyer entnehmen.
Die Unterschiede etwa zum letzten Bundestags-Wahlkampf liegen nicht unbedingt in den Reaktionen der Wählerinnen und Wähler, sondern darin, dass das Thema Klima aktuell von anderen Themen überlagert wird. Wir haben eine andere "Schlagzeilendominanz". Das hat vordergründig auch nicht mit den Prioritäten der Menschen zu tun, sondern eher mit Stimmungsmache.
Ein fachpolitisches Beispiel: Ende 2024 setzte sich über viele Wochen die Annahme medial fest, bis zur Bundestagswahl würde bei Klimaschutz und Energie nichts mehr verabschiedet. Dies wurde nicht richtiger, je häufiger es wiederholt wurde. Am 31. Januar haben wir noch vor der Migrationsdebatte mit der Mehrheit von SPD, Grünen und CDU/CSU fünf Energiegesetze verabschiedet. Das geht leider komplett unter.
Klimareporter° hat darüber berichtet. Allerdings war ein Teil der Regelungen wie die zur Bioenergie seit Jahren überfällig oder mit dem Gesetz zur Kraft-Wärme-Kopplung mussten zwingend europapolitische Vorschriften umgesetzt werden. Waren das nicht eher energiepolitische Notgesetze kurz vor Toresschluss?
Dennoch waren auch diese Änderungen eine politische Entscheidung, wie wir mit diesen Formen der Energiegewinnung umgehen. Die Kraft-Wärme-Kopplung bedurfte zwar eines Abgleichs mit dem Beihilferahmen der EU, war aber kein EU-Umsetzungsgesetz.
Gerade die Stärkung der Bioenergie war kein Selbstläufer. Erst auf massives Drängen der SPD gab es überhaupt eine Vorlage aus dem federführenden Wirtschafts- und Klimaministerium. Noch vor der ersten Lesung gab es an dem von dort gekommenen Gesetzentwurf Änderungen vonseiten der Fraktionen, um überhaupt dem Zweck zu genügen, die installierte Leistung an Bioenergie zu erhalten. Ohne diese Änderungen wären 2025 Biogasanlagen aus der Förderung gefallen und Leistung wäre verloren gegangen.
Nina Scheer
ist klima- und energiepolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, der sie seit 2013 angehört. Sie hat Musik, Rechts- und Politikwissenschaften studiert und engegiert sich seit vielen Jahren für eine dezentrale Energiewende, auch als ehrenamtlicher Vorstand der Hermann-Scheer-Stiftung.
Gern hätten wir die Bioenergie noch weiter gestärkt, um sicher auszuschließen, dass Anlagen vom Netz gehen und dann wohl durch fossile Gaskraftwerke ersetzt werden.
Auch die beschlossenen Änderungen des Energiewirtschaftsgesetzes zum Umgang mit Stromspitzen waren eine politische Entscheidung. Gleiches gilt für die Änderungen zur Windkraft. Mit denen kam die SPD der Union und auch den Grünen entgegen.
Beide Fraktionen – CDU/CSU noch stärker als die Grünen – wollten nach einem Gerichtsentscheid zur Regionalplanung in Nordrhein-Westfalen eine Begrenzung der dortigen Windenergie-Genehmigungen erreichen. Wir von der SPD konnten am Ende drohenden tieferen Einschnitten in den Ausbau der Windenergie einen Riegel vorschieben.
Könnte ein Problem von Klima und Energie nicht sein, dass viele Regelungen für die Bürgerinnen und Bürger einfach unverständlich sind? Zu den fünf Gesetzen gehörte das erwähnte "Solarstromspitzen-Gesetz", aber auch eine Anpassung des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes. Wenn sie erklären sollen, was sich dahinter verbirgt, tun sich selbst Leute vom Fach schwer.
Sicher erschwert die Kleinteiligkeit solcher Fachgesetze die Präsenz des Themas. Klimaschutz verlangt für seinen Kernbereich, den fossilen Ressourcenverbrauch durch erneuerbare Energien abzulösen. Das erfordert viele Schritte in vielen Bereichen.
Klimaschutz findet auch statt, wenn abgeregelte Windenergie für Wasserstoff genutzt oder das Genehmigen von Erneuerbaren erleichtert wird oder es um Speicher oder Schnellladesäulen geht.
In dieser, leider unvermeidbaren, Kleinteiligkeit ist Klimaschutz massenmedial nur schwer kommunizierbar, gerade nach dem Maßstab der Schlagzeilen. Hängen bleibt, dass nichts getan worden sei. Das ist aber schlicht falsch.
Das Wort Klimaschutz ist demgegenüber zu abstrakt. Es reicht nicht, "Klimaschutz" zu rufen. Denn damit ist alles und nichts gesagt. Es kommt eben auf die einzelnen Schritte an. Die werden nur leider häufig nicht als Klimaschutzmaßnahmen erkannt. Auch dies erschwert die Klimaschutz-Kommunikation.
Der Expertenrat für Klimafragen bescheinigt der Ampel-Regierung, mit ihr habe sich der Klimaschutz beschleunigt, wenn auch noch nicht ausreichend, um das Klimaziel für 2030 zu erreichen. Als eine Ursache dafür sehen Beobachter, dass in der Zeit der Ampel die Erdgaslobby wieder an Boden gewann.
Die lobbyistische Gegenwehr der fossilen wie auch der nuklearen Energiewirtschaft zielt schon lange strategisch darauf, den Umstieg auf Erneuerbare zu verlangsamen. Sie bedient sich dabei nun eines Vokabulars der Klimaneutralität. Dazu gehört, über die CCS-Technologie die fossile Ressourcennutzung zu verlängern, etwa durch CCS bei Erdgaskraftwerken.
Das würde die Erneuerbaren-Märkte sowie den Hochlauf des grünen Wasserstoffs hemmen und verschlingt Investitionen. Unterm Strich wird CCS bei der Energiegewinnung den CO2-Ausstoß absehbar vergrößern, weil fossiles Erdgas länger eingesetzt wird und sich nur ein Teil des CO2 abscheiden lässt.
Aus diesen Gründen und damit keine neuen Hemmnisse für Erneuerbare entstehen, spricht sich die SPD-Bundestagsfraktion dafür aus, die Anwendung von CCS auf unvermeidbare Restemissionen zu beschränken. Auch soll hier vorrangig CCU angewendet werden, abgeschiedenes CO2 also wiederverwertet werden. Sofern der CO2-Ausstoß vermeidbar ist, bleibt CCS ausgeschlossen, so bei der Energiegewinnung und damit auch bei fossilen Gaskraftwerken.
Wegen der Kleinteiligkeit des Klimaschutzes wird Politikern und Medienleuten auch geraten, das Problemthema elegant zu umschiffen und statt über Klimaschutzregeln über das schöne Leben in einem energieeffizienten Haus mit Solardach und E‑Auto zu reden oder darüber, wie grüne Technologien aus Deutschland den Wohlstand erhalten. Haben Sie auch so eine Ausweichstrategie?
Den Fokus auf die Chancen der Energiewende zu legen, finde ich nicht nur richtig, sondern wegen der daraus folgenden Maßnahmen auch unverzichtbar. Das ist für mich auch keine "Ausweichstrategie" und kein Umschiffen, sondern schlicht sachgerecht.
Fakt ist, mit den Erneuerbaren befreien wir uns von der Abhängigkeit endlicher fossiler Ressourcen, die zudem ein enormes Preisrisiko bergen. Wir vermeiden absehbare Kriege um schwindende Vorkommen bei einem weltweit steigenden Energiebedarf.

Wir verringern auch Fluchtursachen für Millionen von Menschen und können als Industrie- und Exportnation vorangehen. Wir schaffen Gerechtigkeit bei der Bezahlbarkeit und Verfügbarkeit von Energie.
Die Vorstöße von US-Präsident Trump, sich die Ressourcen Grönlands zu sichern, aber auch die Forderung an die Ukraine in Bezug auf dortige Vorkommen sowie die vergangenen Irak-Kriege um Öl zeigen, auf welchem Pulverfass wir sitzen mit unserer Abhängigkeit von fossilen Ressourcen.
Bisher gründet sich der Erfolg der Energiewende vor allem auf das Erneuerbare-Energien-Gesetz und damit auf Anreize und Investitionssicherheit. Das muss nun auch für die bevorstehende systemische Transformation gelten. Das kennzeichnet nun einmal eine infrastrukturseitige Daseinsvorsorge.
Die Möglichkeiten und Chancen der Energiewende zu benennen, ist also definitiv kein Ausweichen oder Umschiffen, sondern eine ehrliche und zugleich Perspektive gebende und damit konstruktive Politik.
Öffentlicher Streit um den Klimaschutz wurde in der Ampel meist zwischen den Grünen und der FDP ausgetragen. Von der SPD war dazu nicht viel zu hören, jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit. Von welchem Klima-Vorschlag der Legislatur würden Sie sagen: Der war made in SPD?
Ich widerspreche dem Eindruck, dass von der SPD nicht viel zu hören war. Schauen Sie allein auf die lange Liste der Interviews, die ich etwa zu den Themen gegeben habe – und ich war da nicht allein.
Innerhalb der Ampel steckt die SPD am stärksten hinter den Erleichterungen des Erneuerbaren-Ausbaus – auch dieser Umstand wurde medial häufig ignoriert.
Ich könnte weiter unzählige gesetzliche Schrauben nennen, bei denen die SPD das gesetzgeberische Ventil war, etwa für mehr und erleichterte Erneuerbare oder für sozial gestaffelte Förderungen im Gebäudeenergiegesetz und dessen Verzahnung mit der kommunalen Wärmewende.
Auch der gesetzliche Vorrang für die Erneuerbaren trägt die Handschrift der SPD – wie auch eine stärkere kommunale Beteiligung oder dass Überschussstrom genutzt und nicht abgeregelt wird, dass sich Speichern lohnt, oder eine erleichterte dezentrale Energiegewinnung etwa über Balkonkraftwerke.
Zu nennen ist auch das Amortisationskonto zum Aufbau des Wasserstoffkernnetzes, das von unserem Wasserstoffbeauftragten Andreas Rimkus maßgeblich nach vorn gebracht wurde.
Die Legislatur über hieß es bei der Ampel, die FDP lege sich beim Klimageld quer und verhindere die Einführung. Nun ist im Wahlprogramm der SPD zu lesen: "Wenn ab 2027 die europäische Regelung in Kraft tritt, werden wir durch geeignete Maßnahmen auf europäischer und nationaler Ebene (zum Beispiel Klimageld) dafür Sorge tragen, dass niemand überfordert wird." Das heißt doch, die SPD verschiebt das Klimageld auf 2027?
Das Klimageld wurde auch im Koalitionsvertrag der Ampel auf "künftige Preisanstiege" bezogen, und zwar "zur Ausgestaltung der Marktphase nach 2026". Das wird teilweise anders kommuniziert, so war es aber gemeint.

Ein Hemmschuh war bislang der Auszahlungsmechanismus. Das Klimageld sollte schnellstmöglich ausgerollt werden, spätestens aber 2027.
Die SPD steht zudem für eine soziale Staffelung des Klimageldes. Je stärker gestaffelt wird, desto mehr kann das Klimageld dort ankommen, wo wirklich überfordernde CO2-Preisanstiege drohen. Die Staffelung ist dabei möglichst einfach zu gestalten.
Klar muss beim Thema Klimageld immer sein: Es ist nur geeignet, Belastungen durch weitere CO2-Preisanstiege aufzufangen. Es ersetzt keinen Förderrahmen für den systemischen und infrastrukturellen Umstieg auf Erneuerbare.
Als größtes Hindernis für den Klima-Umbau Deutschlands erweist sich die grundgesetzliche Schuldenbremse. Ohne ihre Abschaffung oder Reform kann Deutschland die nötigen Milliarden für den klimaneutralen Umbau nicht aufbringen. Sollte die SPD nur dann in eine neue Bundesregierung eintreten, wenn die Schuldenbremse deutlich gelockert wird?
Die Schuldenbremse muss reformiert werden. Anders sind die vor uns liegenden Infrastruktur- und Transformationsaufgaben nicht zu bewältigen und zugleich der Sozialstaat zu wahren, das Bildungssystem voranzubringen sowie auch Pflichten bei der Verteidigung zu erfüllen.
An diesen Inhalten wird sich ein künftiger Koalitionsvertrag unweigerlich auszurichten haben und in dieser Konsequenz eine Reform der Schuldenbremse angehen müssen.
Haben Sie mit Ihrem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz schon über sein Lob an die neue US-Administration gesprochen, ein größeres Angebot von Öl und Gas auf dem Weltmarkt bedeute niedrigere Energiepreise, und das sei gut für Europa und Deutschland?
Nein, ich habe mit ihm darüber nicht gesprochen. Als Bundestagsabgeordnete möchte ich mich nicht in einer Rolle wiederfinden, einzelne herausgeschnittene Sätze unseres Bundeskanzlers zu kommentieren.
Ich erlebe Olaf Scholz als jemanden, der sich konsequent für die Überwindung von Genehmigungshemmnissen bei den Erneuerbaren und für deren Hochlauf einsetzt. Diese Zielvorgaben in Deutschland und Europa voranzutreiben und gegenüber anderen Kräften im Parlament zu verteidigen, sehe ich als unsere gemeinsame Aufgabe. Das ist auch die Linie unseres Regierungsprogramms.
Ist Olaf Scholz falsch verstanden worden?
Ein Bundeskanzler hat im internationalen Kontext die Aufgabe, Wege zum Befrieden zu suchen, auch wenn wir alle um die Rechtsbrüche und auch dramatischen energiepolitischen Fehlstellungen wissen, die Donald Trump zu verantworten hat.
Entscheidend wird sein, als Deutschland und Europa zu zeigen, dass die erneuerbaren Energien auch wettbewerblich die beste Wahl sind. Solchen Erfolgen werden auch die USA nicht ausweichen.
Fakt ist, dass wir aktuell noch auf Erdgas und Erdgasimporte, auch aus den USA, angewiesen sind. Es muss wie gesagt darum gehen, die Abhängigkeit von Erdgas so schnell wie möglich zu überwinden.