Das Wichtigste aus 52 Wochen: Sonst befragen wir die Mitglieder unseres Herausgeberrats im Wechsel jeden Sonntag zu ihrer klimapolitischen Überraschung der Woche. Zum Jahresende wollten wir wissen: Was war Ihre Überraschung des Jahres? Heute: Matthias Willenbacher, Geschäftsführer der nachhaltigen Investing-Plattform Wiwin.
Für mich ist es immer wieder überraschend, wie absehbare Entwicklungen viele Menschen trotzdem überraschen. Beispielhaft für dieses Phänomen ist die Entwicklung des Klimaschutzes in China in diesem und den vorangegangenen Jahren.
China musste auch in diesem Jahr in Klimaschutzdebatten häufig dafür herhalten, dass Klimaschutzmaßnahmen in Deutschland keinen Sinn machen. Frei nach dem Motto: Aber China ...
So habe Deutschland nur einen Anteil von zwei Prozent am weltweiten CO2-Ausstoß, aber China einen Anteil von etwa 30 Prozent. In Deutschland würden Windräder und Solaranlagen gebaut, aber in China jede Woche ein Kohlekraftwerk. Diese Aussagen stimmen – noch. Das wird sich aber sehr schnell ändern.
Keine überraschende Entwicklung
So ist in China mittlerweile mit Abstand die meiste Photovoltaik installiert – Ende 2024 über 800.000 Megawatt – und auch die jährliche Installationsrate ist mit knapp 300.000 Megawatt weltweit die höchste. Die monatliche Installationsrate in China ist aktuell mit rund 17.000 Megawatt deutlich höher als die jährliche in Deutschland.
Bei der Windenergie sieht es ähnlich aus: jährliche Installationsraten von 50.000 bis 60.000 Megawatt – zehnmal mehr als in Deutschland – und zum Jahresende eine installierte Gesamtleistung von ungefähr 500.000 Megawatt.
Das gleiche Bild bei der Elektromobilität. 50 Prozent der neu zugelassenen Fahrzeuge in China sind E‑Autos. Das ist zwar inklusive Hybrid-Fahrzeugen gerechnet, aber trotzdem um Längen besser als in Deutschland. Gleichzeitig scheint der Erdölverbrauch seinen Höchststand erreicht zu haben und absehbar zu sinken.
Auch der chinesische Kohleverbrauch wird in den nächsten Jahren seinen "Peak" erreichen und dann ebenfalls sinken.
Viele dieser Entwicklungen sind nicht überraschend, sie waren in den letzten Fünfjahresplänen der Regierung jeweils detailliert abzulesen. Manche gingen aber auch schneller als geplant.
Für mich ist das ein Beispiel für gelungene strategische Industriepolitik. Der Aufbau der E‑Auto-Industrie wurde in China generalstabsmäßig geplant und konsequent umgesetzt, einschließlich der unterstützenden staatlichen Maßnahmen von der Regulierung – etwa mit Verbrenner-Fahrverboten in vielen Städten – bis zur finanziellen Förderung.
Industriepolitisch gefährliche Verbrenner-Debatten
Die deutsche und europäische Politik war und ist im Zusammenspiel mit den hiesigen Unternehmen nicht in der Lage, eine gleichwertige strategische Politik aufzusetzen. Stattdessen werden wir im Bundestagswahlkampf und im EU-Parlament auf Drängen der konservativen Parteien wieder über das "Verbrenner-Verbot" diskutieren.
Vor dem Hintergrund dieser strategischen Herausforderungen muss die EU aufpassen, dass bei der Windindustrie nicht der gleiche Verdrängungswettbewerb wie bei der Solarindustrie stattfindet.
Zur Klarstellung: In Sachen Menschenrechte, bürgerliche Freiheiten, Pressefreiheit, Umgang mit Minderheiten und so weiter ist China für mich in keiner Weise ein Vorbild, sondern ein abschreckendes Beispiel dafür, wie man nicht mit seiner Bevölkerung umgehen sollte.
Das sollte uns aber nicht davon abhalten, von China zu lernen, wie man strategische Industriepolitik betreibt. Zumal mit der Amtsübernahme von Donald Trump ein weiterer Akteur das Spielfeld betritt, der den freien Handel nur so lange unterstützt, wie er für die amerikanische Wirtschaft, sprich den Machterhalt, nützlich ist.
Das heißt für 2025: Jede neue Bundesregierung, egal in welcher Farbkombination, muss sich mit strategischer Industriepolitik im Zusammenspiel der europäischen Partner befassen, wenn das deutsche Wohlstandsmodell erhalten und ein erfolgreicher Klimaschutz betrieben werden soll. Ich hoffe stark, ich werde positiv überrascht.