Klimareporter°: Frau Dähling, Deutschland wird bald von einer "kleinen Groko" unter Kanzler Friedrich Merz regiert. In ihrem Koalitionsvertrag betonen Union und SPD, dass sie das Pariser Klimaabkommen einhalten wollen, damit Deutschland bis 2045 klimaneutral wird. Das ist doch ein Wort, oder?
Carolin Dähling: Das ist auf jeden Fall eine gute Grundlage, aber schon rein wirtschaftlich eine Selbstverständlichkeit. Es ist gut, dass die Klimaneutralität 2045 so verbindlich in dem Vertrag steht, aber niemand glaubt ja, dass in Verbrennern, Gasheizungen oder Kohle die Zukunft liegt.
Jetzt kommt es natürlich auf die Maßnahmen an, mit denen die Ziele erreicht werden, auf das Kleingedruckte.
Und hier gibt es viele Unklarheiten. Nur ein Beispiel von vielen: Union und SPD bekennen sich zwar zum weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien, aber sie wollen ihn "netzsynchron" ausführen. Das birgt die Gefahr, dass der Ausbau gebremst wird, weil man sagt, die Netze kommen so langsam voran.
Wir dürfen das Tempo der Energiewende aber nicht bremsen, wir müssen es erhöhen. Ein Rückschritt würde dagegen zu sinkenden Investitionen, weniger Arbeitsplätzen und geringerer Wertschöpfung führen.
Die künftige Koalition hat die Atomkraft endgültig ad acta gelegt. Kein Wort mehr darüber im Koalitionsvertrag. Das müsste Ihnen als Vertreterin einer Öko-Energiegenossenschaft, die aus Greenpeace hervorgegangen ist, doch Wasser auf die Mühlen sein?
Das hat uns positiv überrascht. Atomkraft ist teuer und riskant, einfach keine Lösung, die zur Energiewende passt. Aber im Wahlkampf wurden absurde Debatten dazu geführt. Aus der Union hieß es, man könne AKW, die schon seit zwei Jahren rückgebaut werden, wieder in Betrieb nehmen – notfalls auch mit Betreibern aus dem Ausland. Das war erschreckend, und es ist gut, dass die Diskussion abgeräumt wurde.
Allerdings hat diese überhaupt nicht faktenbasierte Debatte auch der Glaubwürdigkeit der Politik geschadet, weil sie bei vielen Menschen falsche Vorstellungen zur Atomkraft erzeugt hat – etwa über deren Kosten.
Union und SPD wollen allerdings die Fusionstechnologe fördern. Das erste Fusionskraftwerk soll in Deutschland stehen, steht im Vertrag. Was halten Sie davon?
Ich kann nicht ausschließen, dass die Kernfusion in ferner Zukunft einmal eine Rolle spielen wird. Klar ist aber doch, diese Technologie wird im aktuellen Kampf gegen die Klimakrise viel zu spät kommen.
Wir haben heute schon alle Technologien, die wir für die Energiewende brauchen. Darauf müssen wir unsere Ressourcen konzentrieren. Jetzt sehr viel Geld in die Kernfusion zu stecken, ist falsch.
Die Stabilität des Stromsystems ist zunehmend ein Problem, je höher der Anteil der Erneuerbaren wird. Union und SPD wollen 20.000 Megawatt Erdgaskraftwerke bauen, um das Problem der Dunkelflauten zu lösen. Ein guter Plan?
Die jetzt geplanten Gaskraftwerke sind im Endeffekt fossile Anlagen, die mit sehr viel Steuergeldern gebaut werden. Das ist in dieser Überdimensionierung erstens sehr teuer und zweitens nicht sinnvoll, vor allem nicht, wenn es keinen klaren Zeitplan für den Umstieg auf den Betrieb mit grünem Wasserstoff gibt.
Vor allem müssen dezentrale Flexibilitätsoptionen genutzt werden, beispielsweise Batteriespeicher und die netzdienliche Steuerung von Wärmepumpen und E‑Autos. Für längere Dunkelflauten braucht man aber in der Tat die Energiespeicherung durch grünen Wasserstoff und Kraftwerke, in denen er genutzt wird.
Carolin Dähling
leitet seit 2023 den Bereich Politik und Kommunikation bei Green Planet Energy (GPE), der größten Energiegenossenschaft in Deutschland mit rund 44.000 Mitgliedern. Sie studierte Energie- und Umweltmanagement in Flensburg und in Namibia. Bei einer Zertifizierungsstelle war die Wirtschaftsingenieurin für die Netzintegration dezentraler Energieanlagen zuständig, bevor sie 2019 zu GPE wechselte. Zudem ist sie Sprecherin der Fachgruppe Energie im Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft und Vorstandsmitglied im Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE).
Aber ist denn überhaupt absehbar, dass der in genügenden Mengen zur Verfügung steht?
Beim Wasserstoff geht es zu langsam voran. Hier brauchen wir ein klares politisches Commitment, dass Deutschland auf grünen Wasserstoff setzt und sein Absatz gesichert wird. Die Gaskraftwerke wären ein super Hebel, wenn klar wäre, dass sie in einigen Jahren auf grünen Wasserstoff umgestellt werden. Das wäre ein Impuls für die Betreiber, in Elektrolyseure zu investieren.
Aber wo soll der Wasserstoff konkret herkommen?
Wir können einen großen Anteil des zukünftig benötigten Wasserstoffs in Deutschland produzieren, wenn Wind und Photovoltaik entsprechend ausgebaut werden. Insbesondere die Stromspitzen können systemdienlich dafür genutzt werden. Langfristig sind wir allerdings auch auf Importe angewiesen.
Union und SPD wollen die Endlagerung von Kohlendioxid unter der Nordsee vorantreiben, ein Vorhaben, das schon Grünen-Minister Robert Habeck gepusht hat. Wenn das CCS-Projekt sicher ist, was spricht dann dagegen, dort für eine Übergangszeit auch CO2 aus Erdgas-Kraftwerken unterzubringen?
Die CO2-Einlagerung unter der Erde darf nur für Sektoren genutzt werden, in denen es keine Alternative dazu gibt, etwa in der Zement- und Stahlindustrie. Im Energiebereich birgt jeder Umweg auf dem Weg zu 100 Prozent Erneuerbaren die Gefahr, dass wir, wie bei den Erdgas-Kraftwerken, fossile Lock‑in-Effekte verursachen und eben grünen Wasserstoff blockieren.
Norwegens Ministerpräsident hat angeboten, sein Land könne auf Jahrzehnte hin das ganze in der EU entstehende CO2 in leergeförderten Erdgas- und Ölfeldern unterbringen. Das ist immer noch besser, als es in die Luft zu pusten, oder?
Norwegen hat ein Geschäftsinteresse daran, dass viele europäische Staaten sich davon abhängig machen, ihr CO2 einspeichern zu lassen. Das wäre eine fossile Scheinlösung.
Ein weiteres wichtiges Thema, das die neue Regierung anpacken muss, ist der Bereich Gebäude und Heizen, weil hier die CO2-Einsparung nicht vorankommt. Ist es nicht richtig, das Heizungsgesetz neu aufzustellen, nach dem Debakel in der Ampel-Zeit?
Wir brauchen hier klare Linien, die Hausbesitzer:innen Sicherheit über den künftigen Kurs geben. Das Gegenteil ist jetzt der Fall. Die Ankündigung der neuen Koalition, das sogenannte Heizungsgesetz werde abgeschafft, hat viele verunsichert. Das können wir nicht gebrauchen.
Ich hoffe, dass die neue Regierung schnell Klarheit schafft, dass fossile Heizungen keine Zukunft mehr haben. Wenn die Heizenergie 2027 in den EU-Emissionshandel aufgenommen wird, sitzen Leute, die sich heute noch Gas- oder Ölheizung einbauen, in der Kostenfalle.
Die Menschen müssen darüber aufgeklärt werden, und die Politik muss klare Vorgaben zum Einsatz der erneuerbaren Energien im Wärmesektor machen – mit der Wärmepumpe als Standardtechnologie.
Also, soll Habecks Heizungsgesetz mit der darin geregelten Förderung der Umstellung bleiben oder nicht?
Die neue Regierung sollte möglichst wenig daran ändern. Kund:innen, Heizungsfirmen, Energieberatung – alle haben sich auf das Ampel-Gesetz und die damit verbundene Förderung eingestellt.
Der Zuschuss sollte umso höher sein, je früher man eine klimafreundliche Heizung einbaut, außerdem müssen ärmere Haushalte eine höhere Förderung bekommen. Mittelfristig kann geprüft werden, ob man die Förderung dann abschmelzen kann.
Die künftige Koalition will die Einnahmen aus den CO2-Aufschlägen beim Heizen und Autofahren über niedrigere Stromkosten an die Bürger:innen zurückgeben – fünf Cent pro Kilowattstunde. Das macht den Betrieb von Wärmepumpen und E‑Autos billiger. Ein guter Ansatz?
Für alle, die darüber nachdenken, eine Wärmepumpe oder Elektroauto anzuschaffen, ist das ein positives Signal. Allerdings wird das Geld mit der Gießkanne verteilt, denn es soll ja jeder Stromverbrauch verbilligt werden.
Aus unserer Sicht braucht es ein sozial gestaffeltes Klimageld, um niemanden abzuhängen oder zu überfordern. Das ist eine der größten Leerstellen des Koalitionsvertrages. Je mehr der CO2-Preis ansteigt, desto wichtiger wird es, einkommensschwache Haushalte zu unterstützen. Dass das nicht geplant ist, hat eine große soziale Sprengkraft.
Etwas anderes im Koalitionsvertrag müsste Sie freuen. Union und SPD versprechen, die Bürgerenergie voranzubringen.
In der Tat. Es ist positiv, dass Instrumente wie Energy Sharing und Mieterstrom explizit erwähnt werden. Das kann die Bürgerenergie als Grundpfeiler der Energiewende stark voranbringen. Es geht darum, dass viele Menschen direkt von der Energiewende profitieren, nicht nur große Konzerne.
Wichtig ist allerdings auch hier, was die neue Bundesregierung davon konkret umsetzt. Wir von Green Planet Energy werden als Genossenschaft Vorschläge für konkrete Modelle einbringen, die sicherstellen, dass auch kleinere und mittlere Akteur:innen sich weiterhin an der Energiewende beteiligen können, etwa wenn es um den zukünftigen Investitionsrahmen für neue Wind- und Solarparks geht.
Ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung lehnt die Energiewende ab, bereits ein Viertel wählt AfD oder BSW, die sie zurückdrehen wollen. Sehen Sie denn Chancen, diese Menschen wieder für die Energiewende zu begeistern?
Wir werden sicherlich nicht alle Menschen zu Windenergie-Fans machen. Das ist auch nicht der Anspruch. Entscheidend ist, die Bedenken und Sorgen vor Ort ernstzunehmen – und, dass möglichst viele Menschen direkt von der Energiewende vor Ort profitieren.

Wir bauen als Genossenschaft ja auch Wind- und Solarparks und sehen, wie wichtig es ist, Anwohnerinnen und Anwohner frühzeitig einzubinden und zu beteiligen – auch und gerade finanziell. Läuft es so, kann man viele Menschen von den Vorteilen der Energiewende überzeugen.
Die Erneuerbaren tragen außerdem ganz wesentlich dazu bei, strukturschwache Regionen zu stärken, die Wirtschaft anzukurbeln und bezahlbare, heimische Energie zu liefern. Darin sehe ich indirekt auch ein Rezept gegen den AfD-Erfolg.
Aber woran liegt es dann, dass die Energiegenossenschaftsbewegung inzwischen nach einem starken Wachstum in den 2000er Jahren stagniert? Die Zahl der Genossenschaften liegt seit Jahren bei 950. Ist das Thema ausgereizt?
Das Hauptproblem ist: Die Vorschriften und Gesetze, die den Bau von Wind- und Solarparks regeln, sind immer komplexer geworden, und die Risiken, die auch von Genossenschaften zu tragen sind, steigen.
Immerhin gibt es seit 2022 bei den Genossenschaften wieder einen leichten Aufwärtstrend. Das hat unter anderem damit zu tun, dass die Bedingungen etwas verbessert wurden und zum Beispiel Photovoltaik-Projekte extrem wirtschaftlich sind. Die neue Bundesregierung kann hier viel Positives bewirken, denn das Interesse der Menschen, sich zu beteiligen, ist groß.
Wie entwickelt sich Green Planet Energy in diesem Umfeld?
Unsere Mitgliederzahlen wachsen sehr stark. Wir spüren, dass sich viele fragen: Was kann ich selbst konkret tun, in einer Zeit, die sehr von Unsicherheit geprägt ist? Eine Genossenschaft wie Green Planet Energy bietet dazu die Möglichkeit, zumal es inzwischen sehr einfach ist, Mitglied zu werden. Man ist bereits mit einem Anteilsschein und 55 Euro dabei, und man kann alles online abschließen. Der Papierkram von früher ist Geschichte.
Welche neuen Projekte verfolgt Ihre Genossenschaft zurzeit?
Wir haben vor über 25 Jahren mit Ökostrom angefangen. Inzwischen ist es unser Anspruch, unseren Kund:innen und Mitgliedern dabei zu helfen, ihre persönliche Energiewende zu gestalten. Wenn jemand ein Eigenheim hat, schnüren wir ein Paket mit Solaranlage auf dem Dach und Wärmepumpe für die Heizung.
Aber wir machen auch Mieterstromprojekte und engagieren uns in der kommunalen Wärmeplanung. Diese Ausweitung auf den Bereich Energiedienstleistungen ist für uns ein sehr großes Projekt, und wir sind dabei mit ganz neuen Herausforderungen konfrontiert. Wir müssen uns um Themen kümmern wie den Fachkräftemangel im Handwerk oder die Hindernisse, intelligente Stromzähler einbauen zu lassen.
Allerletzte Frage, Frau Dähling, was reizt Sie daran, in den Herausgeberrat unseres Magazins Klimareporter° einzutreten?
Klimareporter° ist eine sehr wichtige Plattform, die eine faktenbasierte, aber auch kritische Berichterstattung zu Klima und Energiewende macht. Und ich freue mich, dies künftig im Herausgeberrat unterstützen zu können.