Klimareporter°: Frau Hornidge, wir sprachen über die Entwicklungsmöglichkeiten ärmerer Länder im Klimawandel. Viele dieser Länder hoffen, ihre Naturschätze auch klimapolitisch zu Geld zu machen, etwa indem Wälder als CO2-Senke vermarktet werden. Der Klimawandel selbst setzt aber die Speicherfähigkeit der Wälder herab. Wissenschaftler plädieren schon dafür, Wald gar nicht mehr als Senke anzurechnen. Wie sehen Sie das?
Anna-Katharina Hornidge: Die Argumentation kann ich nachvollziehen. Sie denkt aber zu wenig mit, dass es um Millionen Menschen geht, die vom Wald leben wollen und müssen. Für diese großen Bevölkerungsgruppen muss es attraktiver sein, den Wald zu schützen, als ihn abzuholzen.
Natürlich gibt es auch Einkommensalternativen wie den Bio- oder Ökotourismus. Aber wollen wir den wirklich überall haben? Das ist eine legitime Frage. Dieser Tourismus bedeutet häufig für lokale Gemeinschaften, ihre Kultur auch noch vermarkten zu müssen. Da geht es nur noch sekundär um den Wald.
Auf dem Weltklimagipfel in Baku präsentierten sich Projekte, Afrika in Richtung eines grünen Kontinents zu entwickeln. Da geht es um CO2-Senken und vermarktbare "negative Emissionen". Auf den starken Einsatz von Biomasse setzen auch viele Klimaneutralitäts-Konzepte in Industrieländern. Afrika könnte eine Art globaler Biomasse-Hotspot werden. Was ist davon zu halten?
Erst einmal geht es darum, dort, wo Biomasse existiert, diese zu schützen und Wege zu finden, dass die Menschen davon und damit leben können. Da wird zu schnell gewarnt, es gehe nur um wirtschaftlichen Gewinn. Da ist mir die deutsche Perspektive manchmal zu eng.
Wir müssen doch anerkennen: Wir selbst leben im Schnitt in einem erheblichen Wohlstand. Weltweit gibt es aber hunderte Millionen Menschen, die sich jeden Tagen darum sorgen müssen, sich und ihre Familien zu ernähren.

Dass gerade kleine Gemeinschaften einen Nutzen haben, wenn sie sich darum kümmern, dass der Regenwald erhalten bleibt und sie davon leben können – das ist sehr sinnvoll. Und es kann beitragen, lokale kulturelle Praktiken zu schützen.
Es gibt natürlich die Gefahr, dass Regionen, die erst Rohstofflieferanten im Welthandel waren, jetzt in die Rolle von Lieferanten von Biomasse geraten.
Biomasse gilt vor allem in der Grundstoffindustrie als wirtschaftlichster Ersatz für die Millionen Tonnen fossiler Rohstoffe. In einer klimaneutralen Welt wird vermutlich nicht die erneuerbare Energieerzeugung, sondern die Verfügbarkeit von Biomasse der wirkliche Engpass sein. Zeichnet sich da nicht ein Schlachtfeld der Zukunft ab?
Nicht erst künftig ist der Kampf um Biomasse ein Schlachtfeld. Der Begriff trifft schon heute beispielsweise auf den Bereich des Palmöls zu. Die Plantagenwirtschaft der Palmölproduktion als Monokultur ist eine ökologische Katastrophe, ebenso für Sozialstrukturen und Arbeitsstandards.
Aber schauen wir auch in den marinen Bereich, beispielsweise in die Fischerei vor der Küste Westafrikas. Da geht es auch um Biomasse, die mit wahnsinnig extraktiven Verfahren gewonnen wird.
Ich war vor Ort in Mauretanien, Senegal und Ghana. Gefangene Fische werden durch große Rohre in Fischmehlmühlen gepumpt, egal, welche Arten es sind und ob es junge oder alte Fische sind. Da lässt sich nichts kontrollieren. Es ist die Überfischung des einen großen Weltmeers.
In der Debatte, wie sich Natur schützen lässt, kam nach dem Jahr 2000 auch das Konzept der Ökosystemleistungen auf. Bekommen die Leistungen ein Preisschild und werden monetarisiert, dann wird nicht nur pfleglicher mit der Natur umgegangen, sondern aus dem "Verkauf" der Leistungen könnten auch Einnahmen generiert werden, so die Annahme. Bis dato kam das Konzept aber über die Theorie kaum hinaus.
Als die Debatte um Ökosystemleistungen losging, war ich sehr skeptisch und bin es weiterhin. Den Grundansatz, Natur mit einem Preisschild zu versehen, halte ich für hochproblematisch.
Wir müssen aber auch anerkennen, dass wir nicht gegen die Interessen und Bedürfnisse der Menschen handeln können. Und die Zukunft der Weltbevölkerung liegt nicht in Europa, sondern in Asien und in Afrika. Der demografische Wandel ist hier eindeutig.
Anna-Katharina Hornidge
ist Direktorin des German Institute of Development and Sustainability (IDOS), früher Deutsches Institut für Entwicklungspolitik, und Professorin für Globale Nachhaltige Entwicklung an der Universität Bonn. Sie arbeitet zu Fragen von Wissen(schaft) für Entwicklung und natürliche Ressourcen-Governance in Landwirtschaft und Fischerei Asiens und Afrikas. Hornidge berät die Bundesregierung etwa als Ko-Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats für Globale Umweltveränderungen (WBGU) und Vorstandsmitglied der Deutschen Unesco-Kommission.
Auch die Menschen in diesen Ländern wollen sich ein Leben aufbauen. Damit müssen wir arbeiten. Es geht nicht gegen die Menschen, sondern nur mit ihnen.
Der Grundgedanke dabei ist: Wir müssen es ermöglichen, dass lokale Gemeinschaften sowie Gesellschaften als Nation vom Schutz der natürlichen Ressourcen, des Klimas und der Biodiversität mehr haben. Auch im Portemonnaie mehr haben, damit sie ihre Kinder auf gute Schulen schicken können und einen Zugang zu Gesundheit und anderem Lebensnotwendigen haben.
Statt über Ökosystemleistungen zu debattieren, halte ich es für sehr viel sinnvoller, die CO2-Bepreisung voranzutreiben. Wir müssen einen Kohlenstoffmarkt kreieren, der weltweit verlässlich funktioniert. Das ist über einen CO2-Preis greifbarer und leichter zu etablieren als ein Markt für Ökosystemleistungen.
Gegenwärtig sollen auch erst 1,5 Prozent der globalen CO2-Emissionen ein Preisschild haben, war in Baku zu hören. Bei der am Ende entscheidenden CO2-Reduktion gab es auf dem Weltklimagipfel keinen Fortschritt. Befinden sich der globale Klimaschutz in einer sehr kritischen Phase?
Ja, auf jeden Fall. Wir beobachten derzeit Destabilisierungsprozesse in vielen Gesellschaften. Das zeigen der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, die Situation Israel/Gaza oder die Lage in der Sahelregion und viele weitere Konflikte, die längst nicht so viel Aufmerksamkeit wie die genannten bekommen.
Diese Destabilisierung der fragilen Gesellschaften wird weiter zunehmen, sagen uns Konfliktforscher:innen. Das können wir auch an den großen strukturellen Veränderungen ablesen in der Ökonomie, in der Ökologie, aber auch an sozialen Polarisierungsprozessen, die in eine Autokratisierung kippen.
Interessanterweise laufen diese Prozesse in Niedrig-, Mittel- und Hocheinkommensländern auf allen Kontinenten gleichermaßen ab.
Die Autokratien erscheinen als Versuch, die durch die Klimakrise bedrohte Wertschöpfung unter allen Umständen wie gewohnt weiterlaufen zu lassen. In bisher nicht gekannter Weise werden dazu Umwelt- und soziale Folgekosten beiseite gedrückt. Selbst Milliardenschäden durch Extremwetter werden für nicht existent erklärt.
Die Auseinandersetzungen um die Folgen der gesamten creeping desasters, der schleichenden Katastrophen, sowie der long onsets processes wie des Klimawandels verstärken sich. Natürlich nehmen alle die Extremwetter wahr, trotzdem ist es gesellschaftlich weiterhin möglich, Änderungen gedanklich in die Zukunft zu schieben.
Darin liegt eine unheimliche Gefahr, nämlich die, dass mit der Destabilisierung, mit den Konflikt- und Polarisierungsthemen die Tendenzen zur Autokratisierung immer mehr in den Vordergrund rücken.
Dabei sind die Grundlagen der Weltgemeinschaft, unsere gemeinsamen Steuerungssysteme und die multilateralen Strukturen ohnehin schon ganz massiv geschwächt. Derzeit ziehen wir uns den Boden unter den Füßen weg, auf dem wir gemeinsam handlungsfähig sind. Und das ist dann auch katastrophal für unser gemeinsames Großprojekt, den Klimaschutz.
Ihre Hoffnung schwindet also?
Ganz so weit sind wir noch nicht. Wir stehen jetzt global an einem Scheideweg. Deswegen kann sich Europa nicht hinstellen und sich darauf berufen, man sei geschwächt und könne nichts tun.
Wir müssen uns vor Augen führen: Wir sind rasant auf dem Weg in eine multipolare Welt und Weltordnung.
Europa ist eine Region vieler kleiner Länder und einiger Länder, die sich nicht immer vor Augen führen, dass sie im internationalen Vergleich auch klein sind. Wir, Europa, sind darauf angewiesen, gute Allianzen zu gestalten, und zwar mit allen Ländergruppen, mit Hoch-, Mittel- und Niedrigeinkommensländern, und das auf allen Kontinenten.
Europa sollte besonders seine Partnerschaftsbeziehungen mit den Ländern mittleren Einkommens ausbauen. Und mit den Regionalmächten dieser Welt. Dies sind die Kenias und Nigerias, die Indonesiens, Usbekistans und Brasiliens.
Das sind Länder, die in ihren Regionen viel beeinflussen können, aber keinen Anspruch auf Weltmacht, auf Superpower haben.
Diese Länder profitieren auch nicht davon, dass das internationale Recht ausgehöhlt wird. Sie wissen: Sie sind zusammen mit ihren kleineren Nachbarn darauf angewiesen, dass das internationale Recht und die regelbasierte Ordnung für alle gilt – unabhängig von der Größe des Landes.
Die Weltklimakonferenzen gelten vielen als ein letzter Ort internationaler Politik, wo jedes Land zumindest formal eine gleichberechtigte Stimme hat. Muss es allein schon deswegen dieses Mega-Event weiter geben?
Zum Glück gilt das nicht nur für Klima-, sondern auch für Biodiversitätsgipfel und für alle Themen, bei denen klar ist: Wir handeln gemeinsam bei globalen Aufgaben und nehmen eine kollektive Verantwortung wahr. Diejenigen kommen zum Klimagipfel, die sich einbringen wollen und die gemeinsam etwas bewegen möchten.
Solche Plattformen brauchen wir. In den letzten Jahren beobachteten wir – weil die UN und ihr Sicherheitsrat zunehmend blockiert sind –, dass sich themenspezifische Allianzen herausbilden, ob es die globale Allianz für Ernährungssicherheit ist oder der Klimaklub. Die G7, die G20, die Klima- und Biodiversitätsgipfel werden zu einflussreichen Sphären, in denen man zusammenkommt.
Also besteht doch noch Hoffnung?
Der Punkt ist: Wir müssen trotz allem weitermachen. Dazu gibt es keine Alternative. Es kann nur vorangehen, und wenn die Schritte jetzt leider langsamer und schwieriger werden, dann ist das hochproblematisch.
Aber zum Weitermachen und zum gemeinsamen Gestalten dieses globalen, klimastabilisierenden Strukturwandels gibt es keine Alternative.
Lesen Sie hier Teil 1: "Fossilen Verzicht zu fordern ist nicht fair und nicht unfair zugleich"