Atomkraft kann mit erneuerbaren Energien nicht mithalten. (Bild: Markus Distelrath/Pixabay)

Die Atomkraft soll helfen, das Klima zu retten. Das hat eine neue Allianz von 22 Staaten auf dem UN-Klimagipfel in Dubai als Ziel ausgegeben, darunter die USA, Kanada, Großbritannien und Frankreich.

Die aktuelle Entwicklung dieses Energieträgers steht in starkem Kontrast dazu: Mitte 2023 waren weltweit 407 Reaktoren am Netz, vier weniger als ein Jahr zuvor und 31 weniger als der Höchststand von 438 im Jahr 2002.

Der Anteil der Kernenergie an der weltweiten Stromerzeugung sank 2022 sogar auf den niedrigsten Stand seit rund vier Jahrzehnten, wie der am Mittwoch veröffentlichte unabhängige "World Nuclear Industry Status Report 2023" zeigt. Die erneuerbaren Energien haben die Atomkraft beim Ausbau weit angehängt.

Die globale Atomkraftproduktion ging laut dem Bericht 2022 um vier Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück. Es war damit der stärkste Rückgang seit dem Nach-Fukushima-Jahr 2012, als Japan nach dem dortigen Super-GAU alle Reaktoren vom Netz genommen hatte.

Produziert wurden 2.546 Milliarden Kilowattstunden. Der Anteil an der weltweiten Stromproduktion beträgt damit nur noch knapp über neun Prozent. Zum Vergleich: Der Höchststand war 1996 mit 17,5 Prozent erreicht worden. Der aktuelle Anteil an der – inzwischen angestiegenen – Gesamtstromproduktion ist also nur noch gut halb so hoch.

Die Bilanz des Reports für die vergangenen zwei Jahrzehnte zeigt: Vor allem China sorgte dafür, dass der Atomkraft-Anteil nicht noch viel stärker abgestürzt ist. In den zehn Jahren von 2003 bis 2022 gab es danach nämlich weltweit 99 Inbetriebnahmen von Reaktoren und 105 Stilllegungen, wobei China allein für 49 Reaktor-Neustarts verantwortlich war.

Im Rest der Welt verzeichnet die Analyse einen Rückgang um netto 55 AKW-Einheiten und der Stromkapazität um 24.000 Megawatt, was rund 16 großen Reaktoren vom Typ Biblis entspricht.

Nur mit massiven Subventionen

Die Kernenergie gerät laut der Analyse zunehmend unter Druck, da vor allem die erneuerbaren Energien Strom im Schnitt billiger produzieren können, auch inklusive der notwendigen Maßnahmen zum Ausgleich der schwankenden Einspeisung von Windkraft und Solarenergie.

Der Report rechnet am Beispiel der USA vor: "Wenn man zu den nicht subventionierten Solar- und Windenergieanlagen in den USA mit Gesamtkosten von 45 bis 140 US-Dollar pro Megawattstunde die schnell sinkenden Kosten für den Netzausgleich (zum Beispiel für die Speicherung oder den zusätzlichen Strombezug) hinzurechnet, sind diese immer noch billiger als neue Kernkraftwerke mit durchschnittlichen 180 US-Dollar pro Megawattstunde."

Der Report verweist darauf, dass die weltweiten Investitionen in Ökostrom-Anlagen (ohne Wasserkraft) 2022 einen neuen Rekord von 495 Milliarden Dollar erreichten, was dem 14-Fachen der gemeldeten Investitionsentscheidungen für den Bau von AKW entspreche. "Wind- und Solaranlagen allein erzeugten 28 Prozent mehr Strom als Kernkraftwerke und erreichten einen Anteil von 11,7 Prozent an der Stromerzeugung, während der Anteil der Kernkraft auf 9,2 Prozent sank."

Fast alle zurzeit laufenden AKW-Bauprojekte würden daher von öffentlichen Unternehmen durchgeführt oder mit öffentlichen Mitteln finanziert. Zudem befänden sich etwa 45 Prozent der weltweiten Kernkraftkapazitäten bereits vollständig in staatlichem Besitz.

Der Neubau sei nur mit "massiven Subventionen" möglich, so der Report. Für die USA, das Land mit der aktuell höchsten Atomstrom-Produktion, werden diese Hilfen auf rund 30 Milliarden Dollar bis 2032 geschätzt.

SMR-Projekte offenbar zu teuer

Zu den Plänen für kleine modulare Reaktoren (Small Modular Reactors, SMR), die von Atomkraft-Verfechtern als Chance zur Renaissance dieser Energieform gesehen werden, heißt es in dem Bericht: "Die Aktualisierung für 2023 lässt keine großen Fortschritte erkennen. In der westlichen Welt befindet sich keine Anlage im Bau, und kein Reaktortyp wurde vollständig für den Bau zertifiziert."

Länder wie die USA, Frankreich, Großbritannien und Belgien stecken viel Geld in die Entwicklung der Mini-Reaktoren. Die Regierung in Paris zum Beispiel stellt eine Milliarde Euro dafür zur Verfügung. In einer Veröffentlichung zu den Mini-AKW zählte die Internationale Atomenergie-Organisation 2020 mehr als 70 SMR-Designs auf. Betrieben werden derzeit allerdings nur zwei schwimmende Mini-AKW in Russland und zwei kleinere Hochtemperatur-Reaktoren in China.

Zuletzt gab es außerdem einen großen Rückschlag in diesem Sektor. Das am weitesten fortgeschrittene SMR-Projekt der Firma Nuscale im US-Bundesstaat Ohio wurde Anfang November eingestellt, nachdem die Kostenschätzung dafür um 75 Prozent gestiegen war. Die veranschlagten Kosten lagen pro produzierter Energieeinheit etwa doppelt so hoch wie bei den neuen französischen EPR-Großreaktoren mit Standorten in Frankreich, Finnland und China, die bereits als sehr kostspielig gelten.

Der Hauptautor des Nuklear-Industrie-Reports, Mycle Schneider, hält Visionen vom beschleunigten AKW-Ausbau, wie jetzt in Dubai veröffentlicht, für nicht umsetzbar. "Selbst wenn alle derzeit in Betrieb befindlichen Reaktoren bis zum Ende ihrer genehmigten Laufzeit betrieben würden – angesichts der bisherigen Erfahrungen sehr unwahrscheinlich –, müsste die Atomindustrie in den nächsten 27 Jahren 270 Reaktoren fertigstellen, also zehn pro Jahr, nur um das heutige Niveau zu halten", sagte er gegenüber Klimareporter°.

Russischer Staatskonzern dominiert den Markt

Das aber sei das Doppelte der Baurate der letzten zwei Jahrzehnte. Ein zusätzlicher starker Ausbau sei noch unrealistischer.

Zudem seien wichtige AKW-Hersteller im Westen wie EDF (Frankreich), Kepco (Japan) und Westinghouse (USA) entweder hoch verschuldet oder stießen mit den laufenden Projekten an ihre Grenzen. Den internationalen AKW-Markt dominiert der staatlich gesteuerte russische Hersteller Rosatom mit 24 im Bau befindlichen Reaktorblöcken, von denen 19 in sieben anderen Ländern, darunter China, gebaut werden.

Zu der auch in Deutschland von Union, FDP und AfD neu aufgelegten Debatte über einen Weiterbetrieb der zuletzt stillgelegten AKW oder sogar über Neubauten sagte Schneider, hier werde derzeit leider nicht anhand von Fakten diskutiert.

"Laufzeitverlängerungen kosten viel Geld, Wiederinbetriebnahmen erheblich mehr, da Personal neu gewonnen, Atombrennstoff neu beschafft und Wartungsketten neu aufgebaut werden müssen", so der Experte. Zudem sei es zweifelhaft, ob rund 40 Jahre alte Reaktoren die richtige Technologie seien, um die Energie- und Klimaprobleme zu losen.

Auch den Neubau von SMR-Blöcken, wie er für Deutschland etwa von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und von FDP-Bundestagsfraktionschef Christian Dürr ins Gespräch gebracht wurden, hält Schneider für vollkommen unrealistisch. Die Mini-Reaktoren seien nur "eine Fantasie der Atomgemeinde".

 

Lesen Sie dazu unseren Kommentar: Atomkraft, nein danke