Zwei Wörter, ein Ausrufezeichen. "Oh Gott!" Das war die Mega-Schlagzeile der Bild, als vor gut einem Jahr klar wurde, wie viele Todesfälle und materielle Verwüstungen das Juli-Unwetter in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen verursacht hatte.
Das Fachblatt für Populismus, das sonst gerne gegen Klimaschutz wetterte und schon einmal eine "Benzinwut" im Volk entfachte, um politische Pläne zum ökologischen Umbau zu torpedieren, lag diesmal richtig. Es war Fassungslosigkeit angesichts der Katastrophe.
Keiner konnte das ausblenden: Die Überflutungen in den Tälern von Ahr und Erft sprengten die Dimensionen. Die Bilanz: mehr als 180 Tote, über 30 Milliarden Euro an materiellen Schäden. Der Schock in der Öffentlichkeit angesichts von solchen Zahlen war riesengroß.
Inzwischen ist ein Jahr vergangen. Die vielen Berichte und TV-Sendungen aus den betroffenen Regionen zu diesem Anlass lassen die Katastrophe von damals noch einmal aufleben, die inzwischen schon fast in Vergessenheit geraten schien, überdeckt durch die Corona-Krisenschübe und vor allem Putins Ukraine-Krieg.
Die Bilanz daraus: Es ist beeindruckend, wie umfänglich und schnell Gelder für Nothilfe und Wiederaufbau bereitgestellt wurden, zudem, wie groß die Solidarität aus der ganzen Republik war, die sich in dreistelligen Millionen-Spenden, vielen Hilfseinsätzen von Freiwilligen und der Aufnahme von Flut-Obdachlosen äußerte.
Ein Lehrstück dafür, dass unsere Gesellschaft bei Weitem nicht so ichbezogen und desinteressiert am Schicksal der Mitwelt ist, wie es manchmal den Anschein hat.
Das Umdenken geschieht unglaublich langsam
Allerdings wird zum Jahrestag auch eine Menge weniger Erfreuliches deutlich. So wird klar: Die Flutkatastrophe ist noch längst nicht bewältigt, weder psychisch bei den direkt Betroffenen, die Angehörige oder Eigentum verloren haben, noch physisch. Der Wiederaufbau wird angesichts der ungeahnten Zerstörung viel länger dauern, als viele dachten.
Und vielleicht, auf das gesamte Land bezogen, noch dramatischer: Die Lehren aus dem Unglück werden nur halbherzig gezogen. Das Gefahrenpotenzial von Mega-Überflutungen, die ja in Zeiten des Klimawandels jederzeit wieder drohen, wird kaum entschärft.
Es fängt beim Katastrophenschutz an. Das Unglück deckte Schwächen auf, die man sich vorher nicht vorstellen konnte. So hatte ausgerechnet der Landkreis Ahrweiler, das Zentrum des Flutgebiets mit einer langen Geschichte von Hochwasserereignissen, keinen Alarm- und Einsatzplan. Viele Menschen hätten gerettet werden können, wenn die Kommunikation am 14. Juli 2021 besser funktioniert hätte.
Umso unverständlicher, dass es bis heute, ein Jahr später, keinen solchen Plan gibt. Er ist zwar in Arbeit, doch käme in den nächsten Tagen erneut eine Mega-Flut, müsste man sie noch einmal quasi freihändig angehen.
Und: Die Landesregierung in Mainz will durchgreifende Reformen im Brand- und Katastrophenschutzgesetz erst im Herbst nächsten Jahres angehen.
Doch auch anderswo in der Republik scheint man erst langsam aufzuwachen und die Warn- und Hilfsstrukturen zu verbessern. Unglaublich in einem reichen, hoch technisierten Land wie Deutschland.
Wo bleibt der vorsorgende Hochwasserschutz?
Doch immerhin tut sich hier etwas. Langfristig verheerend dürfte sich dagegen auswirken, dass die Kommunen und Bundesländer bei Weiten nicht genug tun, um die Folgen von Hochwasserereignissen vorbeugend abzumildern.
Seit Langem fordern Experten und Umweltschützer mehr ökologischen Hochwasserschutz: Flussbetten nicht weiter bebauen, den Flüssen und Bächen mehr Überflutungsraum geben und in deren Einzugsgebieten keine Böden mehr versiegeln.
Tatsächlich geschieht oft das Gegenteil, gerade auch in Rheinland-Pfalz und NRW. Baugebiete werden mitten in solche Flächen hineingeplant, womit neue Katastrophen à la Juli 2021 programmiert sind.
Selbst an der Ahr, wo es nun wahrlich genug Grund zum Umdenken gibt, werden die Lehren nicht so beherzigt, wie es nötig wäre. Hier werden zahlreiche Häuser in stark gefährdeten Zonen wieder aufgebaut, statt dem Fluss mehr Raum zu geben. Streckenweise wurde das Flussbett sogar noch weiter eingeengt als vorher.
Wann, wenn nicht jetzt ist es Zeit, die Versäumnisse beim vorbeugenden Hochwasserschutz nachzuholen – ein Jahr nach der Flutkatastrophe an Ahr und Erft sowie 20 Jahre nach der Elbeflut und 25 Jahre nach dem Oder-Hochwasser - beides Ereignisse, die die Republik ähnlich stark aufwühlten.
Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl sagte 1997 angesichts der Zerstörungen an der Oder, den Flüssen müsse mehr Raum gelassen werden, andernfalls würden sie ihn sich selbst zurückholen, mit bösen Folgen für die Menschen.
Diese Mahnung gilt heute umso mehr, als Extremwetterereignisse mit Starkregen und Überflutungen nach Aussagen von Klimaforschern in den kommenden Jahrzehnten sogar noch zunehmen werden, selbst wenn drastische CO2-Sparmaßnahmen ergriffen werden sollten. Werden Jahrhundertfluten zu Jahrzehntfluten, kann es viele treffen, die sich heute noch sicher fühlen.