Auch dieses Jahr hat das britische Klimaportal Carbon Brief die meistdiskutierten Klima-Studien des Jahres gekürt.

Tausende peer-reviewte – also von Wissenschaftler:innen unabhängig überprüfte – Studien wurden vergangenes Jahr veröffentlicht. Viele von ihnen wurden außerhalb der Wissenschaftsgemeinschaft kaum wahrgenommen, doch einige wenige schafften es erneut auf die Titelseiten dieser Welt.

Carbon Brief greift für seine Liste auf Zahlen des Datenanalyseanbieters Altmetric zurück. Altmetric bewertet, welche Reichweite wissenschaftliche Studien online erzielen.

Zu diesem Zweck wird erfasst, wie oft eine Forschungsarbeit in Online-Nachrichtenartikeln, in Blogs, auf Wikipedia und auf Social-Media-Plattformen – wie Facebook, Reddit, Twitter und als Neuzugang auch Bluesky – erwähnt wird.

Der Analysedienst zählt dabei nicht nur die Erwähnungen, sondern weist ihnen je nach Medium eine Punktezahl zu. Wenn sich ein Nachrichtenartikel auf eine Studie bezieht, gibt das acht Punkte, für einen Kommentar auf Bluesky hingegen nur 0,25 Punkte. Außerdem berücksichtige der Algorithmus noch zahlreiche weitere Faktoren erklärt Altmetric sein System.

Die diesjährigen Zahlen legen nahe, dass das öffentliche Interesse an Klimawissenschaften abgenommen hat. Der erste Platz von 2024 erhielt eine niedrigere Punktezahl als jeder oberste Listenplatz seit 2017. Die ersten fünf Plätze des Vorjahres erzielten bessere Werte als der aktuelle Platz eins. Die populärste Studie von 2023 erreichte sogar fast dreimal so viele "Aufmerksamkeits-Punkte".

Für einigen Wirbel in der Öffentlichkeit haben die meistbesprochenen Forschungsbeiträge dennoch gesorgt. Im Folgenden werden die obersten sechs aus der 25 Studien umfassenden Auflistung vorgestellt.

Kipppunkt für die Atlantische Umwälzzirkulation nachgewiesen

Angeführt wird die Liste von einer Studie, die erstmals mit einem komplexen, modernen Klimamodell einen Kipppunkt der Atlantischen Umwälzzirkulation AMOC identifizieren konnte. Auch Klimareporter° hatte darüber berichtet.

Vor der Gefahr eines Kippens des Strömungssystems, zu dem auch der Golfstrom gehört, warnen Forscher:innen seit Jahren. Lange gab es jedoch Zweifel daran, ob ein solches Szenario auch unter Realbedingungen wahrscheinlich sein würde.

Auch in der Forschungsstation Neumayer III in der Antarktis wird Klimaforschung betrieben. (Bild: Thomas Steuer/AWI/​Wikimedia Commons)

"Bisher konnte man davon ausgehen, dass das Kippen der AMOC nur ein theoretisches Konzept ist und dass das Kippen verschwinden würde, sobald das gesamte Klimasystem mit all seinen zusätzlichen Rückkopplungen berücksichtigt wird", schreibt das Forschungsteam. Die neuen Ergebnisse hätten dieses Rätsel nun gelöst: "Ja, in unseren Modellen kommt es zu einem Kipppunkt."

Als Frühwarnsignal machten die Autor:innen der im Journal Science Advances veröffentlichten Modell-Studie den Salzgehalt im Südatlantik aus. Der Salzgehalt ist vom Süßwassertransport durch die Strömung abhängig, den wiederum frühere Studien bereits als wichtigen Indikator für die Stabilität der Atlantischen Umwälzzirkulation ausgemacht haben.

Wie weit der Kipppunkt noch entfernt ist, kann auch diese Studie nicht verlässlich beantworten. Die empirischen Daten reichten nicht weit genug in die Vergangenheit, um eine derartige Aussage zu erlauben, erklärten die Wissenschaftler:innen.

Die Ergebnisse zeigten allerdings, dass sich die AMOC auf Kippkurs befindet. Und: Wenn das Frühwarnsignal einen bestimmten Schwellenwert überschreitet, werde der Kipppunkt voraussichtlich in zehn bis 40 Jahren erreicht.

Die Folgen eines Zusammenbruchs wären katastrophal, wie die Ergebnisse erneut verdeutlichen. In Nordeuropa würden die Wintertemperaturen in nur einem Jahrhundert um zehn bis 30 Grad fallen. Auf der Südhalbkugel wäre hingegen eine beschleunigte Erwärmung wahrscheinlich und im Amazonasbecken könnten sich Regen- und Trockenzeiten umkehren, wodurch der Amazonas-Regenwald selbst zu kippen droht.

Die Kosten der Klimakrise

Laut einer Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung muss die Weltwirtschaft durch die Klimakrise bis 2050 einen Einkommensrückgang von fast einem Fünftel verkraften. Die Autor:innen stützen sich bei dieser Schätzung auf Angaben zu klimabedingten wirtschaftlichen Schäden in weltweit 1.600 Regionen aus den vergangenen 40 Jahren.

Dabei betrachten sie nur Schäden im Zusammenhang mit Temperatur und Niederschlag und projizieren deren Entwicklung unter den erwarteten Klimaveränderungen in die Zukunft. Die tatsächlichen Schadenswerte dürften sogar noch um einiges höher liegen.

Berücksichtigt werden zwar auch indirekte wirtschaftliche Effekte, etwa von Hitze auf landwirtschaftliche Produktivität und menschliche Gesundheit, allerdings keine Sturmschäden oder sonstige Folgen der Klimakrise.

Bereits diese wirtschaftlichen Schäden würden die Kosten, die zur Begrenzung der Erderwärmung auf zwei Grad erforderlich wären, um das Sechsfache übersteigen, so die Autor:innen.

Am teuersten komme die Erderwärmung Regionen in Äquatornähe zu stehen, während sehr nördliche und sehr südliche Regionen kaum oder keinen Schaden nehmen würden. Die Forschenden warnen folgerichtig vor einer Zuspitzung der globalen Ungleichheit.

Annahmen über die zukünftigen Treibhausgasemissionen hätten dabei keinen Einfluss auf die globalen Schäden innerhalb der betrachteten 26 Jahre. Die Welt habe sich zu diesen Schäden also bereits "verpflichtet", heißt es in der Studie.

Mit anderen Worten: Die Emissionen der Vergangenheit, kombiniert mit allen als realistisch eingestuften Emissionsszenarien für die Zukunft, resultieren in diesen weltweiten volkswirtschaftlichen Verlusten.

Seitdem haben einige weitere Studien mit unterschiedlicher Methodik versucht, die Schäden zu quantifizieren, und kamen größtenteils zu ähnlichen Ergebnissen.

Heißester Sommer seit 2.000 Jahren

Auf Platz drei rekonstruierten Geograf:innen die Sommertemperaturen der Nordhalbkugel seit Beginn unserer Zeitrechnung vor mehr als 2.000 Jahren. Für ihre Studie analysierten sie die Jahresringe von Bäumen.

Aus der Breite der Jahresringe von lebenden Bäumen und Altholz, zum Beispiel aus Bauten, lassen sich Temperaturänderungen ableiten. Diese können mit empirischen Temperaturdaten verglichen werden. Aus dem Zusammenhang der beiden Datensätze können die Temperaturen der Vergangenheit berechnet werden.

Das gilt vor allem dann, wenn die Jahresringdaten aus Regionen stammen, in denen die Sommertemperatur der limitierende Wachstumsfaktor ist, wie es etwa in Teilen Europas und Nordamerikas der Fall ist.

Mithilfe der als Dendrochronologie bezeichneten Datiermethode konnten die Forschenden nachweisen, dass der Sommer 2023 um 2,2 Grad wärmer war als der Durchschnittssommer in den ersten 1.890 Jahren unserer Zeitrechnung. Die Temperatur lag obendrein knappe vier Grad über dem kältesten Sommer der vergangenen zwei Jahrtausende – im Jahr 536.

Das Forschungsteam um den Geografen Jan Esper von der Uni Mainz schloss daraus, dass der damalige "außergewöhnlich warme Sommer auf der Nordhalbkugel" die Dringlichkeit zur Umsetzung "internationaler Vereinbarungen zur Reduzierung der CO2-Emissionen" unterstreiche.

Mittlerweile ist allerdings auch dieser Temperaturrekord überholt. Der Sommer 2024 war sowohl auf der Nordhalbkugel als auch weltweit wärmer als im Vorjahr.

Hurrikans, Regenwaldsterben und das Great Barrier Reef

Besonders beliebt bei den klassischen Nachrichtenmedien war ein Forschungsbeitrag zu den immer schneller werdenden tropischen Zyklonen. Darin schlagen die Wissenschaftler:innen eine Erweiterung der Saffir-Simpson-Hurrikan-Windskala vor. Die Skala hat sich auf der Nordhalbkugel seit 1970 zum Standard entwickelt.

Die oberste Kategorie fünf bezeichnet darin alle tropischen Stürme mit einer Geschwindigkeit von 250 Kilometern pro Stunde und darüber. Das offene Ende der Skala sei problematisch, "wenn es darum geht, das Windrisiko in einer sich erwärmenden Welt zu beschreiben", heißt es in der Studie.

Mindestens fünf Zyklone innerhalb der vergangenen neun Jahre seien schnell genug gewesen, um in eine potenzielle sechste Kategorie zu fallen. Diese könnte, schlagen die Autor:innen vor, alle Stürme ab einer Geschwindigkeit von 310 km/h umfassen.

Platz fünf und sechs der Liste von Carbon Brief beschäftigen sich jeweils mit einem Kippelement. Laut dem ersten Papier sind bis Mitte des Jahrhunderts zehn bis 47 Prozent des Amazonas-Regenwaldes durch gleichzeitig auftretende Extremereignisse bedroht. Diese sogenannten compound events – etwa ausbleibender Niederschlag in Kombination mit einer Hitzewelle – sind in ihren Auswirkungen noch wenig verstanden.

Dadurch könnte der Kipppunkt des Amazonaswaldes überschritten werden und in den betroffenen Regionen einen Übergang von Regenwald zu trockener Savanne zur Folge haben.

Die zweite Untersuchung beschäftigt sich mit dem Great Barrier Reef, dem weltweit größten Korallenriff vor der Küste Australiens. Marine Hitzewellen haben dort in den vergangenen Jahren immer öfter zu massiven Korallenbleichen geführt.

Ohne das entschlossene Handeln der Weltgemeinschaft "werden wir wahrscheinlich Zeuge des Untergangs eines der größten Naturwunder der Erde sein", schreiben die Studienautor:innen.

 

Trotz vieler gewichtiger Erkenntnisse verdeutlicht die Liste auch, dass Klimawissenschaften in den Medien immer noch überwiegend als Naturwissenschaften wahrgenommen werden. Nicht nur die Ursachen und Folgen der Klimakrise, sondern gerade auch mögliche Lösungsansätze müssten ebenso soziologisch, politikwissenschaftlich, kulturwissenschaftlich, psychologisch und in weiteren Disziplinen erforscht werden. Das fordern Wissenschaftsnetzwerke wie die Earth League schon seit Jahren angesichts des interdisziplinären Charakters der Krise.

Nicht nur thematisch, sondern auch mit Blick auf die Zusammensetzung der Forschungsteams lassen es die meistdiskutierten Studien an Vielfalt vermissen, wie Carbon Brief herausgefunden hat. 85 Prozent der Autor:innen kommen aus Europa, Nordamerika und Australien, nur zwei der insgesamt 275 Wissenschaftler:innen aus Afrika.

Auch sind von nur fünf der 25 Studien Frauen die Hauptautorinnen. Insgesamt war ein Drittel der Autor:innen weiblich. Nur aus Südamerika und Afrika überstieg die Anzahl der Forscherinnen die der Forscher.