Ein Pärchen auf einem Moped fährt durch überflutete Straßen einer Stadt in Thailand
Überflutungen werden in vielen Küstenregionen bald Jahr für Jahr auftreten, mit Millionen Betroffenen. (Foto: Arek Socha/​Pixabay)

Indonesien will seine Hauptstadt verlegen. Ab 2024 sollen Regierung und Parlament die auf der Insel Java gelegene Metropole Jakarta verlassen und auf die mehr als 1.000 Kilometer entfernte Insel Borneo umziehen.

Auf einem jetzt noch bewaldeten Areal soll dort in den kommenden Jahren eine neue Hauptstadt errichtet werden, die vor allem eins bieten kann: mehr Sicherheit vor Überflutungen, Erdbeben, Tsunamis.

Wie viele Küstenstädte liegt Jakarta nur wenige Meter über dem Meeresspiegel. Wegen der steigenden Pegelstände durch den Klimawandel ist die Zehn-Millionen-Einwohner-Stadt in akuter Gefahr.

Doch nicht allein das macht der indonesischen Hauptstadt zu schaffen. Wie so oft ist es auch der nicht nachhaltige Umgang der Menschen mit ihrer Umwelt, der zu einer Potenzierung der Probleme führt.

Seit Langem sackt die Stadt ab, weil zu viel Grundwasser entnommen wird. Um bis zu 25 Zentimeter pro Jahr sinkt stellenweise der Boden. Bereits heute liegen 40 Prozent des Stadtgebiets unter dem Meeresspiegel. Im Jahr 2050 könnte ein Viertel der Stadt überschwemmt sein.

So drastische Maßnahmen wie Indonesien planen andere Länder für ihre Küstenstädte bislang nicht. Eine neue Studie der gemeinnützigen US-Wissenschaftsorganisation Climate Central zeigt nun aber, dass dies in Zukunft vielfach erforderlich werden könnte – und es mit höheren Deichen und anderen Schutzmaßnahmen dann möglicherweise nicht mehr getan sein wird.

Laut der Studie mit dem Titel "Flooded Future" (Überflutete Zukunft), die in dieser Woche in der Zeitschrift Nature Communications erschien, werden sehr viel mehr Menschen als bisher angenommen von regelmäßigen Überflutungen durch den Klimawandel betroffen sein.

Zu dem Ergebnis kommen die Studienautoren Scott Kulp und Benjamin Strauss durch eine verbesserte Datenanalyse von Satellitenaufnahmen. Bisherige Modelle hatten sich nach Angaben der Forscher um mehr als vier Meter vertan, da die Satelliten Dächer und Baumkronen als Basis genommen hatten und dadurch die Küstenlinien nicht korrekt berechneten.

Noch bevor das Land verschwindet, wird es unbewohnbar

Mit ihrer verbesserten Analyse können Kulp und Strauss nun genauer beziffern, wie viele Menschen tatsächlich in den betroffenen Regionen leben – nämlich deutlich mehr als bislang geschätzt.

Nach der neuen Schätzung sind dreimal mehr Menschen akut gefährdet. Falls die CO2-Emissionen nicht sinken und der Meeresspiegel bis zum Jahr 2050 weiter steigt, erleben demnach 300 Millionen Menschen in Küstengebieten durchschnittlich einmal im Jahr Überflutungen. Bisherige Schätzungen lagen bei 80 Millionen.

Im Jahr 2100 wären sogar mehr als eine halbe Milliarde Menschen betroffen – entweder von permanenter Überflutung ihres Landes oder von regelmäßigen Überflutungen.

Besonders groß ist die Bedrohung in Asien. Für Bangladesch, Indien, die Philippinen und Indonesien errechnen die Forscher sogar eine fünf- und zehnmal größere Anzahl von Betroffenen als bislang gedacht.

Nur sechs asiatische Länder – China, Bangladesch, Indien, Vietnam, Indonesien und Thailand – stellen 75 Prozent der 300 Millionen Menschen, die in der Jahrhundertmitte in Risiko-Gebieten leben werden.

Aber auch für europäische Länder müssen die Zahlen laut Studie nach oben korrigiert werden. Bei ungebremst ansteigenden Emissionen sind etwa in Deutschland im Jahr 2050 1,6 Millionen Menschen betroffen. Das sind 100.000 mehr als bisher angenommen.

Die Bewohner kleiner Inselstaaten sehen besonders drastischen Verlusten entgegen. Drei von vier Menschen auf den Marshallinseln im Südpazifik leben in Gebieten, die bis Ende des Jahrhunderts permanent überflutet sein dürften. Auf den Malediven im Indischen Ozean ist es einer von drei Bewohnern. Und noch bevor das Land verschwindet, dürfte es unbewohnbar geworden sein, so die Studienautoren, da Boden und Grundwasser bei regelmäßiger Überflutung versalzen.

"Weitreichende politische Konsequenzen"

Insgesamt leben der Studie zufolge heute bereits eine Milliarde Menschen in Regionen, die weniger als zehn Meter über dem Meeresspiegel liegen, davon 250 Millionen in Regionen nur einen Meter über dem Meeresspiegel.

"Küstenregionen überall auf der Welt müssen sich auf eine sehr viel schwierigere Zukunft vorbereiten", so die Autoren. Der Meeresspiegelanstieg werde weitreichende politische Konsequenzen haben – von schrumpfenden Steuereinnahmen in den betroffenen Regionen über wachsende Migration bis zu Konflikten um Fischereirechte und andere Ressourcen.

Würde man die Treibhausgasemissionen schnell und entschlossen senken, könnten die Gefahren durch den Meeresspiegelanstieg gemildert werden. Rund 20 Millionen Menschen bliebe es zum Ende des Jahrhunderts laut Studie erspart, permanente oder regelmäßige Überflutung erleben zu müssen.

"Der Anstieg des Meeresspiegels ist eine Gefahr in der nahen Zukunft", so die Autoren. "Heute müssen die Entscheidungen getroffen werden, etwas dagegen zu unternehmen – nicht nur für die künftigen Generationen, sondern auch für die heutigen."

Die Studie wurde von der Nasa sowie mehreren Stiftungen unterstützt, darunter die Leonardo DiCaprio Foundation.

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