Hartmut Graßl. (Bild: Christoph Mischke/​VDW)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Professor Hartmut Graßl, Physiker und Meteorologe.

Klimareporter°: Herr Graßl, der neue US-Präsident Donald Trump kündigt die Mitgliedschaft seines Landes im Pariser Klimaabkommen und will mehr Erdöl und Erdgas fördern lassen. Die Klimawelt rätselt derzeit, was der Kurswechsel in den USA für den globalen Klimaschutz bedeutet. Was erwarten Sie?

Hartmus Graßl: Der extrem schnelle Ausstieg des zum zweiten Mal gewählten US-Präsidenten am ersten Tag seiner erneuten Amtsperiode aus dem Pariser Klimaabkommen – einem Protokoll zur UN-Klimakonvention von 1992 – mit einer einfachen Durchführungsverordnung zeigt, was folgt, wenn ein verwirrtes Hirn eines Mächtigen nicht vom Parlament kontrolliert werden kann.

195 Nationen haben 2015 in Paris bindendes Völkerrecht auf wissenschaftlicher Basis unterzeichnet. Sie liegen in des Präsidenten Sicht alle falsch, er allein liegt richtig.

Dass gleichzeitig die Einwanderung armer Menschen aus Mittel- und Südamerika in die USA durch eine weitere Durchführungsverordnung wenigstens vorübergehend gestoppt oder mindestens gebremst wird, schadet auf lange Sicht der Prosperität des Landes. Denn bei zurzeit nur etwa 1,6 Kindern pro Frau in den USA würde die Bevölkerung dort ohne weitere Einwanderung zu schrumpfen beginnen.

Wenn außerdem das pro Kopf am stärksten Treibhausgase emittierende Industrieland der Welt vermehrt nach Erdöl und Erdgas bohrt, werden in Zukunft noch mehr Menschen in den ärmeren Ländern bei noch stärker steigendem Meeresspiegel und noch unerträglicherer Hitze ihre Heimat verlassen müssen und gegen die Mauer rennen.

Wahrscheinlich werden bei diesem unvernünftigen Verhalten des amerikanischen Präsidenten die Europäische Union und die Volksrepublik China durch ihre Innovationen zum Klimaschutz mehr Zukunft gewinnen und die Bedeutung der USA schwächen.

Eine Welt mit weniger Krisen wäre sicherer, bei Kooperation aller im Klimaschutz.

Alle nehmen die Extremwetter-Häufung wahr, dennoch ist es gesellschaftlich weiter möglich, Änderungen aufzuschieben, erklärt Entwicklungsforscherin Anna-Katharina Hornidge im Interview mit Klimareporter°. Das Zurückfahren des Klimaschutzes fördere die Destabilisierung ganzer Staaten und Regionen sowie autokratische Tendenzen, warnt sie. Kann die Klimakrise unsere Gesellschaften in die Krise stürzen?

Das Jahr 2024 mit einem neuen weltweiten Temperaturrekord an der Erdoberfläche und beinahe beliebig vielen Wetterextremen sowie Rekordklimaschäden von mehr als 600 Milliarden US‑Dollar war trotzdem zugleich eines mit wesentlichen Niederlagen für den Klimaschutz.

Zuerst wird ein Fakten negierender Klimaänderungsleugner zum Präsidenten der USA gewählt, dann bleiben die Beschlüsse des Klimagipfels COP 28 in Baku sehr weit von den Notwendigkeiten entfernt. Und in unserem Land bestimmt das Behördenversagen bei der Gewalttat eines psychisch kranken Eingewanderten im aufkommenden Bundestagswahlkampf die Debatten.

Deshalb hat Anna-Katharina Hornidge, die Co-Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen, recht: Viele Menschen unterstützen in Krisensituationen die Anbieter einfacher, aber falscher Lösungen, meist sind es autokratisch Gesinnte. Oft entwickeln sich dann in diesen Ländern Diktaturen.

Das droht auch jetzt beim Zurückfahren des globalen Klimaschutzes gerade in den von Hitzewellen und Dürren besonders betroffenen armen Ländern wie in der Sahelzone, deren Wirtschaft meist noch stark von der Landwirtschaft und damit vom Wetter abhängt.

Globaler Klimaschutz, also rasche Reduktion der Treibhausgasemissionen in den Industrieländern, wäre das Rückgrat der Entwicklungshilfe.

Die populärsten Studien des Jahres 2024 erforschten das Kippen des Golfstroms, die Kosten der Klimakrise und die Notwendigkeit einer neuen Wirbelsturm-Kategorie. Zugleich ging das öffentliche Interesse an Klimaforschung deutlich zurück, wie eine Analyse zeigt. Gefährdet das sinkende öffentliche Interesse am Klima die gesellschaftliche Bereitschaft für Klimaschutz?

Der Mensch ist immer recht handlungsfähig, wenn ihn eine unmittelbare persönliche Krise oder eine in der Nachbarschaft zur Aktion zwingt. Er versagt jedoch oft kläglich gegenüber den langfristig drohenden sehr großen Krisen wie den offensichtlichen Klimaänderungen und dem extremen Schwund der biologischen Vielfalt, verursacht durch unser Wirtschaften in den Industrie- und Schwellenländern.

So werden vor einem Krieg fliehende Europäer aus der Ukraine in Solidarität mit diesen Bedrohten nicht nur millionenfach aufgenommen, sondern sie dürfen, zum Beispiel in Deutschland, auch ohne Asylverfahren einreisen.

Viele aus anderen und entfernteren Kulturkreisen vor einem mörderischen Diktator oder Regime zu uns Geflohene, zum Beispiel aus Syrien oder Afghanistan, sollen jetzt laut Wahlkampfäußerungen pauschal zurückgewiesen werden, weil wenige psychisch Gestörte unter den von dort Aufgenommenen bei uns zum Mörder geworden sind, auch weil Behörden schlecht miteinander kommunizierten und dadurch offensichtlich notwendige Maßnahmen unterblieben.

Dass unter diesen Bedingungen Klimaschutz keine Priorität bleibt, passt zum typischen Verhalten des Homo sapiens.

Zusätzlich folgten die Klimaaufreger des Jahres 2024 auch der Aufmerksamkeitsökonomie. Die populärste Klimamodellstudie über die Schwächung und den Zusammenbruch der Atlantischen Umwälzzirkulation – vulgo Kollaps des Golfstroms – musste eine zehnfache Schmelzrate gegenüber der beobachteten in Grönland annehmen, um den Zusammenbruch zu erreichen.

Die für die gesamte Menschheit mindestens so bedrohlichen und wissenschaftlich besser gesicherten Aussagen zum Verlust biologischer Vielfalt, etwa durch die erwärmungsbedingte Korallenbleiche des Großen Barriere-Riffs vor Ostaustralien oder die Umwandlung des Amazonas-Regenwaldes in eine Savanne, waren den Medien weniger Aufmerksamkeit wert.

Besser als der Durchschnitt informierte Politiker sollten dennoch den Klimaschutz nicht in der Bedeutung abrutschen lassen – zum Schutz der Bevölkerung weltweit und auch bei uns. Meine Wahlentscheidung wird davon wesentlich abhängen.

 

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Für mich gab es auf dem Energiesektor zwei Überraschungen, erstens den gerade bekannt gewordenen Rekordausbau bei Photovoltaikanlagen in China und zweitens die globale Flaute beim Neubau von Kernkraftwerken, trotz der Dauerdebatte über die wachsende Bedeutung der Kernenergie für den Klimaschutz.

Ende 2024 waren laut der chinesischen Energiebehörde Photovoltaik-Anlagen mit insgesamt 887.000 Megawatt Nennleistung in der Volksrepublik installiert. Die Photovoltaik-Kapazität wuchs damit im vergangenen Jahr in China um 45,5 Prozent.

Laut der Internationalen Atomenergie-Organisation wurden 2024 sechs Kernreaktoren fertiggestellt und vier abgeschaltet. Die sechs neuen Blöcke sind Barakah 4 mit 1.310 Megawatt in den Vereinigten Arabischen Emiraten, Fangchenggang 4 mit 1.000 Megawatt und Zhangthou 1 mit 1.126 Megawatt in China, in den USA der Reaktor Vogtle 4 mit 1.117 Megawatt, in Indien Kakrapar 4 mit 630 Megawatt und in Frankreich Flamanville 3 mit 1.630 Megawatt.

Vom Netz gingen 2024 die Reaktoren Kursk 2 in Russland mit 925 Megawatt, Maanshan 1 in Taiwan mit 936 Megawatt sowie in Kanada Pickering 1 und 4 mit jeweils 515 Megawatt.

Insgesamt kamen 3.922 Megawatt Atomkraft im vergangenen Jahr hinzu. Im selben Zeitraum gingen weltweit Photovoltaik-Anlagen mit einer weit über hundertfachen Nennleistung von 593.000 Megawatt ans Netz.

2023 sah es übrigens nicht besser für die Kernenergie aus. Fünf Reaktoren gingen in Betrieb und genauso viele wurden abgeschaltet.

Die Hauptgründe für die ausbleibende Renaissance der Kernenergie sind: Die Anlagen zur Nutzung von Sonne und Wind für den elektrischen Strom sind viel preiswerter und haben weit weniger Risiken. Kernkraftwerke haben sehr lange Bauzeiten, hohe Kosten jeweils im Multimilliardenbereich und große ungeklärte Lagerprobleme für den hochradioaktiven Abfall.

Fragen: Jörg Staude, David Zauner